17. November 2018 Bahnfahren.
So eine passabel erhaltene Sitzgarnitur aus vergangenen Tagen, als wäre dies ein Beitrag
in "Schöner Wohnen für Proletarier". Und das paßt symbolisch, denn
ich war eben auf dem Weg nach Kapfenberg. Vom Edelstahl geprägt. Einst vom Stolz der
Stahlkocher erwärmt. Da denke ich unweigerlich an Robert De Niro als Michael in
Ciminos "The Deer
Hunter" (1978) mit der umwerfenden Meryl Streep als der unendlich duldsamen Linda.
Mein Reisebegleiter auf dieser Fahrt war
Kulturwissenschafter Ulrich Raulff, genauer: dessen Buch über Menschen und Pferde. Er
pflegt einen Erzählstil wie ein Romancier. Da kommen Passagen wie diese vor:
"Zwei von meinen drei Paten waren eher unauffällig, der dritte war ein Mann, der
ausschließlich aus Eigenschaften bestand, man könnte auch sagen aus
Absonderheiten."
Oder knifflige Hinweise wie: "Will er
herausfinden, was das wortkarge Bild ihm verschweigt, kann er drei verschiedene Archive
konsultieren, das Archiv des Malers, das der Ereignisse und das der Ikonographie."
Das mag manchen Leuten als ein eher nutzloses Denken in
Orchideen-Fach-Dimensionen erscheinen. Ich habe ja schon längst so allerhand Instant-Genies
um mich, die Komplexität für etwas Unanständiges halten und mir gerne zurufen, was
alles überflüssig gedacht, antiquiert formuliert, so oder so in keiner Weise tauglich
sei. Ich bekomme neuerdings wieder ungefragte Post von einer Person, die mich offenbar
für unausstehlich hält, weshalb sie sich nun seit Wochen in meine Arbeit vertieft, um
mir dann mitzuteilen, was davon gehalten werden muß.
Die Amerikaner nennen so was Backseat Driver. Man
sitzt bequem hinten auf dem Sofa des Cadillac, wo es nichts zu tun gibt, außer sich
selbst auf die Nasenspitze und sonst in die Gegen zu schauen, während man jemandem vorne
erklärt, wie gefahren werden soll. Manche schaffen es für ein Weilchen auf den
Rücksitz, anderen schwingen sich kurz aufs Trittbrett und brüllen zum Fenster
herein. Aber ich schweife ab. Oder doch nicht...
Chri Pirker
Zuerst ging es nach Bruck, um Chri Pirker zu treffen.
Schließlich nach Kapfenberg, wo Christian Hölbling dazu kam. Und dann diese ausufernde
Geselligkeit, um über "30 Jahre Podium" allerhand Gedanken
auszutauschen. Chri fragte mich, ob ich vom "Ventil" noch was habe.
(Ist das Wasser naß? Ist der Papst katholisch?) Das sei für sie damals eine Anregung
gewesen: Wenn die in der Oststeiermark sowas können, dann können wir das auch. Ihr Blatt
hieß "Gach".
Der "Ventil" war eine regionale
Kulturzeitung. In den späten 70ern und in den 1980ern erschien derlei als etwas
Radikales, denn Ortshonoratioren fanden es nicht so akzeptabel, daß ihre Deutungshoheit
Lücken bekam, da wir unsere eigenen Medienkanäle aufmachten. Das war also noch
Vor-Internet-Zeit und es verursachte einen vergleichsweise sehr hohen Arbeitsaufwand, um
an den Türhütern vorbeizukommen und via Medien am öffentlichen Diskurs teilzunehmen.
Der Blick ins Archiv hat mich eben erstaunt, weil ich mich
an viele Details nicht mehr erinnern kann. Im Jahr 1984 kam Post vom Stab des
Landeshauptmanns Josef Krainer, die einen von ihm beantragten Journalistenpreis
ankündigte: "Die Angabe des genauen Zeitpunktes der Preisverleihung wir in einer
gesonderten Benachrichtigung erfolgen."
Im Jahr davor hatte das Bundesministerium für
Unterricht und Kunst dem Ventil stattliche "10.000,-- (Schilling
zehntausend)" in Aussicht gestellt; unter dem Titel "Förderungspreis
zum Staatspreis für journalistische Leistungen im Interesse der Jugend 1982".
(Ziemlich romantischer Kram!)
Es ist lohnend, einige Rückschau zu halten und dabei zu
überprüfen, welche Inhalte, welche Arbeitsweisen, welche Strategien sich für die
Wissens- und Kulturarbeit in der Provinz bewährt haben und was wir hinter uns lassen
können. Was die Kapfenberger Kulturwerkstatt Podium angeht, hat sich über die
letzten 30 Jahre mehr als eine Ablöse ergeben. Pirker meinte, er sehe da nun -- wenn er
die erste sei -- schon die vierte Generation am Tun. (Das halte ich für ein gutes
Zeichen.)
Von links: Christian Hölbling,
Michi Feitl und Chri Pirker
Es empfiehlt uns Vorläufern, immer wieder neu zu
klären, welche nächsten Aufgaben relevant wären, denn es ist weder nötig, noch
sinnvoll, sich in den einst gewählten Vorhaben zu institutionalisieren. Da habe ich mit
beiden, Hölbling und Pirker, noch einigen Bedarf an Verständigung. Es ist
offensichtlich, daß wir nicht zur Mitgliedschaft in einem soziokulturellen
Kameradschaftsbund tendieren. Was sind also nächste Aufgaben von Gewicht?
-- [Transition 2018] -- |