29. Juni 2018

Tunnelbau. Eine alte Faustregel besagt: Pro Kilometer ein Toter. Das ist natürlich längst Vergangenheit. Techniker Andreas Kiesling sagt: "In Sicherheitsfragen hat sich sehr viel getan." Mir ist seit gestern sehr viel klarer, was man sich unter einer Drachenhöhle vorstellen könnte. Wir waren als kleine Reisegesellschaft nach St. Paul im Lavanttal unterwegs. Stiefel mit Stahlkappen. Schutzhelm. Grellfarbene Warnweste. Unter Tags ist es warm.

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Das Besteigen des nervösen Monsters führt über sehr schmale Treppen und Gitterroste. Die Tunnelwand wölbt sich in einem Radius von zehn Metern über einem. Das erste, was mir besonders auffällt, sind unzählige wuchtige Elektromotoren, die überall irgendeinen Job tun. Viel an Ketten und Stahlseilen. Lampen und Lämpchen. Einer der Ratschläge lautet, in keine Schlinge zu steigen, Schlauch, Seil oder Kabel, man wisse nie, wann sie sich zuzieht.

Das Werkel läuft rund um die Uhr, die Schicht der Männer dauert je acht Stunden. Hitze, Staub und Lärm hüllen einen satt ein. Das Monster frißt sich im Schnitt 20 bis 25 Meter pro Tag durch den Berg, könnte bei entsprechenden Bodenverhältnissen bis zu 50 Meter bewältigen.

Das Abraummaterial wird über ein Förderband auf halber Höhe nach hinten geschafft. Die Betonteile (Tübbinge) zur Auskleidung des frisch gebohrten Streckenabschnitts kommen auf der untersten Ebene per Waggons an. Einer der Zehn-Meter-Ringe besteht aus sieben Elementen plus dem keilförmigen Schlußstein. Zwischendurch mächtige Rührwerke, die dafür sorgen, daß der Beton nicht zu schnell abbindet.

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Kiesling ist seit 16 Jahren für die Abläufe im Koralmtunnel verantwortlich. Er betont, wie gut die Teams zusammenhalten und wie klar es sei, daß hier einer vom anderen abhängig ist. "Deshalb mag ich den Tunnelbau." Diesen Bereich könne man nicht studieren, sagt er. "Tunnelbau ist Erfahrung. Du fragst dich immer: Was macht der Berg?" Und der Berg macht immer was. Jeder. Kiesling erzählt von Jobs, da hatte sich ein Bereich nach der Arbeit um fast einen Meter abgesenkt, also mußte man im Anschluß den Durchmesser größer gemacht, um dieser Setzung vorzubeugen, damit sich hinterher alles ausgeht.

Was Kiesling von Übungen mit Feuerwehr-Besatzungen erzählt, mag man sich nicht genauer vorstellen. Es gibt in Österreich kaum noch Grubenfeuerwehren. Wenn etwas passiert, werden die per Hubschrauber eingeflogen. "Wenn da so ein Blackhawk herunterkommt, ist was los." Herkömmliche Ortsfeuerwehren haben interessante Stunden, wenn sie mit schwerem Atemschutzgerät durch Passagen müssen, in denen man keinen Meter weit sieht.

Als Besucher trägt man einen Rucksack mit Notfallsausrüstung, der einem schwer im Nacken hockt, bei sich. Und ein kleines Gerät, eine Art Mobiltelefon, über das man jederzeit geortet werden kann. Ich hatte mich beim Einfahren mit den Arbeitern unterhalten, gefragt, wie es unter Tage mit den Konventionen sei und ob manche Themen ausgeschlossen wären. Ich habe ja allerhand Filme gesehen, wo Bergarbeiter verschüttet werden. Ein spannende Sujet.

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Manche Metiers haben solche Regeln in der Art, wie man im Theater eine Menge Ärger bekommt, falls man vor einer Premiere ein Liedchen pfeift. Oder wie der Volksmund sagt, daß im Hause des Henkers nicht vom Seil gesprochen werde. Nichts dergleichen, so höre ich. Auch daß Frauen im Berg unerwünscht seien, gehöre der Vergangenheit an.

Die Komplexität der ganzen Anlage ist beunruhigend. Die Maschine kommt mir vor wie ein U-Boot und ist ständig in Bewegung. Stehzeit kostet ein Vermögen. Was immer daran schadhaft wird, muß also flott aufgespürt und bearbeitet werden. Dabei gerade kaum zwanzig Mann im Tunnel. Wie bewältigt man das also?

Karlheinz Rathkolb, Leiter des Johann Puch Museum Graz, hatte diesen Besuch organisiert. So konnte ich mir eine Anlage aus nächster Nähe ansehen, die bei weitem übertrifft, was etwa eine Fertigungsstraße in einer Fabrik ist. Aber das ist jetzt eigentlich noch nicht Industrie 4.0, auch wenn inzwischen Bildschirme montiert wurden, wo kürzlich noch Schalttafeln waren. Ich frage mich, ob es vorstellbar sei, daß solche Maschinen sich selbst überlassen bleiben und weitgehend ohne menschliche Begleitmannschaft auskommen werden.

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Projektleiter Andreas Kiesling

Das erscheint mir hier nicht absehbar. Dazu kommt, was ich in der "Backstube" gesehen hab. Die Tübbinge sind Teile aus Stahlbeton, welche auf dem Areal vor dem Tunnel angefertigt werden. Aus diesen Teilen zusammengesetzten Ringe mit ihren zehn Metern Durchmesser brauchen eine Paßgenauigkeit der Teile, die zehn Millimeter Toleranz nicht überschreiten darf. Daher werden die Gitterelemente der Stahlarmierung von Hand geschweißt. Ein Job, den ich nicht haben möchte.

Wird sich all das automatisieren lassen? Ist das eine wünschenswerte Entwicklung? Unterm Strich steht ja vorerst, daß wir in Österreich ein Leben mit großen Annehmlichkeiten genießen dürfen. Das verlangt nach Infrastruktur und Gütern, deren Herstellung und Bereitstellung von einer Menge sehr anstrengender, auch sehr gefährlicher Jobs handelt, die schließlich irgendjemand machen muß...

-- [Maschinenprosa] --

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