26. April 2018 "Stets hat die Obrigkeit seither ihrem Volk Mißtrauen
entgegengebracht, hat dessen Bedürfnisse nach Erholung und Unterhaltung
beargwöhnt..."
Das ist ein Satzfragment aus der kleinen Erörterung über Volkskultur,
die morgen zur Eröffnung des "Aprilfestival 2018" ansteht. Ich sollte
mit sieben, bis acht Minuten Redezeit auskommen, um eine Vorstellung zu vermitteln, wovon
dieses Thema in seinen Fundamenten handelt. (Das wird dann am folgenden Samstag
ausführlicher behandelt.)
Dekoration ohne weitere Botschaft
Ich hab gestern unterwegs dieses nette Ensemble entdeckt,
das als Beitrag zum Thema taugt. Nicht alles, was "eine Kunst ist",
ergibt ein Kunstwerk. Diese Windräder, von Hand hergestellt, verlangen
natürlich das, was wir Kunstfertigkeit nennen, eine Mischung aus Geschick und
Erfahrung.
Was nun entweder Gebrauchsgegenstand oder Dekoration
ist, zählt gewöhnlich nicht zu den Kunstwerken. Dafür haben wir begrifflich den Bereich
des Kunsthandwerks reserviert, wo zur Handarbeit noch jeweils bevorzugte
ästhetische Qualitäten und solche des Materials kommen.
Die oben gezeigten Windräder haben zwar den Charakter von
Unikaten, sind womöglich auch mit einem nennenswerten Anteil an Handarbeit entstanden,
werden aber wohl nicht dem Genre Kunsthandwerk zugerechnet, dem Genre Kunst auf keinen
Fall. Dabei ist aber die volkskulturelle Anmutung sicher beabsichtigt, Teil der
Markenstrategie, mit der solche Produkte vertrieben werden.
Verstehen Sie mich recht, gegen all das ist nichts
einzuwenden. Mich interessiert bloß ein wenigstens im Mindestmaß präziser Umgang mit
Begriffen, damit wir wissen, wovon wir reden und was wir meinen, wenn wir uns auf
gemeinsame Vorhaben einlassen. Dabei handeln manche Instanzen mit verdeckten Motiven, was
immer einen Schaden am Gemeinwesen bewirkt.
Die offizielle Geschichte der Volkskultur handelt
durchgängig von der Intention "Der Vormund sucht sich Mündel". Diese
Neigung, soziale Hierarchien zu stabilisieren und dem vulgären Teil der Bevölkerung die
Flausen auszutreiben, hatte in der Industrialisierung sehr simple Gründe.
Kulturwissenschafter Kaspar Maase notierte dazu: "Die Unternehmer brauchten
Arbeitskräfte, die zuverlässig, unermüdlich, nüchtern und pünktlich 70 oder 80
Stunden pro Woche schufteten und ihre freie Zeit diesen Forderungen anpaßten."
Teil eines komplexen Zeichensystems
im öffentlichen Raum
Je nach Branche konnte die Wochenarbeitszeit bis 100, ja
sogar bis 120 Stunden hinaufgehen. Gaslicht und schließlich die Elektrizität hatten die
Nacht zum Tag gemacht. Maschinen konnten plötzlich rund um die Uhr laufen. Die Menschen
mußten dem nachkommen.
Man kann sich heute leicht vorstellen, in welchen Kontrast
jene Kräfte gerieten, die spätestens im 19. Jahrhundert massenhaft aus der agrarischen
Welt in die industriellen Zentren wechselten. Da wie dort waren Brauchtum und religiöse
Feste wesentliche Möglichkeiten, um die Arbeit ruhen zu lassen.
Ansonsten ist es
für die subalternen Schichten üblich gewesen, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen zu
arbeiten. Der Brauch des "Blauen
Montags" wurzelt in diesen Verhältnissen, die kirchlichen Feiertage waren in
sehr viel größerer Anzahl üblich, als wir das heute kennen.
Von all dem erzählt uns der offizielle Kulturbetrieb kaum
noch, wenn es zur Volkskultur kommt, deren Merkmal ja sein sollte, daß sie die kulturelle
Praxis von Teilen der Bevölkerung meint, welche genau nicht von Kulturreferaten
und von diversen "Traditionsschützern" definiert wird.
Aber es hat natürlich gute Gründe, daß die Befassung mit
Volkskultur in der populärsten Art vor allem mit einer Suche nach den Relikten früherer
geschichtlicher Stufen zusammenhängt, um sie uns als originale und
als echte Volkskultur anzubieten, während andere Bereiche auffallend
ausgeblendet bleiben. |
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Das zeigt auf kuriose Art auch
die genau umgekehrten Effekte. Wenn etwa Dilettanten sich mit großer Inbrunst hervortun,
um sich unter die Flagge der Gegenwartskunst zu reklamieren, auch wenn sie an
Gegenwartskunst keinerlei erkennbares Interesse haben, wird deutlich:
Der Kulturbetrieb ist nach wie vor eine Art Distinktionsmaschine,
in der sozialer Rang produziert wird.
Eben dieser Kulturbetrieb ist genau dabei an vielen Stellen
überhaupt nicht auf konsequent arbeitende Kunstschaffende angewiesen. Im Gegenteil, deren
fundierte Befassung mit diesem Genre stört dann eher. Wo von der Freiheit der Kunst die
Rede ist, wäre eigentlich davon zu sprechen, daß sie heute von all diesen
Repräsentationspflichten und Nebengeschäften befreit sein möge.
So wünschten wir uns ja eigentlich auch die Wissenschaft:
in einer Freiheit der Forschung und Lehre. Daß die Praxis da wie dort anders
aussieht, halte ich für evident. Das zu beklagen, halte ich für müßig. Es bleibt
immerhin die Freiheit, in Nischen andere Praxisformen zu entwickeln und zu etablieren.
Ein Beuys von Pessler (Ausschnitt)
Wenn ich nun schon eine Weile die Schnittstellen zwischen Volkskultur,
Popkultur und Gegenwartskunst untersuche, dann unter anderem, um besser zu verstehen,
wie die Massenkultur des 20. Jahrhunderts solche Verhältnisse aufgebrochen hat, während
sie zugleich etwas Konservatives und strikt Gegenaufklärerisches etablieren konnte.
Übrigens! Auf Facebook zeichnete sich gestern ein
kurioses Phänomen ab. Dieser Tage, Ende April, machen sich schon allerhand Aktivitäten
zum bevorstehenden "Tag der Arbeit" bemerkbar. Der 1. Mai war
ursprünglich von Aufmärschen der Sozialdemokratie geprägt, von deutlichen Wortmeldung
einer Arbeiterschaft, die sich von den oben angedeuteten bitteren Bedingungen der
Farbriksarbeit im 19. Jahrhundert befreit hatte.
"Aktualisiere dein Profilbild
oder -video mit
diesem Design von WKO Steiermark."
Heute grüßt dort die Wirtschaftskammer mit der Roten
Nelke, dem historischen Erkennungszeichen und Widerstandssymbol eines
fortschrittlichen Proletariats, um die Arbeitgeber-Rolle zu beleuchten.. Das ist auf der
Ebene kultureller Codes zutiefst irritierend und sehr schlau. Ein anschauliches Beispiel
dafür, wie etablierte Codes gekapert und umgedeutet werden können, was in diesem Fall
auch das Brauchtum betrifft und die Volkskultur in der technischen Welt.
-- [Die Quest III] -- |