4. September 2018

In der überaus unterhaltsamen Komödie Tag" (2018, bei uns: „Catch me!") von Jeff Tomsic hört man anfangs aus dem Off ein Zitat, das im Film erst einmal Benjamin Franklin zugeschrieben wird. Reggie wird später erklären, daß es nicht von Franklin, sondern vom deutschen Karl Gross stamme. Anthropologe? Soziologe? Ich konnte ihn nicht dingfest machen.

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In mehr als einer Zitatensammlung im Internet finde ich: „Menschen hören nicht auf zu spielen, weil sie alt werden, sie werden alt, weil sie aufhören zu spielen!" mit der Quellenangabe Oliver Wendell Holmes, einem US-amerikanischer Arzt und Essayist.

Es ist ein freundliches Bonmot: "Wir hören nicht auf zu spielen, weil wir alt werden. Wir werden alt, weil wir aufhören zu spielen". Helmut Pfleger meinte 2017 in seinem Text über Schach, erschienen in der „Zeit", das habe die Schauspielerin Helen Hayes gesagt. Mag so sein. Für sie dürfte George Bernard Shaw berufsbedingt ein Begriff gewesen sein. Der wird nämlich auch oft als Quelle genannt.

Eckart von Hirschhausen schrieb für den „Spiegel" (Wissen 2, 2010, Abenteuer Schule) den Aufsatz „In Pein und Peinlichkeit" (Pubertät ist für Jugendliche die Zeit, in der die Eltern schwierig werden.) Darin nennt er George Bernard Shaw als Urheber von „Wir hören nicht auf zu spielen, wie wir älter werden. Wir werden alt, weil wir aufhören zu spielen."

Dieser Meinung ist ebenso Martin Korte in seinem Buch „Wir sind Gedächtnis" (Wie unsere Erinnerungen bestimmen, wer wir sind) Anne M. Schüller nennt in ihrem Buch „Touch. Point. Sieg.: Kommunikation in Zeiten der digitalen Transformation" gleichfalls Shaw.

Was ich damit sagen möchte? Erstens halte ich das Spielen für die radikalste Form des Lernens. Es ist auf eine Art zum Erfahrungs- und Wissenserwerb geeignet, wie kaum eine andere Beschäftigung. Zweitens hat das auch für die Kunst erhebliche Bedeutung. Das war einer der Punkte, den ich kürzlich mit Künstler Niki Passath in einem kleinen Symposion in der Grazer ESC erörtert habe.

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Willy Rast (links) und Niki Passath in der ESC

Sein Projekt "theatrum mundi" wurde von Elisabeth Saubach und Iris Kasper kuratiert und im Theoriebereich begleitet. Für mich eine sehr willkommene Verknüpfung, da ich schon 2017 von Passath nicht nur wesentliche Anregungen übernommen hatte, sondern auch das vorjährige Kunstsymposion nach einer Arbeit von ihm benannt habe: Artist Is Obsolete".

In der Kunst sind Strategien und Verfahrensweisen spielerischer Art nicht nur zulässig, sondern unverzichtbar im Repertoire der möglichen Modi. In anderen Lebens- und Arbeitsbereichen gilt das für Erwachsene als verpönt. Da wäre also einerseits über Strategien der Kunst zu reden, andrerseits darüber, daß es seit dem Dreißigjährigen Krieg eine gut dokumentierte Geschichte einer Disziplinierung der Bevölkerung gibt. Dieses Großereignis, im Haus Habsburg unter der Flagge der Gegenreformation, dürfte in sozialen und mentalitätsgeschichtlichen Konsequenzen bis in die Gegenwart nachweisbar sein.

Andere Markierungen finden wir in der Renaissance, wo allerhand eifrige Sekretäre sich ihren Fürsten mit Denkschriften angedient haben, die zu einem guten Teil stets auch der Disziplinierung des Pöbels gewidmet waren.

Das reicht dann bis in die Lebenswelt meiner Großeltern, als noch das Heer als Schule der Gesellschaft verstanden wurde und der Typus Soldatischer Mann als Ideal galt. Der Faschismus hätte ohne solche Konzepte nichts werden können.

Dazu paßt die fast schon hysterische Intellektuellenfeindlichkeit der Nazi-Kanaillen, die in zeitgemäßen Varianten gerade wieder Feste feiert. Da ist es nur konsequent, daß ich selbst in meinem Milieu Kunst- und Kulturschaffender oft die Gelegenheit habe, das Attribut "abgehoben" oder "arrogant" zu kassieren. Wissenserwerb, also ein Prozeß, der von Mühen und Zeitaufwand handelt, ist vielen Menschen suspekt, vor allem aber lästig. Da wird lieber gefühlt, empfunden und es geht wieder ein Raunen durch die Debatten.

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Georg Kurtz

Gängiger Modus: "Du verstehst nicht, was ich sagen will." "Doch! Aber ich stimme dir nicht zu." "Nein, du verstehst mich nicht." Das "Scheindemokratische" setzt sich auch in meinem Umfeld durch. Offiziell besteht Meinungsfreiheit und es sollte gelten: Nennen sie ihre Gründe! Praktisch wird dann aber Dissens als Affront gewertet, der meist entsprechend geharnischte Antwort erfährt. (Dabei könnte man auch Dissens als anregend erleben.)

In Nischen geht es auch anders. Ich war einen guten Teil des letzten Wochenendes mit Georg Kurtz unterwegs, der in Gleisdorf als praktischer Arzt tätig ist. Wir hatten reichlich Gelegenheit, interessante Fragen zu erörtern. Nun handelt sein Metier nicht von Kunst, aber von Kunstfertigkeit. Und da wie dort sind Wissenserwerb, Praxis, Erfahrung, aber offenbar auch etwas Spielerisches unverzichtbar. Daß Kurtz, nebenbei bemerkt, Kunstliebhaber ist, überrascht nun nicht. Beide Metiers schöpfen teilweise aus den gleichen Quellen und nutzen in manchen Momenten mutmaßlich auch gleiche Methoden.

Die Conditio humana ist der Schnittpunkt. Wenn ich also derzeit darüber nachdenke, was denn aktuelle Positionen der Kunst seien und welche Bedingungen das verlangen würde, kann ich auf die Verständigung mit Menschen anderer Metiers nicht verzichten.

-- [Das 2018er Kunstsymposion] --

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