15. September 2018 Da
lächelt der Nationalstolzist und der Juhudler applaudiert. Alles ist
gut! Endlich nächste Klarheit! Wir sind okay, denn wir sind wir. Wem das nicht
paßt, der kann ja. Notfalls helfen wir beim Können. Gerne! Wir nehmen die
Herausforderung an. Wir sind Kulturkampf!
[Quelle: Keine Zeitung]
Es ist dummdreist, den Begriff Kulturkampf als
Flagge über eine notwendige Debatte zu hängen, die sich nicht nur, aber derzeit sehr
wesentlich daran entzunden hat, daß manche muslimische Menschen in Österreich mit ihrem
Verhalten für Konfrontationen und Konflikte sorgen.
Ich will nicht einmal bezweifeln, daß diese Konflikte in
manchen Häusern längst zu einem sehr großen Problem für alle Beteiligten wurden. Aber
man muß schon ein Agent der Dummheit sein oder fragwürdige Absichten haben, um diese
Angelegenheit mit dem Begriff Kulturkampf zu belegen.
Es ist ein dubioses Framing dieser Kampagne, die
ja auch ganz andere Überschriften erhalten könnte, sachlichere, solche, die dem
Problemkomplex auf seriöse Art gerecht werden. Aber offenbar ging es sowohl dem Verlag
als auch anderen Medienleute vor allem um einen Wow-Effekt und um Quote.
Also setzen diese Kriegsberichterstatter einer
Spießer-Kultur auf ein Reizwort, das postwendend deutliche Reaktionen hervorruft,
keineswegs bloß vorteilhafte. Ich habe zum Buch von Susanne Wiesinger nichts zu sagen,
denn ich habe a) es nicht gelesen und b) einige Interviews mit der Autorin gehört, worin
sie kohärente und nachvollziehbare Argumente vorgelegt hat.
Sensationsfreudiges Framing eines
ernsten Themas
Aber was soll denn dabei ein Kulturkampf sein?
Kämpfen da zwei Kulturen? Und falls das überhaupt möglich wäre, welche sollten das
sein? Etwa die abendländische und die morgenländische Kultur? Gibt es
die überhaupt? Nein, die gibt es auf solche Art nur in den Köpfen von Eiferern, denen
die reale Geschichte Europas offenbar völlig schnuppe ist.
Was an diesen und jenen Kulturen unterscheidbar ist, kommt
meist ganz wesentlich aus der Koexistenz eben jener Kulturen. Der Unterschied ist
anregend, das Gemeinsame könnte hilfreich sein, wo Konflikte entbrennen. Aber was gibt es
dann? Was wird da als Konfliktlage erlebt, in der es ganz konkrete, dokumentierte
Vorfälle gibt? Wovon sollte die Rede sein?
Ich halte es für einen "Kampf der
Ideologien", der sich INNERHALB einer Kultur ereignet, in der sich erkennbar
einige Minoritäten provokante Schritte leisten, was eine zahlenmäßige Übermacht
anscheinend im Selbstbewußtsein erschüttert. Interessensgruppen, die verschiedenen
Ideologien anhängen, verschiedenen Ideen, verschiedenen Menschen- und Weltbildern,
wetteifern, kollidieren, bekämpfen sich mitunter.
Wo das Personal von verschiedenen Institutionen, aus
welchen Gründen auch immer, diesen Vorfällen nicht gewachsen ist, werden solche
Konflikte hochgehen. Also wäre zu klären, was genau sich ereignet, was dagegen helfen
könnte und woher die Mittel dazu kommen sollen, denn jede Problembewältigung verlangt
gewöhnlich nach Ressourcen.
Wer aber soziale Unruhe und derlei Konfliktlagen zu einem Kampf
der Kulturen hochredet, um dabei auch anzudeuten: "Ich stehe im Lager der
relevanten Kultur, die andere, diese inferiore Kultur, von der wir angegriffen werden, ist
von Übel", wer so vorgeht, täuscht sich und andere über Ursachen, Wirkungen
und Lösungsmöglichkeiten.
In solcher Logik wären dann beispielsweise auch notorische
Alko-Lenker, großspurige Steuerflüchtlinge oder autochthone Männer, welche Frauen und
Kinder mißhandeln, die Fußtruppen von Kulturkämpfen. (Davon haben wir in
Europa weit mehr als Muslime.)
Ich bin kein Pädagoge, stehe nicht in einer belasteten
Unterrichtssituation, hab also zu diesen Aspekten der Probleme in Klassenzimmern nichts
beizutragen. Das möge die Lehrerschaft mit dem politischen Personal, den Eltern, aber vor
allem mit den Kindern regeln. Dazu sollte ein Berufsstand früher oder später fähig sein
und wer es nicht ist, muß vermutlich das Feld räumen. So ist es ja in jeder
Profession.
Aufgaben, Zielsetzungen und Bedingungen ändern sich.
Irgendwann muß man auf der Höhe der Zeit ankommen oder zur Seite treten, den Job
wechseln. Aber ich bin ein Künstler, kann also -- berufsbedingt -- einiges zur Kultur
sagen. Also sage ich erst einmal: Es gibt keinen Kulturkampf, weil es keine
konkurrierenden, sich bekämpfenden Kulturen gibt, schon gar keine "muslimische
Kultur", die eine "christliche Kultur" angreifen würde.
Was uns allenfalls manche muslimische Eiferer an
Kampfansagen zustellen und an Gewalt androhen, ist für mich die lächerliche Post von
entweder zerrütteten Menschen, die professionelle Hilfe bräuchten, oder von skrupellosen
Verbrechern; mit allen Mischformen, die man dabei finden mag.
Von Aristoteles zu Ibn Ruschd zu
Thomas von Aquin zu Josef Pieper
Von solchen Kanaillen nehme ich keine Kampfansage entgegen
und sie stehen auch nicht im Lager irgendeiner Kultur, für die sie sprechen oder gar
kämpfen könnten. Sie stehen bloß im Gärtchen einer radikalen Interessensgruppe, die
ihre bevorzugte Ideologie durchsetzen möchte, notfalls mit Gewalt. Das ist kein
adäquates Verhalten eines Menschen auf der Höhe menschlicher Möglichkeiten. Das ist Devianz,
die man in letzter Konsequenz ohnehin nur auf zwei Arten stoppen kann: abschrecken oder
entwaffnen.
Diese Kultur, UNSERE KULTUR, ist das, was aus sehr viel
mehr als tausend Jahren intensiver WECHSELBEZIEHUNGEN zwischen
"morgenländischen" und "abendländischen" Menschen eines weltoffenen
geistigen Lebens entstanden ist. Sie ist das Ergebnis der Koexistenz ganz verschiedener
kulturelle Phänomene und Lebensformen, natürlich auch verschiedener, zuweilen
kontroversieller Denkschulen und Konfessionen. Davon hat Europa immer profitiert.
Die "Kultur des Abendlandes" ist nichts "rein
Abendlänisches" auch nichts "rein Christliches", sondern ein
Amalgam aus endlosem Staunen, Fragen, Forschen, Erproben und ein sich untereinander
Austauschen von Menschen, die teils unter dem Kreuz und teils unter dem Halbmond gelebt
haben. (Davon übrigens nicht wenige unter dem Byzantinischen Kreuz der Orthodoxie
mit seinen drei Kreuzarmen, davon der unterste schräggestellt.)
Der christliche Philosoph Josef Pieper leitete sein Buch "Muße
und Kult" mit dem Hinweis ein, daß eines der Fundamente der abendländischen
Kultur die Muße sei, was wir schon aus dem ersten Kapitel der Metaphysik
des Aristoteles erführen. Piepers Buch handelt nicht nur davon, sondern auch von der
Auseinandersetzung des Thomas von Aquin mit dem Werk von Aristoteles, welches er im 13.
Jahrhundert für Europa wieder erschließen wollte. Diese Arbeit war nicht deshalb nötig,
weil uns im Westen die meisten der maßgeblichen antiken Schriften verlorengegangen waren,
sondern weil die katholische Kirche durch ihre strikten Reglements das geistige Leben in
Europa für Jahrhunderte weitgehend lahmgelegt hatte.
Spätestens ab dem 12. Jahrhundert wurde freies Denken von
kirchlicher Seite mit einem immer höheren Preis belegt, was oft auch das Leben der
Denkenden kostete. Das Schicksal von Pierre Abaelard steht symbolhaft dafür, wie es
Denkern ergehen konnte, wenn sie den kirchlichen Würdenträgern Widerspruch zumuteten,
sich etablierten Lehrmeinungen und kanonisierten Anschauungen widersetzten.
Kunsthistoriker Hans Belting
In jener Zeit war die arabische Geisteswelt unserer weit
überlegen, vor allem aber eine wichtige Quelle etwa der antiken Texte. Übersetzungen ins
Arabischer und Kommentare von arabischen Gelehrten wurden für unsere Leute zur Quelle,
aus der Europa einen bedeutenden Teil seiner Geistesgeschichte zurück erhielt; ganz zu
schweigen vom jeweils aktuellen Austausch der Ideen und Überlegungen.
Womit wäre denn Europa ohne arabische Mathematik in die
Renaissance gelangt? Woher hätten unsere Leute die Idee der Zentralperspektive
bezogen ohne eine arabische Theorie? Wie hätten Diderot, Rousseau und Voltaire ihre
Beiträge zur Aufklärung in Gang gebracht ohne das Denken von Al-Jazari, Al-Kindi,
al-Razi und Ibn Rushd?
Und da ich ein gewesener Lehrbub bin, der in seiner
Berufschulzeit mit dem Thema Buchhaltung hart gerungen hat: Mit den römischen
Ziffern und ohne die Idee von der Null wäre doppelte Buchführung und
der fulminante wirtschaftliche Aufschwung Europas gerade in der Renaissance nicht zu
machen gewesen. Das Dezimalsystem, die arabischen Ziffern und das Konzept der Null haben
unsere morgenländischen Nachbarn übrigens aus den kulturellen Wurzeln Indiens bezogen...
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