11. Oktober 2018 Da kam
nun der Todestag eines radikalen Aufsteigers daher. Er hat in Österreichs Politik, was
Nationalismus und Propaganda angeht, neue Maßstäbe gesetzt. Das wurde aktuell für
einige Funktionäre Anlaß, in Interviews und Dialogen den Begriff der deutschen
Kulturgemeinschaft besonders zu betonen, hinter der ein Wort wie Volksgemeinschaft
schimmert.
Vaterländische Exponenten bringen es heute meist gar nicht
mehr so weit. Sie kommen auch ohne solide Ideologie und traditionelle Geschichtsklitterung
gut zurecht. Sie brüllen einfach "Wir sind das Volk!", um etwas Völkisches
geltend zu machen. Eigentlich müßte es ja "Wir sind das Völkchen!"
heißen, denn ihr Anteil an einem Staatsvolkes macht bisher nicht einmal ein Viertel aus.
Es ist eine von mehreren Subkulturen.
Posen. Es kursierten vom radikalen Aufsteiger seinerzeit
Fotos, die ihn mit nacktem Oberkörper zeigten. Eine beliebte Attitüde. (Der Führer ist
ein Kerl!) Ich war erst kurz auf der Welt, als die Presse berichtete, daß der chinesische
Vorsitzende und Massenmörder Mao Zedong "Volksnähe" und Männlichkeit
demonstriert habe, indem er in die Fluten des Jangtse gestiegen sei; so Die Zeit
vom 29. August 1957. Im Juli 1966 soll Mao das, über 70 Jahre alt, erneut getan haben, um
seine Virilität zu demonstrieren.
Von Mussolini kennt man derlei Posen ebenfalls: halbnackt,
muskulös, finster blickend. Die Daily Mail schrieb im Jahr 2017 über Mussolini:
"He was a violent lover who demanded sex constantly. [...] The only love-making he
understood was tantamount to rape." [Quelle] (Der Führer ist ein Kerl!)
Für Hitler war das allerdings nichts. Der ließ andere
Leute demonstrativ mit den Muskeln spielen, sorgte allerdings dafür, daß der Duce
aufgeknüpft wurde. Man könnte sagen: Eine Art Kerl-Pose zweiten Grades,
während er freilich -- reichlich bekleidet und weitgehend ohne Lametta auf der Brust --
gerne vor den Massen grimassierte, brüllte, herumhampelte.
Rußlands Putin hat es noch überhöht, gab uns den Zentauren,
ließ sich halbnackt auf einem Pferd fotografieren. Selbst der betagte Frank Stronach
posierte während seiner politischen Kampagnen in Österreich gelegentlich ohne Hemd. Die
Gazette Österreich titelte im August 2013 online "HC & Frank im
Nackt-Duell", bot neben Stronach in Bodybuilder-Pose einen Strache im
Höschen auf. (Der Führer ist ja doch ein Kerl!)
Das dürfen natürlich nur die wenigen Alpha-Männchen in
führender Position. Die Subalternen brauchen andere Lösungen für ein adäquates
Grimassieren, Brüllen, Herumhampeln. Das Betonen einer Zugehörigkeit zur deutschen
Kulturgemeinschaft halte ich in diesem Sinn für zweierlei. Erstens für ein
Äquivalent zum halbnackten Posieren, also die Abwandlung einer Kraftlackel-Nummer,
welche anderen imponieren, wahlweise sie einschüchtern soll. Zweitens für ein freche
Konstruktion, die seit Ende des 19. Jahrhunderts boomt, sich aber in keinem einzigen
Beispiel beeindruckender kultureller Phänomene eingelöst hat.
Da komme mir nun niemand mit Goethe, Schiller, Kant und
Konsorten, denn die waren keine "Menschen des Volkes" und ihre Werke haben für
das Konzept von deutscher Kulturgemeinschaft nichts Konstituierendes.
Wo und was ist sie denn nun, die deutsche
Kulturgemeinschaft? Ich wüßte zum Beispiel nicht, was etwa bayrische und
hanseatische Menschen kulturell gar so gemeinsam hätten. Wie gingen da die Leute aus der
Lüneburger Heide drunter? (Verstehen Sie eigentlich Platt?) Und wie die
Schwaben? Was hätte es dabei mit dem Elsaß auf sich? Ließe sich ferner die englische
Floskel German Angst als Bezeichnung für eine angeblich typische deutsche
Zögerlichkeit auf alle Menschen in Deutschland anwenden, womöglich Österreich
eingeschlossen?
Das Gerede von der deutschen Kulturgemeinschaft
hat mehr mit Kaffeesud-Lesen zu tun als sonst mit irgendwas. Die Presse berichtete 2011,
daß man sich in der FPÖ zur "deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft"
bekenne. Das sind feuchte Träume von zu klein geratenen Herrschaften mit wackeligem Ego.
Man wird mindestens in der Ethnologie heute auf keinen Nenner kommen, falls man eine "deutschen
Sprach- und Kulturgemeinschaft" spezifizieren möchte, um sie einem Diskurs klar
darzustellen, der in intellektueller Selbstachtung geführt wird.
In jenem Bericht von 2011 heißt es, daß man sich zu einer
Kultur bekenne, "die auf der griechischen Philosophie, dem römischen Recht, dem
germanischen Freiheitswillen, dem Judentum, dem Christentum und der Weiterentwicklung
durch Reformation, Humanismus und Aufklärung fußt". [Quelle]
Das ist, um es moderat auszudrücken, eine sehr romantische
Verklärung "unserer Kultur", wie ich sie bestenfalls als
Rosinen-Picken bezeichnen würde. Man nimmt sich ganz nach eigenem Geschmack die
süßesten Früchtchen aus einem fulminanten Kompott und mischt sich daraus seinen
persönlich bevorzugten Rumtopf, der einen trunken macht, der einem ein Lächeln ins
Gesicht zaubert. (Immerhin markiert es das Zeitfenster, in dem Strache und Konsorten ihre
historischen Referenzpunkte suche. Es gilt ab den Germanen.)
Ich bin der Überzeugung, jeder Mensch habe spirituelle und
kulturelle Bedürfnisse, die nach eigener Facon ausgelebt werden möchten. Darin darf
niemand bedrängt werden. Es muß einem völlig freistehen, welche Inhalte und Codes man
dabei bevorzugt. So gesehen halte ich derlei völkische Auffassungen für eine Art von Folklore
und in diesem Sinn für unanfechtbar. (Man darf das in einer Demokratie, muß es dürfen
dürfen.)
Polemisch verkürzt: Die Deutschtümelei ist eine
Spielart von Folklore, aber sie drückt kein kulturelles Konzept aus, das einer
ernsthaften Debatte und Untersuchung standhalten würde. Sie ist bloß ein bewährter
Haltegriff für Haltlose, die sich gerne auf Kultur berufen, ohne an Fragen der Kultur
bedeutendes Interesse zu zeigen.
Aus dem Wort Wir läßt sich nichts gut
Aussprechbares ableiten, das sich als Bezeichnung eignen würde: "Wirismus"?
"Wirerei"? Das wird nichts! Dabei haben die "Wiranten"
nun schon so lange auffallenden Zulauf. Viele von ihnen schreien
"Lügenpresse!", wenn sie auf Nachrichten stoßen, die ihren Ansichten
widersprechen, die ihnen in ihrem Bedürfnis nach Komplexitätsreduktion zum Ärgernis
werden.
Darin scheinen sich Wiranten und Nationalstolzisten
einig. Dieses Europa ist ihnen viel zu kompliziert und vielfältig. Darum möchten sie ein
"Europa der Vaterländer", in dem alles seine unverkennbare Schublade
hat. Auf die Art wäre Europa freilich über Jahrtausende das geblieben, was es
topographisch ist: ein kleines Gärtlein am Rande des eurasischen Riesen. So hätte es
nicht einmal zum "christlichen Abendland" gereicht. (Woher stammt
Paulus? Aus Tarsus?)
Eine "Ethnologogie Europas", wie sie
Dieter Kramer entworfen hat, würde etwa Strache, Kickl und Gefolgschaft schlicht zu viel
Zeit abverlangen, um das auch nur ansatzweise darzustellen. Europa! Solche Komplexität
innerhalb einer globalisierten Wirtschaft und innerhalb globaler kultureller Phänomene.
Das geht sich nie aus, wenn man mit Straches Redezeit zurechtkommen sollte oder wenn man
es gar wie Kickl machen muß: "Daham statt Islam!"
Darum reden diese Leute auch gerne von der Heimat.
In Straches Facebook-Präsenz finden Sie den Satz: "FPÖ - Die soziale
Heimatpartei - Aus Liebe zu unserer Heimat!" Wer freilich unsere Kultur und
Geschichte kennt, sie ernst nimmt, wird wissen, das Wort Heimat meint eigentlich
nicht ein Land, eine Nation. Alte Leute aus der agrarischen Welt bezeichnen mit Heimat
das Haus, die Landwirtschaft, von der sie stammen: das Hoamatl. Der Begriff
konnte freilich auch den Ort, die Gemeinde der eigenen Herkunft meinen, bestenfalls ein
Tal, aber nicht einen ganzen Staat. Heimat ist also ein Begriff des Kleinräumigen,
des persönlich Überschaubaren. Wie aufschlußreich, wenn ihn jemand auf den ganzen Staat
Österreich anwendet, sich also das Land kleinredet und für eigene Zwecke zurechtrückt.
Einst konnte die Maschinenstürmerei das
Maschinenzeitalter nicht aufhalten. (Wir erleben gerade die Vierte Industrielle
Revolution.) Natürlich wird auch die Deutschtümelei den Lauf der Dinge und
die Entwicklung Europas nicht aufhalten, wird sie die zunehmende Erosion des Nationalismus
nicht bremsen. Bleibt zum Beispiel die Frage, was nun eine seriöse Wissens- und
Kulturarbeit beitragen kann, um die Schäden an Menschen zu mindern, wo die aggressive
Komplexitätsreduktion der Nationalstolzisten und Wiranten
Menschenverachtung in politische Praxis überführt.
Post Scriptchen:
Einige erhellende Momente in der Begegnung von Rudolf Fußi, Wolfgang Fellner und Gerald
Grosz im Oktober 2018: [link]
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