14. Juli 2018 Ein
Motiv, das bei unserer Pop-Konferenz auftauchte, schien mehreren Leuten am Tisch
geläufig. Andreas Fabianek erwähnte es, Oliver Mally hatte es vorab in unserer
Verabredung zu dieser Zusammenkunft schon erwähnt. Man mußte damals sein Taschengeld
zusammenkratzen und dann entscheiden, für welches Album man den Betrag ausgeben möchte.
Das hieß auch Verzicht.
Sir Oliver Mally & Muddy Waters
Wenn meine Erinnerung nicht trügt, waren 125,- bis 150,-
Schilling übliche Preise für eine Langspielplatte. Das entspräche etwa neun bis zehn
Euro, damals freilich mit höherer Kaufkraft. Via Radio konnte man dem heimischen Angebot
folgen und zum Beispiel Evamaria Kaiser lauschen, von dieser Rundfunkmoderatorin erfahren,
was sich musikalisch in Österreich tut.
Ich hab außerdem Radio
Luxemburg als wichtige Quelle in Erinnerung. Vorzugsweise aus einem gebrauchten
Kofferradio, das sich unter der Bettdecke bewährte. (Damit konnte ich auch eines der zwei
TV-Programme abhören.)
Wo es in Haushalten schon TV-Geräte gab, waren Uschi Nerke
und der Beat-Club unverzichtbar. Ich mußte dazu Freunde besuchen, dann es lief
in meiner Familie nach dem klassischen Muster: Erst wurde ein Kühlschrank angeschafft,
dann eine Waschmaschine. Dann erst hatte das Fernsehgerät seine Chance. Es dauerte.
Allerdings hatte ich einen anderen, sehr untypischen
Vorteil. Mein Vater war leidenschaftlicher Schmalfilmer. Als das Format Super 8
auch mit Tonspur lief, gab es gute Gründe für ein Tonbandgerät. Das half beim Vertonen
der Filme und ermöglichte Radio-Mitschnitte. Außerdem konnte man sich Schallplatten
ausborgen, um sie auf Band zu kopieren.
Als mein Vater sich ein neues Gerät anschaffte, durfte ich
das alte übernehmen. Ein Magnetophon, wie das hieß. Dicke Tasten. Grobes
Zählwerk. "Magisches Auge", um bei Aufnahmen die Aussteuerung zu
kontrollieren. Die Bänder ließen mehrstündige Programme zu, eigenwillige
Zusammenstellungen. Das war natürlich eine Wucht, weil ich so meinen eher bescheidenen
Musik-Bestand (Schallplatten) zu einem Quantensprung brachte. Gebrauchte Tonbänder
eröffneten dieses Feld.
AEG Magnetophon (Foto: Paul Hermans,
GNU-Lizenz)
Zurück zu Fabianek und Mally, die Erfahrungen aus zwei
ganz unterschiedlichen Feldern des Musikbetriebs mitgebracht hatten. Man könnte sagen: Hitfabrik
und Kleinkunst-Kabinett. Zwei grundlegend verschiedene Bezugssysteme mit
allerhand Schnittpunkten in den Musikvorlieben. Dieses Nebeneinander könnte einen
verwirren. Aber es geschah ja auch in der Kunst so, spätestens seit Duchamp sich
durchgesetzt hatte. Ein Nebeneinander von höchst verschiedenen, einander stellenweise
widersprechender Codes und Konzepten.
Popkultur heißt vor allem, daß dies kein Entweder-Oder
ist, stets ein Sowohl-als-auch. Da gibt es dieses Bonmot: Intelligenz heißt,
über zwei einander widersprechenden Ansichten nicht den Verstand zu verlieren. Ich
denke, so ist Pop.
Die Jugendzeit war bei uns sicher von vergleichbaren
Erfahrungen geprägt. Und von einem System großer Drucktasten. Ich erinnere mich bei Jukeboxes
an diese Tasten, von denen man meist zwei drücken mußte, um eine Single mit
einer Kombination aus Buchstabe und Zahl aufzurufen. Massive Mechanik.
Bei den Spulengeräten (Tonband) war das ebenso. Auch die
Radios, später die TV-Geräte, hatten eine robuste Ausstattung. Aber das eigentliche
Zauberreich hieß Plattengeschäft. Mally: "Der wichtigste
Schallplattenladen in der Steiermark war für mich der Meki. Wie groß war der?
Vielleicht 16 Quadratmeter. Schau dir heute die Flächen an."
Als die Kassettenrecorder aufkamen, kippte die
Situation völlig. Ich hatte mir als Lehrbub ein Gerät von Philips geleistet.
Ein flacher Apparat, bei dem es eine skurrile Mechanik per Drehrad ermöglichte, einen
Zeiger im Fenster über der Kassette zu bewegen, um so eine Bandmarkierung anzubringen. Es
waren Bänder mit 60, 90 und 120 Minuten Laufzeit verfügbar und der genannte Zeiger
eigentlich unbrauchbar, weil viel zu unzuverlässig.
Zum tragbaren Kassettenrecorder kam schließlich das Kassetten-Deck
in die heimische Schrankwand. Wer seine Gäste beeindrucken wollte, hatte nicht nur ein
teures Plattenlaufwerk herumstehen, dessen Mechanik man sehen konnte, daran hing
dann auch ein Nakamichi-Deck. (Und manche unter uns waren dazu übergegangen,
ihre Platten naß abzuspielen.)
Zu der Zeit sah ich große Spulengeräte bald nur mehr bei
den Profis. Einerseits pompöse Mehrspur-Anordnungen in Tonstudios, andrerseits
Rundfunkleute mit den kompakten Maschinchen von Uher. Der Walkman machte
das Tragbare noch tragbarer. Das als Skizze der Situation, bevor erst die Musiker mit DAT-Rekordern
ankamen, die dann auch noch kurz in der Laienwelt kursierten. Mit dem Digital Audio
Tape berührte uns die Dritte Industrielle Revolution, schließlich kam die
Digitalisierung breit in unser aller Leben.
Dimensionen-Sprünge (von hinten):
Walkman-Klon von Aiwa,
Digitalrekorder von Roland und MP3-Player
Es tat sich auf, was Mally so schilderte: "Ich
muß mich heute durch einen Berg von Musik fräsen, um auf interessante Dinge zu
stoßen." Hatten uns also Tonbandgeräte einst ermöglicht, ganz leicht über
eine enorme Bandbreite an Musiken zu verfügen, ohne uns dabei finanziell in
Schwierigkeiten zu bringen, so schuf die Digitalisierung eine radikal andere, völlig
unüberschaubare Situation, die von uns neue Kulturtechniken verlangt.
Das Magnetophon als Produkt der Zweiten
Industriellen Revolution, die Digital-Gadgets als Apparate der Dritten
Industriellen Revolution, inzwischen Plattformen, Clouds und
schließlich allerhand Apps, über die Menschen rund um die Uhr im Web verknüpft
sind, wobei die Softwarepakete in dieser Vernetzung eine Menge Eigenleben entwickelt
haben. Das ist Ausdruck der Vierten Industriellen Revolution, die uns derzeit mit
einem Internet der Dinge vertraut macht.
Anhand unserer Musikvorlieben und am Beispiel unseres
Umgangs mit den Medien läßt sich verdeutlichen, daß sich innerhalb unserer Lebenszeit zwei
industrielle Revolutionen ereignet haben, auf die wir reagieren sollten.
Auch wenn ich das in wenigen Worten nicht ausreichend
begründen kann, bestehe ich auf der Annahme, daß die Popkultur diese Prozesse und ihre
sozialen Konsequenzen wie kein anderes kulturelles Phänomen des 20. Jahrhunderts
integriert. Freilich um den Preis einer engen Verknüpfung mit einer nach kapitalistischen
Prinzipien unerbittlich wirkenden Unterhaltungsindustrie als Teil einer Welt der
Massenproduktion.
Der gestern
erwähnte Kulturbetrieb als Distinktions-Maschine scheint in manchen Ecken
ähnliche Reaktionen zu fördern, wie sich ein "Europa der Vaterländer"
in weiten Bereichen zum Nationalismus zurückbegibt. Da wird also der
Kulturbetrieb zur Retro-Maschine, mit der vor allem in der Provinz, also abseits
der Landeszentren, Konzepte erstarken, die eine Kopie des urbanen Kulturbetriebs aus dem
vorigen Jahrhundert sind. Was will nun in dieser Sache geklärt werden?
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