23. August 2018 Ich bin gerade intensiv mit den visuellen Codes befaßt, die man an unseren
Klein- und Flurdenkmälern so wie auf Friedhöfen findet. Ein äußerst anregendes
Panoptikum, das mir regionale Erzählweisen näherbringt und mich teilweise staunen
läßt, auf welche Arten Menschen offenbar über Generationen mit Bedrohungen aller Art
umgegangen sind. Bildwelten, von denen wir umgeben sind, in all dem auch ästhetische
Konventionen verschiedener Zeiten; siehe dazu: "Wegmarken"
Über diese Betrachtungen suche ich derzeit
nach Verbindungslinien, die von der Volkskultur über die Popkultur bis zur
Gegenwartskunst heraufreichen. Das berührt unter anderem die Frage: Wie kommunizieren wir
auf der visuellen Ebene? Womit manifestieren wir uns im öffentlichen Raum?
Diese meine Konzentration auf tradierte Formen
zieht mein Augenmerk teilweise von gegenwärtigen Ereignissen ab. Aber die Akteurinnen und
Akteure des regionalen Kulturgeschehens melden sich ja, wenn ihnen danach ist. Heute
erreichte mich ein Anruf:
"Du kommst doch in unsere
Gegend.
"Ja.
"Ich mache gerade etwas, das würde ich dir gerne zeigen."
"Aber ich bin derzeit mit einem ganz anderen Thema beschäftigt."
"Ja, ich weiß, aber ich möchte gerne
Das geht seit Jahren so. Wenn mich derlei Einladungen erreichen, soll ich etwas über
jemanden oder jemandes Arbeit schreiben. Das wäre gewöhnlich ein Arbeitsauftrag, für
den man mir ein Honorar anbieten sollte, wie man ja auch für andere Dienstleistungen zu
zahlen bereit ist. Nicht so im Kulturgeschehen der Region. Da werden solche Leistungen
vorzugsweise kostenlos konsumiert.
Die blumigste Einladung erreichte mich vor einer Weile in diesem hinreißenden Wortlaut: Habe
gerade deinen Bericht Duftende Dome Europas gelesen, nicht ganz wie ich zugeben muss, mir
ist etwas dazwischen gekommen, sozusagen ein Bedürfniss entstanden: dich einzuladen, ja
sogar aufzufordern meine Ausstellung xxxxx zu besuchen. ein zurück füttern würde mich
sehr freuen! es gibt auch eine Finissage... Lustig!
Oder da meldet sich jemand aus dem
Musikbereich, der meint, ich hätte ja damals so einen interessanten Artikel geschrieben,
auf den er starke Reaktionen erlebt habe. Nun sei etwas Neues in Arbeit, da könnte ich
doch
Solche Schilderungen lassen sich beliebig fortsetzen.
Was bringt Menschen dazu, andere, denen sie
nicht einmal nahe stehen, auf solche Arten in Anspruch zu nehmen? Eine verblüffende Art
der Bedürftigkeit. Keine Domäne der Kreativen, auch in der Geschäftswelt zu finden. Es
hat nicht einmal die Wirtin, deren Gäste ein launiges, aus freien Stücken verfaßtes
Feature sehr gelobt haben, mir je einen Drink on the House auf den Tresen gestellt. Warum
sollte sie auch? Oder macht das Schreiben etwa Mühe? Braucht man dazu mehr als bloß
einen Stift und etwas Papier? Eben!
Also hinterlasse ich hier nur diese kleine Notiz über Menschen in meinem Milieu,
mehrheitlich Kulturmenschen, denen an sich und solchen Posen nichts auffällt, während
mir dazu nichts einfällt, weshalb ein Kommentar dazu ausfällt.
Freilich hat das ein paar interessante
kulturpolitische Aspekte. Den Professionals würde es gewöhnlich nicht passieren, das
Thema Leistungsaustausch völlig außer Acht zu lassen. Wir konvertieren
materielle und immaterielle Güter ineinander. Oder, um es mit Bourdieu auszudrücken, wir
tauschen unterschiedliche Kapitalsorten aus. Bourdieu meint mit Kapital übrigens nicht
bloß eine marxistische Kategorie, sondern schlicht das Ergebnis unterschiedlicher
Anstrengungen des Menschen, also ökonomisches, kulturelles, soziales Kapital.
Die oben skizzierte Forderung nach meiner
Dienstleistung ist eine nach kulturellem und sozialem Kapital. Ich soll einen möglichst
geistreichen und daher lesenswerten wie haltbaren Text produzieren, der das Sozialprestige
der beschriebenen Person und ihrer Arbeit mehrt, wenn möglich auch ihren Marktwert. Ich
werde als Produzent in Anspruch genommen, doch die jeweilige Person bietet keinen
Gegenwert an, bleibt den Leistungsaustausch schuldig.
Daß gerade Kreative der Hobby-Liga
diesen Modus bevorzugen und auf die Art etwas lukrieren möchten, fördert einen Modus,
der bei uns Tradition hat: Protektion geht vor Kompetenz. Ein regionales
Kulturgeschehen, in dem das Quid pro quo nicht zur Debatte steht, wird
a) von einem Funktionärswesen übernommen, das sich
b) am liebsten mit jenen arrangiert, die sich auf das Antichambrieren verstehen.
Würden wir über Leistungsaustausch reden,
stünde nicht nur so manche Frage nach der Qualität von laufend ausgestellten Werken an,
wir müßten auch darüber reden, ob eine Kommune ihren Kulturbetrieb pflegt, um in ein
waches geistiges Leben zu investieren, oder ob sie den Kulturbetrieb allenfalls nutzt,
indem sie die gewidmeten Ressourcen für Marketing- und PR-Arbeit kapert.
Einem erfolgreichen Unternehmer muß ich
derlei nicht erklären. Und im regionalen Kulturbetrieb will es offenbar kaum jemand
wissen. Bleibt auf jeden Fall das Problem, daß sich ein Gemeinwesen selbst Steine in den
Weg legt, wo auf solche Art um Zukunftsfähigkeit gerungen wird.
-- [Kulturpolitik] -- |