6. April 2018

Hendrick Goltzius war ein Maler und Kupferstecher des 16. Jahrhunderts, der das Genre durch seine Leistungen prägte. Er hatte als Kind Verbrennungen erlitten, wodurch seine rechte Hand verkrüppelt wurde. Kolportage besagt, daß ihm diese Hand zum Führen des Stichels besonders geeignet erschien, während er zum Malen die linke Hand bevorzugte. Hier seine Darstellung der versehrten Hand:

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Das allein würde ihn schon für eine aktive Rolle in der griechischen Mythologie qualifizieren. Er wäre so als Kollege des Talos geeignet, jenem Neffen von Daedalus, der sich als Lehrling derart begabt zeigte, daß der Meister ihn aus Eifersucht vom Athener Burgfelsen stieß. In diese heimtückische Tat griff allerdings -- laut Ovid -- die Göttin Minerva ein. Als Schutzherrin von Handwerkern, Dichtern, Lehrern und Geschäftsleuten rettete sie den begabten Jungen, verwandelte ihn, während er fiel, in ein Rebhuhn.

Ich finde diese kleine Passage in den Metamorphosen besonders schön: "...fing schützend ihn auf und verlieh ihm Vogelgestalt und umhüllt' ihn inmitten der Luft mit Gefieder.“ Das Rebhuhn hat Pieter Bruegel d. Ä., als er den "Sturz des Ikarus" malte, auf einen Ast gesetzt. So beobachtete der Vogel, dem keine besondere Flughöhe möglich ist, wie der Sohn des Mannes, welcher ihn töten wollte, aus großer Höhe in den Tod stürzt. (Besser könnte man Ironie wohl kaum beschreiben.)

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Goltzius hat sich übrigens auch mit Ikarus befaßt. Er nannte eine Serie von Stichen "Die vier Schändlichen" ("The Four Disgracers"). Die Blätter zeigen Ikarus, Ixion. Phaeton und Tantalus im Fall. Die Mischung ist interessant. Ixion und Tantalus sind Könige gewesen. Ikarus der Sohn eines Handwerkers, Phaeton der Sohn des Sonnengottes.

Ikarus und Phaeton waren ihrer Selbstüberschätzung zum Opfer gefallen. Der eine im Flug mit dem Flügelpaar, das ihm Daedalus gebaut hatte, der andere bei einer Fahrt mit dem Sonnenwagen seines Vaters Helios, einer Konstruktion von Schmied Hephaistos.

Die Könige Ixion und Tantalus waren ganz andere Kaliber, erlitten als Frevler erschreckende Strafen. Erst betrog und ermordete Ixion seinen Schwiegervater, dann belästigte und bedrängte er, vom Wein betrunken, Göttin Hera, die Schwester und Ehefrau des Zeus. (Quasi #MeToo auf dem Olymp.)

Tantalus bestahl die Götter, stellte überdies ihre Allwissenheit auf die Probe. Dazu tötete er seinen jüngsten Sohn und ließ ihn den Gottheiten als Speise auftragen, war gespannt, ob sie entdeckten, was da auf die Teller kam.

Das sind allerhand problematische Vater-Sohn-Geschichten plus ein beunruhigendes Spektrum infamer, heimtückischer Handlungsweisen.

Rechts der Sturz des Phaeton, dem die Feuerrosse des Sonnenwagens durchgegangen waren. Ich hab im gestrigen Eintrag notiert: "Allesamt Charaktere, wie sie im christlichen Himmel undenkbar sind."

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Im alten Griechenland haben sich Erde und Himmel umfassend berührt. Götter, Halbgötter und Menschen hatten laufend miteinander zu tun. Auch im Himmel ließen sich alle Arten von schlechten Eigenschaften und Schandtaten finden. Im Christentum wurde der Himmel dann bereinigt.

Eine recht bemerkenswerte Verschiebung der Zustände. Die Menschen haben sich ihrem Wesen nach seit diesen Zeiten natürlich nicht grundlegend geändert. Die Völker des Himmels offenbar schon. Wer dort unbotmäßig blieb, mußte in die Hölle und wir auf Erden müssen alle erst erarbeiten, wo es enden soll. Wir haben also hier im Irdischen keineswegs abgeschafft, was an schlechten Eigenschaften schon über griechische Menschen und Götter kolportiert wurde.

Definitiv jede der Schändlichkeiten hat ihre alte Geschichte und ihre aktuellen Entsprechungen. Das irdische Dasein der Christenheit quillt davon über. Bloß die Heiligen scheinen davon weitgehend bereinigt zu sein, während das irdische Personal in der Nachfolge Christi für all diese Sünden weiter anfällig blieb, die Menschheit gesamt sowieso. Hier rechts übrigens der Sturz des Ikarus von Goltzius, im Hintergrund Daedalus auf seiner Bahn.

So erscheint uns die Götterwelt der Antike quasi als großes, vielschichtiges Psychodrama, durch das wir erfahren können, was Conditio humana bedeutet. Es offenbart uns viel über Ursachen und Wirkungen unseres Handelns im Umgang miteinander, bietet warnende Beispiele.

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Es behelligt uns nicht mit moralischen Appellen, sondern schildert aus der Praxis heraus, was alles geschehen kann. Dazu erleben wir ja oft gut erkennbar jene Mitmenschen, die uns mit moralischen Appellen ködern wollen, um selbst dahinter ganz andere Handlungsweisen zu pflegen. Die Griechische Tragödie führt uns vor Augen, was in uns an Leidenschaften, Begehrlichkeiten, Emotionen entzunden werden kann.

Sie überläßt es dem Publikum, daraus Schlüsse zu ziehen. Solche Freiheit hat das Christentum nicht mehr für sinnvoll gehalten. Hier erscheint mir das Repertoire katholischer Heiligenlegenden vor allem als das Inventar einer immerwährenden Tugendanstalt. Zwar waren links und rechts von Jesus Kriminelle an die Kreuze geschlagen und der Nazarener schien ihnen gegenüber nicht gerade abschätzig zu sein, aber im Himmel gibt's das nicht.

Was mir Jesu irdische Anhängerschaft zum Teil vorhüpft, ist von einigermaßen fragwürdiger Reinheit. Erst in der Hölle scheint ganz zwanglos die Hölle los zu sein. Hier auf Erden regiert dagegen über weite Strecken die Heuchelei, wie sich auch in unser aller Alltag leicht herausfinden läßt. Ich möchte annehmen, diese Heuchelei ist letztlich vor allem eine bemühte Vermittlungsarbeit, um Himmel und Hölle in einen erfahrbaren Zusammenhang zu bringen. Oder war das doch anders gemeint?

-- [Die Quest III] --

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