26. Juni 2018 Eine
Zeichnung von Albrecht Dürer gilt in Europa als wahrscheinlich erstes autonomes
Künstlerselbstportrait unserer Kulturgeschichte und zeigt ihn als dreizehnjährigen
Knaben. Er war freilich nicht der einzige Künstler, dem die Renaissance plötzlich
erlaubte, jenes Selbstbewußtsein nach außen zu zeigen, das ihr künstlerischer Rang
zuließ. Dürer hat das Blatt mit diesen Worten kommentiert:
Dz
hab Ich aws eim spigell nach mir selbs kunterfet Im 1484 Jar Do ich noch ein kint wad.
Abricht Dürir
Wir kennen seit Aristoteles Debatten, wie
sich das Individuum zur Gesellschaft verhält. In einer ständischen Gesellschaft war
freilich streng geregelt, wer sich persönlich hervortun durfte und wer sein Haupt zu
beugen hatte. Das bedeutet auch, es gab Konventionen, wer für ein Portrait überhaupt in
Frage kam und wer nicht. Das hat sich radikal
verändert. Heute wird Andy Warhol gerne zitiert, der 1968 gesagt haben soll: "In
the future, everyone will be world-famous for 15 minutes." Das erscheint vielen
inzwischen als eingelöst. Das Selfie ist ein Medienphänomen von enormer
Verbreitung. Dabei erscheint mir erstaunlich, wie überschaubar das populäre Repertoire
von Posen dafür ist.
Die Effekte dahinter sind verblüffend. Man ist inzwischen
nicht mehr bloß berühmt, weil man etwas geleistet hat. Man ist berühmt, weil man
berühmt ist. Das Prädikat "fame" scheint sich als eigenständige
Qualität durchgesetzt zu haben. |
Selbstportrait
des Albrecht Dürer |
Solche Effekte finden wir längst auch im
banalen Alltag. In der nächsten Umgebung zeigt sich: Sichtbarkeit geht vor
Authentizität. Das hat sich sogar im regionalen Kulturbetrieb durchgesetzt, wo heute
merkwürdige Personen Vernissagen abhalten, deren Werke weitgehend unbedarft und belanglos
sind, vielfach nicht einmal eigenständige Inhalte anbieten. Dekorationsgegenstände
unterschiedlichr Qualitäten werden zum Vorwand für eine öffentliche Selbstoptimierung.
Es zählen die Pose und das Ereignis. Beides unverzichtbar, um jene Presse-Fotos zu
generieren, die sich schließlich als Hauptereignis solcher Kulturpolitik herausstellen.
Das wäre weiter keine Debatte wert, hätte sich dabei
nicht ein Effekt herauskristallisiert, der kritisch zu erörtern bleibt. Ich meine das
Kapern von Kulturbudgets für andere Zwecke, etwa jene der PR-Arbeit und der
Marketing-Aktivitäten zugunsten andere Aufgabenbereiche einer Kommune.
Diese Art von Raubzügen zu Lasten der Investitionen einer
Gesellschaft in ihr geistiges Leben sind eine Spielart von Mißbrauch, welche in diesem
Land erstaunlich salonfähig geworden ist. Wo ein kritischer öffentlicher Diskurs fehlt
und die Nutznießer solcher Verfahrensweisen zu einer kuriosen Kumpanei zusammenfinden,
läßt sich dagegen derzeit kein Einwand geltend machen.
Wer solche Modi für zu flach hält, wird sich eventuell
der Grundlagen besinnen, dank derer aus Untertanen Bürgerinnen und Bürger wurden. Das
hat ganz wesentlich mit Zugängen zu Bildung und mit einem weiten Horizont zu tun. Das
bedeutet mit Blick auf eine zeitgemäße Demokratie außerdem die Möglichkeit, an einem öffentlichen
sozialen, kulturellen und politischen Leben teilzunehmen.
Das meint naturgemäß auch eine Teilhabe an öffentlichen
Diskurse nach dem Motto: Nennen Sie Ihre Gründe! Denn so wurde das seit
Aristoteles gedacht, von dem wir die Vorstellung haben, der Mensch sei ein Zoon
politikon, ein Wesen, das ein Leben in Gemeinschaft bevorzuge. Was das bedeutet, will
offenbar in jeder Ära neu verhandelt und geklärt werden.
Fotograf Franz Sattler mit einem
Selbstportrait von Maler Albin Schrey
Mit "Ich bin eine Geschichte" hab ich
nun begonnen, das alles in zwei Richtungen auszuloten. Ins Private und ins Öffentliche.
Darin liegt zugleich schon eine wesentliche Frage, was denn heute als privat und
als öffentlich einzustufen sei.
Dabei begleitet mich derzeit zum Beispiel der Fotograf
Franz Sattler, den man hier mit einem Selbstportrait des Malers Albin Schrey sieht. Wir
sind uns einig: Was immer uns gelingt, ruht auf den Vorleistungen anderer Menschen. Die
schrullige Idee vom Genie, welches bedeutend Schöpfungen sui generis
hervorbringt, führt zu eitlen Posen, die sich kaum bestätigen lassen. Das ist im Grunde
ein ziemlich langweiliges Gebiet.
In anderen Kulturen ist es ganz selbstverständlich, daß
man die Hintergründe seines Tuns kennt, mit Wurzeln seiner Kultur vertraut ist, und das
auch gelegentlich in der eigenen Arbeit sichtbar macht. Das führt schließlich auch zu
jenen Vergleichen, aufgrund derer man überhaupt eine Vorstellung bekommt, wo man in
seinen Fähigkeiten angelangt ist.
Ich hab zu diesen Fragen letzten Dezember den Maler Markus Lüpertz zitiert. Nach seiner
Auffassung beschäftigt sich Kunst hauptsächlich mit sich selbst, sie sei "immer
Renaissance", stelle sich den Jahrhunderten, ringe dabei mit sich und den Fragen
nach Qualität, nach Vollendung.
Das ist also eine brauchbare
Orientierungslage: sich den Jahrhunderten stellen, dabei mit sich und den Fragen nach
Qualität, nach Vollendung ringen. Was immer an kreativen Ambitionen genau diese
Aufgabenstellung meidet, hat ebenso alle Berechtigung, wird aber unter der Flagge der
Kunst kaum bestehen können. An jener Stelle hatte
ich übrigens auch notiert:
+) Aufmerksamkeit gehört zu den bedeutendsten Währungen in menschlicher Gemeinschaft.
+) Soziales Handeln ist eine der wichtigsten Sinnressourcen, die wir kennen.
Bei der Gelegenheit: Das älteste
fotografische Selbstportrait, von dem wir wissen, stammt von Robert Cornelius und wurde im
Jahr 1839 aufgenommen. Ein amerikanischer Fotopionier. Dieses Bild gilt überdies die
erste Fotografie eines Menschen in Amerika. |
Selbstportrait
von Robert Cornelius |
Die Tatsache, daß heute Selfies
derart verbreitet sind, bietet uns Anlässe, das Thema Portrait/Selbstportrait näher zu
untersuchen. Dabei finden wir auch gleich Gelegenheit, einigen Künstlern auf die Spur zu
kommen, von denen in der Region Grundagen geschaffen und Zugänge zur Kunst eröffnet
wurden, bevor wir hier selbst ins Spiel kamen.
-- [Ich bin eine Geschichte] -- |