23. Juli 2018 Ich
verstehe langsam besser, auf welche Art Friedhöfe Orte der Volkskultur sind. Die aktuelle
Engel-Flut scheint das Land mittlerweile flächendeckend erreicht zu haben. Zwischen
allerhand klassischer Architektur, so möchte ich das nennen, ein endloses Wegenetz, das
von jüngeren Grabmälern gesäumt ist, die den Handwerkern keinerlei nennenswerte
gestalterische Qualitäten bescheinigen.
Und die Legionen an Engeln? Als Skulpturen betrachtet
taugen diese Beispiele einer billigen Massenproduktion meist gar nichts. Wenn man aber
beachtet, was sie offenbar ausdrücken, wird sehr deutlich, daß künstlerische Qualität
nicht zu den Aufgaben ihrer Produzenten gehört. Es erscheint mir eher als eine Art emotionales
Esperanto.
Es soll aus einem Katalog von seelischen Befindlichkeiten
verschiedene Mitteilungen ableiten, die sehr unterschiedlich gestimmten Menschen
verständlich sind; ganz unabhängig von ihrem Sprach- und Reflexionsvermögen. Hier eine
Szene vom Friedhof in St. Martin an der Raab, also im historischen Grenzgebiet, einer
Region von einstmals großer Unsicherheit. Da ließe sich eine Art figürliches Geplapper
feststellen. Zugleich verbietet sich so ein Befund. Menschen kommunizieren ihre Gefühle
eben mit den Codes, die ihnen verfügbar sind.
Hier hab ich übrigens etwas gesehen, was ich vorher nur
vom Balkan kannte. Ein Automobil auf dem Set, in dem Fall ein Sattelschlepper. Ich
vermute, der Tote kam als LKW-Fahrer ums Leben. Bei balkanischen Gräbern waren das eher
die geliebten PKW der Toten, worunter diverse Mercedes, BMW und Audi häufig vorkommen.
Das Elend der konkreten Aussage zeigt sich dagegen
vorzugsweise im gepflegten Heldengedenken, das von einem unscharfen Heldenbegriff erzählt
und die Toten der Kriege, in denen sie auf der Seite der Aggressoren fielen, noch posthum
verhöhnt.
Treu zu seiner Pflicht zu
stehen
auch wenn alles schwankt
Mensch wenn du willst solches sehen
Mußt du hier bei diesen toten Helden stehn
Das ist erstens ganz miserabel gereimt und zweitens ein
entsetzlicher Nachruf für jene Subalternen, die sich für eine ziemlich inkompetente
Aristokratie mit völlig unklaren Zielen abschlachten lassen durften.
Dieses Grabmal ist Menschen gewidmet, die laut Inschrift
zwischen 1897 uns 1900 geboren wurden, also jung im Großen Krieg fielen. Ein
leichtsnniges Balkanabenteuer der Habsburger, welches der Oberkommandierende Potiorek
schon im Auftakt vermasselt hat, das sich anschließend weder zeitlich, noch räumlich
eingrenzen ließ und sich in der Folge -- dank anderer Aristokraten mit eigentümlichen
Ambitionen -- zur "Urkatastrophe" des 20 Jahrhunderts entfaltete,
Ein Schlachten, so grausam, daß die Geschichtsschreibung
von Kommandanten, von hochrangigen Offizieren, berichtet, die auf manche Schlacht nur noch
verzweifelt und weinend reagierten, mit Nervenzusammenbrüchen ihres Kommandos enthoben
werden mußten.
Der nötige Trost über die unabänderlichen Anteile eines
Lebens muß auch heute übrigens auch noch in billigen Versionen verfügbar sein; so etwa
in dieser Liste von plüschigen Empfehlungen beim Info-Terminal in Jennersdorf. Das ist
quasi Paulo Coelho zum Abreißen und Mitnehmen. Es erscheint mir als eine
Mischung zwischen Volksfrömmigkeit und Volksmedizin.
Sätze wie "Vertraue auf dein Glück, du ziehst es
an" oder "Du bist wunderbar -- schön daß es dich gibt",
finde ich zwar zum Wegrennen, aber wie könnte man jemandem aus der Hand schlagen wollen,
was eventuell Trost gibt? [Die Ratschläge in
großer Ansicht]
Ich erinnere mich an eine Gleisdorfer Lokalpolitikerin, die
mir öfter mit diesem Satz kam: "Schön, daß es dich gibt." Ich
versicherte ihr, daß sie mit mir Ärger bekommen werde, wenn sie mich weiterhin mit
solchen Floskeln behelligen möchte. Meine Ansichten zu all dem bleiben ambivalent. Wenn
es sich verbietet, jemanden belehren zu wollen, wie läßt sich dann passend darauf
reagieren?
Ich sehe da ohnehin nur für den eigenen und persönlichen
Bereich hinlängliche Legitimation. Ich möchte nicht mit Floskeln und Phrasen
bedacht werden. Wer sich an mich wendet, mit mir spricht, sollte ohne solches verbales Katzensilber
auskommen.
Sie ahnen schon, da geht es nicht um Ausdrucksformen, die
sich unbedingt über Alltagssprache erheben sollten. Es geht einzig um eine Art der Authentizität,
die ohne große Gesten auskommt. Sätze wie "Dein Leben ist so bunt, wie du dich
traust es auszumalen" haben ja gerade einmal die Qualität von "Das
Wassser ist naß" und "Der Papst ist katholisch". Wer etwa
alte Volkslieder kennt, weiß, selbst das ländliche Proletariat in den hintersten Tälern
hat noch raffinierter gedacht und formuliert... falls man geneigt war, das Maul
aufzumachen.
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