15. Mai 2018 Ich hab im
vorigen Eintrag den "Kulturbetrieb als
Distinktions-Maschine" erwähnt. Etwas ironisch könnte man ihn auch eine Art Sinnstiftungsapparat
nennen. Dazu paßt ein kurioser Bericht über die Beforschung der Augenbrauenwülste des
Menschen. Die Fachdiskurse waren bisher offenbar davon dominiert, jene Schädelpartie als
statisch bedingt anzusehen. Die Wülste wie die Sicken im Bodenblech eines Autos:
stabilisierende Funktion.
Aber nun: "Das Forscherteam geht in ihrer neuen
Studie davon aus, dass die Verdickungen weniger eine physiologische denn eine soziale
Funktion hatten." [Quelle] Es geht dabei um Kommunikationsmöglichkeiten. Ich
möchte annehmen, daß unsere Vorfahren den eigenen Körper als Kommunikationsmittel
verfeinert und dafür leibliche Zeichensysteme entfaltet haben, dabei aber zugleich auch
Gefallen daran fanden, solche Möglichkeiten der Zeichen-Anwendung quasi nach außen zu
verlagern, auf Gegenstände ihrer Umgebung zu übertragen. (Davon handelt die Produktion
von Kunstwerken.)
Kommunikationsmöglichkeiten!
Der eingangs zitierte Text besagt ferner: "Auch
beim Ausdruck von Sympathie, Traurigkeit oder Ärger und für die Beurteilung von
Vertrauenswürdigkeit würden Bewegungen der Augenbrauen eine Rolle spielen."
Stellen Sie sich vor, unsere Leute hätten erst einmal sehr
bewegende Erfahrungen damit gemacht, ihre persönlichen, im Körper angelegten
Zeichensysteme auszuarbeiten und damit in Gemeinschaft neue Formen der Kommunikation zu
erfahren, um dann zu erleben, daß das auch mit Gegenständen geht, die sich zu solchen
Zwecken adaptieren und einbeziehen lassen.
Nun tun Sie mein derzeitiges Lieblings-Mantra dazu: Jeder
Mensch hat spirituelle und kulturelle Bedürfnisse. Ich denke, damit ist eine
Grundlage gegeben, die auch heute noch das Zeug zu einem kulturpolitischen Fundament hat.
Ich hab das Themen-Trio Volkskultur, Popkultur und
Gegenwartskunst nun mehrfach als unseren aktuellen Themenhorizont vorgestellt.
Mit den teilweise gleichen Codes werden auch Dekoration, Kitsch und Propaganda
kommuniziert. Das ist gesamt, womit wir uns derzeit in ganz unterschiedlichen Besetzungen
befassen. Man könnte sagen:
Code und Kontext
Die Kultur-Hierarchie, wie sie mir aus meinen
Kindertagen vertraut ist, steht dabei nur im Weg. Ich möchte mich mit jedem dieser Genres
so befassen können, wie es aktuelle Fragestellungen gerade nahelegen. Und um damit
voranzukommen, muß ich mich auch auf die jeweils anderen Genres einlassen können, wenn
ich eines davon besonders in den Fokus nehme.
Es ist ja klar, daß ich dem Vulgären und dem Trivialen
persönlich nicht den gleichen Stellenwert beimesse, wie elaborierten künstlerischen
Arbeiten. Es ist aber auch klar, daß ich auf keines dieser Genres verzichten kann. Es
wäre daher Unfug, sie gegeneinander hierarchisch anzuordnen, eine müßige Übung.
Was mich dagegen erheblich stört, ist Stümperei, die sich
als etwas Höherwertiges ausgibt, aufdrängt. Meine Mißbilligung solcher Posen ist sehr
pragmatisch begründet. Wir werden tagtäglich mit trivialen Stoffen, deren Herstellung
und Ausstreuung mit astronomischen Beträgen aus den Kriegskassen der Werbebranche
finanziert werden, bespielt, geflutet. In all dem fühle ich mich auf Nischen redlicher
Diskurse und relevanter Kommunikationsakte angewiesen, auf Teile eins Kulturbetriebs, der
sich nicht Partikularinteressen widmet.
Weshalb? Die eben erwähnte Flutung mit professionell
angefertigten trivialen Stoffen ist nicht bloß Werbezwecken gewidmet, um die Wirtschaft
zu beleben, wie uns gerne erzählt wird. Es steht in der Tradition verschiedener
Verfahrensweisen, einen homogenen Untertanenverband herzustellen. Vor hundert
Jahren wurde das zum Beispiel über den Nationalismus angestrebt, heute läuft das über
den Einfluß auf unser Konsumverhalten, das allerdings an Ideen einer "Renationalisieung"
festgemacht wird, eine Art konsumgestütztes Risorgimento.
Also noch einmal: Code und Kontext. Wir sollten in der Lage
sein, wenigstens einiges von all dem zu entschlüsseln, womit unser Alltagsleben von
Companies und Lobbies bespielt wird. Das ist übrigens einer der Zwecke von Wissens- und
Kulturarbeit, wie er sogar im aktuellen Kulturförderungsgesetz des Landes Steiermark
notiert wurde. Zu den Zielen der Kulturförderung zählt unter anderem "eine zum
Verständnis und zur Kritik befähigte Öffentlichkeit" [Quelle]
Deshalb sind Menschen wie ich einerseits mit Kunstpraxis
befaßt, andrerseits aber mit jener Wissens- und Kulturarbeit, der zum Beispiel das
Langzeitprojekt "The Long
Distance Howl" gewidmet ist. Das sind ferner wesentliche Motive, die zum
Projekt "Dorf 4.0"
geführt haben. In wesentlichen Bereichen eine Form der kollektiven Kulturarbeit.
-- [Kunstsymposion] [Dorf 4.0] -- |