7. November 2018

In meiner Notiz "Ich bin ein Papierfresser" hab ich kürzlich Stefan Zweigs "Die Welt von gestern" exemplarisch hervorgehoben. Diese bewegende Schilderung des Umbruchs vom 19. in das 20. Jahrhundert zeigt unter anderem, wie der Große Krieg von 1914 einem blühenden Europa in den Arm fiel. Die alten Eliten, allen voran Habsburger und Hohenzollern, verbrannten in ihren Expansionsbestrebungen völlig bedenkenlos die Früchte einer atemberaubenden Entwicklung. (Daß sie nach dieser enormen Fehlleistung die Bühne der Politik verlassen mußten, war ein lächerlich geringer Preis.)

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Gerade die Steiermark hatte im letzten Quartal des 19. Jahrhunderts technisch und wirtschaftlich viel erreicht, um der alten Rückständigkeit zu entkommen. Dieser Lebensraum wies "im Bereich der Alpenländer mit 34,1 Prozent den größten Anteil von Beschäftigten des Sekundärsektors im Betrieben mit mehr als 100 Mitarbeitern auf". So Andreas Resch und Reinhard Hofer in: "Österreichische Innovationsgeschichte seit dem späten 19. Jahrhundert" . Das heißt, hier war es gerade aus der Ärmlichkeit des agrarischen Lebens herausgegangen, da versenkte die Aristokratie diese Entwicklung.

Zur Orientierung, unter Primärsektor versteht man die Urproduktion (Land- und Forstwirtschaft etc.). Mit Sekundärsektor wird der industrielle Bereich bezeichnet. Der tertiärere ist der Dienstleistungssektor, Quartärsektor bezeichnet den Informationssektor.

Das erwähnte Buch hatte ich eben erst aus einem Antiquariat erhalten. Es stammt aus der Universitätsbibliothek der Wirtschaftsuniversität Wien und wurde dort laut Stempel am 6. März 2012 aus dem Bestand ausgeschieden. Solche Details mag ich sehr. Um solche Bücher zu bekommen, nutze ich heute einschlägige Antiquariats-Portale im Internet.

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Aber es gibt auch noch Antiquariate wie Mayrhofer-Schöningh, die schicken einem papierene Kataloge zu: "Freibleibendes Angebot". Ich gehöre in diesen Dingen offenkundig auch einer Welt von gestern an.

Mein Faible für Tom Kha Gai, einer thailändischen Suppe, führt mich bei regelmäßigen Besprechungen mit Informatiker Hermann Maurer oft in ein kleines Lokal im etwas entlegenen Ort Urscha. Dort haben wir jüngst diese Dynamik erörtert. Daß einen nämliche technische Innovationen andauernd überholen. Es sitze ja kaum noch jemand am Desktop, um Texte zu lesen, das laufe heute vor allem über Smartphones und Tablets. "Und wenn Du da einen Inhalt nicht passend darstellen kannst, ist das Publikum ziemlich schnell weg", sagte er.

Darum grübelt Maurer, wie er die Inhalte der Plattform Austria-Forum für die Zukunft auf technischer Ebene lesbar halten kann. Ich fahr dort in meinen Bereichen ja meist noch nach der Logik von alten HTML-Pages. "Sollten wir nicht eigentlich für eine Selbstbeschränkung eintreten, um die nutzbaren Kanäle überschaubar zu halten?" meinte ich. Facebook ist angeblich erledigt, ohne WhatsApp geht gar nichts, Instagram ist obligatorische und Linkedin läuft nebenher mit, Xing sowieso... Hallo? Wer kann das alles rezipieren, verarbeiten und dann auch noch überall Inputs liefern?

Ich bin aus Leidenschaft in meiner Literarität hart trainiert, aber ich kann und ich will nicht andauernd so viele Kanäle offen halten, überschauen und füttern. Da käme ich ja kaum noch zur primären Arbeit. Kann man nun in diesen Fragen auf die Bremse steigen, ohne in die Attitüde eines Maschinenstürmers zu fallen? Welche Position wäre in solchen Dingen vielversprechend, bevor man zum Kulturpessimisten wird?

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Ich nehme eine Metapher aus einem ganz anderen Bereich her. Als ich ein erstes Mal mit einem Allrad-Fahrzeug in schweres Gelände fuhr, hatte ich als Instruktor Altmeister Fredi Thaler zur Seite. Das stand im harten Kontrast zum populären Action-Kino, wo hartgesottene Burschen Autos von über zwei Tonnen Gewischt wie blöd durch die Gegend schmeißen, ohne sich dabei in einem Haufen Schrott einzurollen, Doch im realen Leben verlangt das nach der Beachtung des ersten Gebotes: Bremsbereit fahren.

Bevor es auf Abwege geht, wird also geklärt, wo die Bremse ist. (Naja, dazu kommt, daß der G-Wagon drei Sperrdifferentiale hat, die einzeln geschaltet werden können. Da kann man durchaus eine Komplexitätskrise bekommen, wenn grade der Horizont vor der Motorhaube verschwindet.)

Bremsbereit. Ich bin also ein Büchermensch. Und das ist ein Bereich der Langsamkeit. Der sinnliche Umgang mit den realen Artefakten ist täglich ein Stück meines Alltags. Das kommt übrigens teuer, denn meine Bibliothek belegt einen nennenswerten Teil des Wohnraumes, dessen Kosten dem freien Markt unterliegen.

Ich schätze freilich auch, was weltweit via Web an digitalisierten Werken in Form von PDF-Dateien verfügbar ist. Doch ich muß sie mir ausdrucken, wonach sie in Ordnern in meinen Regalen landen. Ich zweifle keineswegs daran, daß elektronische Lesegeräte allerhand Vorteile bieten, doch ich möchte mir in einem sehr emotionalen Zusammenhang meine Bücher nicht wegnehmen lassen.

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Da ich gerade an einem Buch über den Steyr-Puch Haflinger schreibe, lebe ich zwischen Stapeln ausgesuchter Bände. Was für eine Existenz wird das demnach werden? Eine heillos antiquierte Pose oder ein Ausdruck von Medienkompetenz in Zeiten rasender Innovationsschritte, durch die wir in eine völlig überbordende Infosphäre verwoben werden?

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