15. September 2018

Da lächelt der Nationalstolzist und der Juhudler applaudiert. Alles ist gut! Endlich nächste Klarheit! Wir sind okay, denn wir sind wir. Wem das nicht paßt, der kann ja. Notfalls helfen wir beim Können. Gerne! Wir nehmen die Herausforderung an. Wir sind Kulturkampf!

 log2535a.jpg (24887 Byte)

[Quelle: Keine Zeitung]

Es ist dummdreist, den Begriff Kulturkampf als Flagge über eine notwendige Debatte zu hängen, die sich nicht nur, aber derzeit sehr wesentlich daran entzunden hat, daß manche muslimische Menschen in Österreich mit ihrem Verhalten für Konfrontationen und Konflikte sorgen.

Ich will nicht einmal bezweifeln, daß diese Konflikte in manchen Häusern längst zu einem sehr großen Problem für alle Beteiligten wurden. Aber man muß schon ein Agent der Dummheit sein oder fragwürdige Absichten haben, um diese Angelegenheit mit dem Begriff Kulturkampf zu belegen.

Es ist ein dubioses Framing dieser Kampagne, die ja auch ganz andere Überschriften erhalten könnte, sachlichere, solche, die dem Problemkomplex auf seriöse Art gerecht werden. Aber offenbar ging es sowohl dem Verlag als auch anderen Medienleute vor allem um einen Wow-Effekt und um Quote.

Also setzen diese Kriegsberichterstatter einer Spießer-Kultur auf ein Reizwort, das postwendend deutliche Reaktionen hervorruft, keineswegs bloß vorteilhafte. Ich habe zum Buch von Susanne Wiesinger nichts zu sagen, denn ich habe a) es nicht gelesen und b) einige Interviews mit der Autorin gehört, worin sie kohärente und nachvollziehbare Argumente vorgelegt hat.

log2535b.jpg (20556 Byte)

Sensationsfreudiges Framing eines ernsten Themas

Aber was soll denn dabei ein Kulturkampf sein? Kämpfen da zwei Kulturen? Und falls das überhaupt möglich wäre, welche sollten das sein? Etwa die abendländische und die morgenländische Kultur? Gibt es die überhaupt? Nein, die gibt es auf solche Art nur in den Köpfen von Eiferern, denen die reale Geschichte Europas offenbar völlig schnuppe ist.

Was an diesen und jenen Kulturen unterscheidbar ist, kommt meist ganz wesentlich aus der Koexistenz eben jener Kulturen. Der Unterschied ist anregend, das Gemeinsame könnte hilfreich sein, wo Konflikte entbrennen. Aber was gibt es dann? Was wird da als Konfliktlage erlebt, in der es ganz konkrete, dokumentierte Vorfälle gibt? Wovon sollte die Rede sein?

Ich halte es für einen "Kampf der Ideologien", der sich INNERHALB einer Kultur ereignet, in der sich erkennbar einige Minoritäten provokante Schritte leisten, was eine zahlenmäßige Übermacht anscheinend im Selbstbewußtsein erschüttert. Interessensgruppen, die verschiedenen Ideologien anhängen, verschiedenen Ideen, verschiedenen Menschen- und Weltbildern, wetteifern, kollidieren, bekämpfen sich mitunter.

Wo das Personal von verschiedenen Institutionen, aus welchen Gründen auch immer, diesen Vorfällen nicht gewachsen ist, werden solche Konflikte hochgehen. Also wäre zu klären, was genau sich ereignet, was dagegen helfen könnte und woher die Mittel dazu kommen sollen, denn jede Problembewältigung verlangt gewöhnlich nach Ressourcen.

Wer aber soziale Unruhe und derlei Konfliktlagen zu einem Kampf der Kulturen hochredet, um dabei auch anzudeuten: "Ich stehe im Lager der relevanten Kultur, die andere, diese inferiore Kultur, von der wir angegriffen werden, ist von Übel", wer so vorgeht, täuscht sich und andere über Ursachen, Wirkungen und Lösungsmöglichkeiten.

In solcher Logik wären dann beispielsweise auch notorische Alko-Lenker, großspurige Steuerflüchtlinge oder autochthone Männer, welche Frauen und Kinder mißhandeln, die Fußtruppen von Kulturkämpfen. (Davon haben wir in Europa weit mehr als Muslime.)

Ich bin kein Pädagoge, stehe nicht in einer belasteten Unterrichtssituation, hab also zu diesen Aspekten der Probleme in Klassenzimmern nichts beizutragen. Das möge die Lehrerschaft mit dem politischen Personal, den Eltern, aber vor allem mit den Kindern regeln. Dazu sollte ein Berufsstand früher oder später fähig sein und wer es nicht ist, muß vermutlich das Feld räumen. So ist es ja in jeder Profession.

Aufgaben, Zielsetzungen und Bedingungen ändern sich. Irgendwann muß man auf der Höhe der Zeit ankommen oder zur Seite treten, den Job wechseln. Aber ich bin ein Künstler, kann also -- berufsbedingt -- einiges zur Kultur sagen. Also sage ich erst einmal: Es gibt keinen Kulturkampf, weil es keine konkurrierenden, sich bekämpfenden Kulturen gibt, schon gar keine "muslimische Kultur", die eine "christliche Kultur" angreifen würde.

Was uns allenfalls manche muslimische Eiferer an Kampfansagen zustellen und an Gewalt androhen, ist für mich die lächerliche Post von entweder zerrütteten Menschen, die professionelle Hilfe bräuchten, oder von skrupellosen Verbrechern; mit allen Mischformen, die man dabei finden mag.

log2535c.jpg (29015 Byte)

Von Aristoteles zu Ibn Ruschd zu Thomas von Aquin zu Josef Pieper

Von solchen Kanaillen nehme ich keine Kampfansage entgegen und sie stehen auch nicht im Lager irgendeiner Kultur, für die sie sprechen oder gar kämpfen könnten. Sie stehen bloß im Gärtchen einer radikalen Interessensgruppe, die ihre bevorzugte Ideologie durchsetzen möchte, notfalls mit Gewalt. Das ist kein adäquates Verhalten eines Menschen auf der Höhe menschlicher Möglichkeiten. Das ist Devianz, die man in letzter Konsequenz ohnehin nur auf zwei Arten stoppen kann: abschrecken oder entwaffnen.

Diese Kultur, UNSERE KULTUR, ist das, was aus sehr viel mehr als tausend Jahren intensiver WECHSELBEZIEHUNGEN zwischen "morgenländischen" und "abendländischen" Menschen eines weltoffenen geistigen Lebens entstanden ist. Sie ist das Ergebnis der Koexistenz ganz verschiedener kulturelle Phänomene und Lebensformen, natürlich auch verschiedener, zuweilen kontroversieller Denkschulen und Konfessionen. Davon hat Europa immer profitiert.

Die "Kultur des Abendlandes" ist nichts "rein Abendlänisches" auch nichts "rein Christliches", sondern ein Amalgam aus endlosem Staunen, Fragen, Forschen, Erproben und ein sich untereinander Austauschen von Menschen, die teils unter dem Kreuz und teils unter dem Halbmond gelebt haben. (Davon übrigens nicht wenige unter dem Byzantinischen Kreuz der Orthodoxie mit seinen drei Kreuzarmen, davon der unterste schräggestellt.)

Der christliche Philosoph Josef Pieper leitete sein Buch "Muße und Kult" mit dem Hinweis ein, daß eines der Fundamente der abendländischen Kultur die Muße sei, was wir schon aus dem ersten Kapitel der Metaphysik des Aristoteles erführen. Piepers Buch handelt nicht nur davon, sondern auch von der Auseinandersetzung des Thomas von Aquin mit dem Werk von Aristoteles, welches er im 13. Jahrhundert für Europa wieder erschließen wollte. Diese Arbeit war nicht deshalb nötig, weil uns im Westen die meisten der maßgeblichen antiken Schriften verlorengegangen waren, sondern weil die katholische Kirche durch ihre strikten Reglements das geistige Leben in Europa für Jahrhunderte weitgehend lahmgelegt hatte.

Spätestens ab dem 12. Jahrhundert wurde freies Denken von kirchlicher Seite mit einem immer höheren Preis belegt, was oft auch das Leben der Denkenden kostete. Das Schicksal von Pierre Abaelard steht symbolhaft dafür, wie es Denkern ergehen konnte, wenn sie den kirchlichen Würdenträgern Widerspruch zumuteten, sich etablierten Lehrmeinungen und kanonisierten Anschauungen widersetzten.

log2535d.jpg (23594 Byte)

Kunsthistoriker Hans Belting

In jener Zeit war die arabische Geisteswelt unserer weit überlegen, vor allem aber eine wichtige Quelle etwa der antiken Texte. Übersetzungen ins Arabischer und Kommentare von arabischen Gelehrten wurden für unsere Leute zur Quelle, aus der Europa einen bedeutenden Teil seiner Geistesgeschichte zurück erhielt; ganz zu schweigen vom jeweils aktuellen Austausch der Ideen und Überlegungen.

Womit wäre denn Europa ohne arabische Mathematik in die Renaissance gelangt? Woher hätten unsere Leute die Idee der Zentralperspektive bezogen ohne eine arabische Theorie? Wie hätten Diderot, Rousseau und Voltaire ihre Beiträge zur Aufklärung in Gang gebracht ohne das Denken von Al-Jazari, Al-Kindi, al-Razi und Ibn Rushd?

Und da ich ein gewesener Lehrbub bin, der in seiner Berufschulzeit mit dem Thema Buchhaltung hart gerungen hat: Mit den römischen Ziffern und ohne die Idee von der Null wäre doppelte Buchführung und der fulminante wirtschaftliche Aufschwung Europas gerade in der Renaissance nicht zu machen gewesen. Das Dezimalsystem, die arabischen Ziffern und das Konzept der Null haben unsere morgenländischen Nachbarn übrigens aus den kulturellen Wurzeln Indiens bezogen...

-- [Spurwechsel] --

[kontakt] [reset] [krusche]