20. November 2018

Da ein Teil meiner Leute vom Grimming herkommt, ist für mich alles nördlich von Graz mit der Obersteiermark assoziiert und daher als ein Gebiet des rauheren Klimas eingeschätzt. Die Wildnis beginnt gewissermaßen in Judendorf-Straßengel. Das sind natürlich keine Gedanken, die einer Überprüfung standhalten würden. Aber manchmal bin ich ganz vernarrt in einfache, gut überschaubare Muster. Wie unmißverständlich, wenn etwa jemand in der TV-Serie „Emergency Room" auf einen Körperbereich hinweist, dabei brüllt: „Im linken, oberen Quadranten!"

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Dort werde ich übrigens Anfang Dezember sein; im linken oberen Quadranten der Steiermark. Jetzt war ich eben im rechten oberen Quadranten. In Kapfenberg spürte ich die Kälte zurückkommen, auf die dieser Herbst weitgehend verzichten mußte. In Bruck war klar, daß sich der Winter einfach Zeit gelassen hatte, aber nun sein Haupt erhob. In Gleisdorf hat es sonntags nach Schnee gerochen. Diese Momente mag ich sehr, wenn ich erstmals Schneegeruch durch die Nase ziehen kann, bevor man ihn noch sieht.

Montags war klar, daß mich meine Nase nicht getäuscht hatte, auch wenn bloß wenig Schnee ankam und liegen blieb. (Das sieht nun in den oberen Quadranten der Steiermark vermutlich anders aus.) Auf meinem Rückweg fand ich jenes wunderbare Fahrzeug, das ich erst für einen Fünfzehner Steyr hielt. Als ich den Fotoapparat auspackte, kam gerade der Besitzer an und fragte mich gleich, wozu das gut sei.

So erfuhr ich: nein, es ist der mit 18 PS, also kein Steyr 80, sondern ein Steyr 84 mit drei PS mehr. Der Achtzehner. Baujahr 1960. E-Starter, Zapfwelle und Sitzkotflügel serienmäßig. Das Hubwerk noch als Sonderausstattung, aber immerhin, so ging es damals flott in die zweite Mechanisierungsstufe. Muß man das wissen?

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Ich schon! Vor so kurzer Zeit brach die agrarische Welt völlig um. Ich erzählte dem Mann von meiner Begegnung mit einem Landring-Mechaniker, der meinte, es habe in den 1960ern ein so schweres Unwetter gegeben, dadurch hätte sich die ganze Region verändert. Wegen der enormen Sturmschäden sei die Mechanisierung der Landwirtschaft mit einem großen Sprung vorangekommen. Man habe viele Motorsägen und andere Maschinen gebraucht, auch Traktoren und Bagger, dafür sei damals Geld vom Land gekommen.

„Ich war da noch zu jung", sagte mir der Traktor-Besitzer, „ich bin ja erst 40. Aber meine Mama hat mir davon erzählt. Das war am 14. August 1969. So ein Sturm und dann ist unser ganzer Wald gelegen." Wie sehr ich diese Momente mag, wo sich verschiedene Ereignislinien kreuzen, stellenweise auch verknüpfen. Ich vermute, man kann bestenfalls unterschätzen, wie bedeutend Erzählungen sind, die man so, im Vorbeigehen aneinander, zur Sprache bringen kann.

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Ich hab später in den Archivbeständen des Landtages nachgesehen, ob sich das Erzählte darin abgebildet hat. Tatsächlich kommt das Thema gleich auf der ersten Seite vor. (Der diesbezügliche Antrag wird schließlich der Landesregierung zugewiesen.) In jenem Dokument werden auch Arbeitsschutzfragen behandelt: "Die Motorsäge hat in unserer gesamten Forstwirtschaft Eingang gefunden und ist selbstverständliches Schneide- und Schlägerungsgerät in der Forstwirtschaft."

Da hab ich durch die Begegnung mit dem Traktorbesitzer einen interessanten Zufallstreffer gelandet. Im Bericht heißt es ferner: "Wo findet man heute noch eine Forstfacharbeiterpartie, die etwa mit einer Hobelzahnsäge oder, wenn ich es für den Laien verständlich mache, mit einer Zugsäge, etwa eine Schlägerung durchführt." Dieses Detail illustriert den technischen Umbruch ganz gut.

Schließlich heißt es in diesem Bericht auch noch: "Jedenfalls müssen wir mit Bedauern feststellen, daß es fast jede Woche einen tödlichen Traktorunfall gibt. Ob das ein Bauer oder Landarbeiter ist, es ist sehr bedauerlich!" So gerät man als Flaneur unversehens in Momente von kleinen historischen Zusammenhängen, bestimmten, aufschlußreichen Momenten; und das bloß, weil ein junger Bauer mit einem sehr alten Traktor einkaufen gefahren ist.

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