23. August 2018

Ich bin gerade intensiv mit den visuellen Codes befaßt, die man an unseren Klein- und Flurdenkmälern so wie auf Friedhöfen findet. Ein äußerst anregendes Panoptikum, das mir regionale Erzählweisen näherbringt und mich teilweise staunen läßt, auf welche Arten Menschen offenbar über Generationen mit Bedrohungen aller Art umgegangen sind. Bildwelten, von denen wir umgeben sind, in all dem auch ästhetische Konventionen verschiedener Zeiten; siehe dazu: "Wegmarken"

log2529c.jpg (41019 Byte)

Über diese Betrachtungen suche ich derzeit nach Verbindungslinien, die von der Volkskultur über die Popkultur bis zur Gegenwartskunst heraufreichen. Das berührt unter anderem die Frage: Wie kommunizieren wir auf der visuellen Ebene? Womit manifestieren wir uns im öffentlichen Raum?

Diese meine Konzentration auf tradierte Formen zieht mein Augenmerk teilweise von gegenwärtigen Ereignissen ab. Aber die Akteurinnen und Akteure des regionalen Kulturgeschehens melden sich ja, wenn ihnen danach ist. Heute erreichte mich ein Anruf:

"Du kommst doch in unsere Gegend.“
"Ja.“
"Ich mache gerade etwas, das würde ich dir gerne zeigen."
"Aber ich bin derzeit mit einem ganz anderen Thema beschäftigt."
"Ja, ich weiß, aber ich möchte gerne…“


Das geht seit Jahren so. Wenn mich derlei Einladungen erreichen, soll ich etwas über jemanden oder jemandes Arbeit schreiben. Das wäre gewöhnlich ein Arbeitsauftrag, für den man mir ein Honorar anbieten sollte, wie man ja auch für andere Dienstleistungen zu zahlen bereit ist. Nicht so im Kulturgeschehen der Region. Da werden solche Leistungen vorzugsweise kostenlos konsumiert.

Die blumigste Einladung erreichte mich vor einer Weile in diesem hinreißenden Wortlaut: „Habe gerade deinen Bericht Duftende Dome Europas gelesen, nicht ganz wie ich zugeben muss, mir ist etwas dazwischen gekommen, sozusagen ein Bedürfniss entstanden: dich einzuladen, ja sogar aufzufordern meine Ausstellung xxxxx zu besuchen. ein zurück füttern würde mich sehr freuen! es gibt auch eine Finissage...“ Lustig!

log2529b.jpg (19332 Byte)

Oder da meldet sich jemand aus dem Musikbereich, der meint, ich hätte ja damals so einen interessanten Artikel geschrieben, auf den er starke Reaktionen erlebt habe. Nun sei etwas Neues in Arbeit, da könnte ich doch… Solche Schilderungen lassen sich beliebig fortsetzen.

Was bringt Menschen dazu, andere, denen sie nicht einmal nahe stehen, auf solche Arten in Anspruch zu nehmen? Eine verblüffende Art der Bedürftigkeit. Keine Domäne der Kreativen, auch in der Geschäftswelt zu finden. Es hat nicht einmal die Wirtin, deren Gäste ein launiges, aus freien Stücken verfaßtes Feature sehr gelobt haben, mir je einen Drink on the House auf den Tresen gestellt. Warum sollte sie auch? Oder macht das Schreiben etwa Mühe? Braucht man dazu mehr als bloß einen Stift und etwas Papier? Eben!

Also hinterlasse ich hier nur diese kleine Notiz über Menschen in meinem Milieu, mehrheitlich Kulturmenschen, denen an sich und solchen Posen nichts auffällt, während mir dazu nichts einfällt, weshalb ein Kommentar dazu ausfällt.

Freilich hat das ein paar interessante kulturpolitische Aspekte. Den Professionals würde es gewöhnlich nicht passieren, das Thema Leistungsaustausch völlig außer Acht zu lassen. Wir konvertieren materielle und immaterielle Güter ineinander. Oder, um es mit Bourdieu auszudrücken, wir tauschen unterschiedliche Kapitalsorten aus. Bourdieu meint mit Kapital übrigens nicht bloß eine marxistische Kategorie, sondern schlicht das Ergebnis unterschiedlicher Anstrengungen des Menschen, also ökonomisches, kulturelles, soziales Kapital.

Die oben skizzierte Forderung nach meiner Dienstleistung ist eine nach kulturellem und sozialem Kapital. Ich soll einen möglichst geistreichen und daher lesenswerten wie haltbaren Text produzieren, der das Sozialprestige der beschriebenen Person und ihrer Arbeit mehrt, wenn möglich auch ihren Marktwert. Ich werde als Produzent in Anspruch genommen, doch die jeweilige Person bietet keinen Gegenwert an, bleibt den Leistungsaustausch schuldig.

Daß gerade Kreative der Hobby-Liga diesen Modus bevorzugen und auf die Art etwas lukrieren möchten, fördert einen Modus, der bei uns Tradition hat: Protektion geht vor Kompetenz. Ein regionales Kulturgeschehen, in dem das Quid pro quo nicht zur Debatte steht, wird
a) von einem Funktionärswesen übernommen, das sich
b) am liebsten mit jenen arrangiert, die sich auf das Antichambrieren verstehen.

log2529a.jpg (18078 Byte)

Würden wir über Leistungsaustausch reden, stünde nicht nur so manche Frage nach der Qualität von laufend ausgestellten Werken an, wir müßten auch darüber reden, ob eine Kommune ihren Kulturbetrieb pflegt, um in ein waches geistiges Leben zu investieren, oder ob sie den Kulturbetrieb allenfalls nutzt, indem sie die gewidmeten Ressourcen für Marketing- und PR-Arbeit kapert.

Einem erfolgreichen Unternehmer muß ich derlei nicht erklären. Und im regionalen Kulturbetrieb will es offenbar kaum jemand wissen. Bleibt auf jeden Fall das Problem, daß sich ein Gemeinwesen selbst Steine in den Weg legt, wo auf solche Art um Zukunftsfähigkeit gerungen wird.

-- [Kulturpolitik] --

[kontakt] [reset] [krusche]