23. Oktober 2018 Kürzlich
war ein breit angelegtes Interview mit Bill Gates zu lesen, der dabei sehr interessante
Ansichten zu den Problemen Afrikas geäußert hat. Da er ein Mann meines Alters ist, war
ich darüber beunruhigt, wie alt der Mann heute aussieht. Dieser Eindruck schließt mich
ja ein. Abends konnte ich mich mit jemandem unterhalten, der mir ein paar Jahre voraus
hat. Er teilt meine kuriose Erfahrung. Wenn wir in den Spiegel blicken, bleiben wir
irritiert, weil das reale Altern die Ansichten vom Altwerden unterläuft. Ein
interessanter Effekt. (Überdies, so wie Gates heute aussieht: ist der ein früher,
unehelicher Sohn von Woody Allen?)
Ja, das Altern. Jüngst in der Kronenzeitung: Da
kannst Du noch was lernen! Madame zeigt, wie man über sich selbst redet, wo es eigentlich
gerade um jemanden anderen geht. Es macht mich freilich zum Thema Frauenleben
etwas nachdenklich, wenn eine betagte Dame, die für innerösterreichische Verhältnisse
als Star gehandelt wird, sich nach Jahrzehnten und in diesem späten
Lebensabschnitt immer noch über ihren verstorbenen Mann definiert. Da finde ich eine
andere alte Dame viel interessanter.
Ich hab mich nun fast zwei Jahre lang in Antiquariaten nach
dem Hausbuch der Stampferin umgesehen, das 1887 bei Hölder erschienen
ist, gedruckt von Leykam. In den 1980ern hatte ich einen Nachdruck davon in
Händen, als ich mit Recherchen zu einem Dokumentarfilm ("Auf Erz gebaut")
befaßt war. Es ist aber in letzter Zeit nichts auf dem Markt gewesen. Nun bekam ich einen
amerikanischen Nachdruck, der auf einem Exemplar der Harvard College Library
beruht.
Es sind die bewegenden Aufzeichnungen einer Radmeisters-Gattin
aus dem 17. Jahrhundert. Der Begriff Radmeister bezeichnet frühe Industrielle in
der Eisenverarbeitung, denen ein Radwerk gehörte, wobei Wasserräder als
Kraftquellen dienten. Das Pichl, also Büchel der Stampferin, "meinen
Khindtern zu einer Gedechtnus", gehört zu den eindrucksvollsten Stücken an
privater Literatur, die ich kenne.
Die vielfältige Alltagsarbeit, mal der Franzoß
und mal der Dhierk (Türke), mit denen Kriegsgefahr ins Land kamen, die Sorgen um
ein "guetts und eingerichts Rattwerch", um "Mill und Hauß und
Hoff", Krankheiten und Unfälle, dann aber auch etwa "unsser liebe
Dochter Maria Warbara Lauringin gestorben, wölliche 2 ganzer Jahr ist khranckh
gewöst", all das steht in so hartem Kontrast zu den betulichen Texten, die mir
zum früheren Leben gelegentlich unterkommen.
Ich hab dieser Tage auch in Hans Kloepfers "Joahrlauf"
gelesen, erstmals 1967 im Verlag der Alpenland-Buchhandlung erschienen, zu dem
uns Ernst (von) Dombrowski Holzschnitte lieferte, da sehen Mägde wie zarte Fotomodelle
aus. Die "Texte als Frucht der Mußestunden eines Landarztes" haben
etwas provokant Schönfärberisches, worin selbst die Erfahrung des Großen Krieges
noch als launiges Ereignis aufscheint, das fast lustig erzählt wird.
Die "Darstellung des Wissens von jenem
ursprunghaften Teil des steirischen Volkes" kann ich da bei Kloepfer nicht
entdecken, sondern eher Geraune über das Völkische bei den subalternen Schichten, wie es
auch Volkskundler Viktor (von) Geramb ab 1946 gerne publiziert hat. Kleiner Einschub:
Diese Vonnerei ist ja ganz bemerkenswert, wie also Spießbürger in Ignoranz des
heimischen Adelsaufhebungsgesetzes vom April 1919 manchen Honoratioren ihr "von"
erhalten und damit diese alte Spielart von Inklusion und Exklusion weitertreiben, also an
aufrechten Hierarchien arbeiten.
Vor einigen Tagen fand ich Gelegenheit zu einem
ausführlichen Gespräch mit Vescon Systemtechnik-Boss Heimo Reicher; siehe: "Das neue Maschinenzeitalter" (Gespräche zur industriellen
Revolution). Dabei waren wir auch bei der Frage, warum sich diese Gesellschaft immer noch
so viel Abschätzigkeit gegen über körperlicher Arbeit leiste, was wohl ein wesentlicher
Beitrag zu jenem Fachkräftemangel ist, der in heimischen Betrieben beklagt wird.
Ich denke, die oben angedeutet Marotte des Schönredens von
Leben und Arbeit, wie sie kleinbürgerliche Kreise nun schon über viele Jahrzehnte
pflegen, ist ein wesentlicher Beitrag, um, dieses Problem lebendig zu halten. Es drückt
eine merkwürdige Form der Absatzbewegung von eigenen sozialen Wurzeln aus. (Aber wer
würde zugleich lauter von Identität und kulturellen Wurzeln reden?)
Ich hab selbst allerhand Erfahrungen mit radikalen
Aufsteigern sammeln dürfen, die wirtschaftlich reüssiert haben und sich etwa über die
Zuwendung zur Kunst als Bildungsbürger hervortun. Da kommt gelegentlich eine
aggressive Abwehr der Erinnerung an die subalterne Herkunft ins Spiel.
Dürfen denn nun die Dinge sein, was sie sind? Das kommt
eben darauf an. Bei anderen Gelegenheiten wird Herkunft extra betont. Das fiel mir etwa
bei dieser Wasabi-Paste auf: "Stolz in Japan hergestellt". Hier fällt
mir wieder ein, wie gerne in Österreich die Begriffe Heimat und Vaterland
als synonym angesehen werden, dabei sind das zwei völlig verschiedene Kategorien.
Aber wir halten ja auch ebenso gerne Ethnos und Demos
für einigermaßen gleichbedeutend. Vielleicht könnten wir langsam doch beginnen,
wenigstens auf kulturellen Feldern wieder für etwas mehr begriffliche Klarheit zu sorgen,
anstatt bloß darüber zu lamentieren, daß rechtspopulistische Formationen den gesamten
einschlägigen Begriffskatalog höchst erfolgreich rauf und runter mißbrauchen, also die
Begriffe völlig beliebig nützen... Siehe dazu auch: "Rosa, Rosae, Rosae..." (Wozu über die Antike nachdenken?) |