19. März 2018 Zum
Auftakt der Arbeit am Symposion Kulturgeschichte in Bewegung: Das Fahrrad
las ich: Es kann nur besser werden. Das ist für mich amüsant, weil
in diesem Themenkomplex seit jeher erheblicher soziale Sprengstoff verpackt ist. Es kamen
vor über hundert Jahren große Umwälzungen in Gang, als endlich das sogenannte Sicherheitsrad
entwickelt wurde, um die gefährlichen Higwheeler (mit ihren Tretkurbeln am
Vorderrad) endgültig ins Museum zu schaffen.
Iris Kasper hält mich derzeit auf dem Laufenden, wie sich
das Projekt entwickelt, ich werde dabei sein, wenn es in der Kunsthalle Graz vom
12. bis 20. April 2018 heißt: "Im Symposium werden einerseits künstlerische
Strategien besprochen in denen das Fahrrad als Objekt oder Motiv Eingang in die Kunst
findet..."
Diese technische und soziale Innovation, als das Niederrad/Safety
gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Vorstellungen und die Praxis individueller Mobilität
vollkommen verändert hat, wird uns weiter intensiv beschäftigen. Es verbreitete sich
damals sofort in viele Teile unserer Berufswelten und fand seine ganz eigentümliche
Dynamik in der vielfach von Konventionen eingeengten Welt der Frauen. Aus der jungen
Fahrradindustrie bezog die aufkommende Automobilerzeugung etliches an technischen
Grundlagen und Ideen. Das mündete in solche Szenarien:
Mom,
said little Abner, theres a feller down the street says hes goin
to make a wagon thatll run without a boss. Hes crazy, said
Mom. He dont look like hes crazy, argued the boy. He looks
like a nice feller. Well, you keep away from him. You dont want to go
foolin round no cranks. It wasnt the first time that mothers had been
mistaken as to what their children wanted. All the boys in the neighbourhood wanted to see
the horseless carriage,
So beginnt der Roman Am Fließband. Mr. Ford und
sein Knecht Shutt von Upton Sinclair. Die Industrialisierung, der wir
hierzulande einen Großteil jenes Wohlstandes verdanken, den wir heute genießen dürfen,
war keine gemütliche Angelegenheit. Ich hatte übrigens vor zwei Tagen Gelegenheit, eine
hohe Dichte jener Menschen unter einem gemeinsamen Dach zu erleben, die genau das --
Automobilproduktion -- in Graz praktisch ausgeführt haben, bevor die Vierte
Industrielle Revolution anbrach.
Der ehemalige Puch Werksdirektor
Egon Rudolf
Den Anlaß dazu ergab der 90. Geburtstag von Egon Rudolf, vormals
Werksdirektor des Grazer Puchwerks. Rudolf war 1955 als Konstrukteur in Thondorf
an Bord gegangen, ist also mit der gesamten Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg als
Insider vertraut.
Damals begann gerade erst die Volksmotorisierung
Österreichs, womit betont sein soll, wie wichtig Fahrräder waren, wenn man über
ausladende Fußmärsche hinausgelangen wollte, während Kraftfahrzeuge für die meisten
Menschen absolut unerschwinglich blieben. Das Radel ist uns heute so
selbstverständlich, das wir gar nicht mehr bedenken, wie bedeutend diese Überlegung
wurde, menschliche Körperkraft durch so ein Maschinchen zu potenzieren.
Der Kern des Vehikels liegt im physikalischen Wunder der
Hebelkraft. Der Hebel ist ein Kraftwandler, mit dem man über dem Angelpunkt
Kraft eben vervielfäligen kann. Ein Zahnrad ist nichts anderes als ein Kranz von vielen
kleinen Hebeln. Wo die (Fahrrad-) Kette zwei unterschiedlich große Zahnräder verbindet,
wird die Kraft menschlicher Beine physikalisch vergrößert und die Strampelei in eine
Drehbewegung umgesetzt.
Das wirkt alles so simpel und vertraut, ist aber doch
Ausdruck genialer Ideen, die zu finden sehr lange gedauert hat. Bedenken Sie, über die
Hebelgesetze wußte schon Archimedes Bescheid, der rund 300 vor Christus lebte. Räder
kennen wir seit mindestens fünftausend Jahren. Leichte Streitwagen mit Speichenrädern,
im Kontrast zu schweren Karren, sind seit wenigstens 2.500 Jahren dokumentiert. Das
Fahrrad kennen wir als kurbelloses Laufrad gerade einmal 200 Jahre. Es dauert also, bis
daraus ein Tretkurbelrad werden konnte, dann das gesundheitsgefährdende Hochrad
und schließlich das moderne Niederrad, wie wir es noch heute kennen.
Brennabor Modell 0 von 1893
Hier zur Anschauung ein Kreuzrahmen-Rad, die
Vorstufe zum modernen Fahrrad mit Diamantrahmen: Es ist ein Brennabor
Modell 0 von 1893. Siehe dazu auch: "Rasende Reisende" (Ein schneller Fuß im Fluß der Dinge)!
Fahrrad und Automobil sind nur ein Teil jener Produkte, die in der Industrialisierung zu
einer sprunghaften Entwicklung von Design führten.
Da liegen dann allerhand Schnittstellen zur Welt der Kunst,
wie ich das auch im vorigen Eintrag thematisiert
hab. Das Wechselspiel zwischen freien Künsten und knechtlichen Künsten
wird uns wohl weiterhin beschäftigen. Eine andere Verzweigung in diesem Themenkomplex
weist Richtung Volkskultur, zu der auch die bisher immer noch wenig beachtete Volkskultur
in der technischen Welt gehört.
Das meint im historischen Kontext zum Beispiel die Kultur
der Fahrrardvereine. Das meint heute aber vor allem auch die hochkarätige Schrauber- und
Sammlerszene der Steiermark. Wir sind übrigens damit beschäftigt, das im Kontext von
"Dorf 4.0" zu
bearbeiten. Damit wird schon erahnbar, wie derzeit ganz unterschiedliche Kräfte sich auf
diese Zusammenhänge einlassen, was den Austausch darüber reizvoll macht, weil höchst
kontrastreiche Zugänge zur Wirkung kommen. Ich werde dazu noch diese Woche als Gast beim SPLITTERWERK
ein paar ganz grundsätzliche Aspekte des Themas vorlegen:
Martin Krusche spricht
Ikarus auf Asphalt. Das Rasen. Ein Text.
Im April dann das Symposion in der Kunsthalle Graz.
Gegen Ende des Jahres werde ich für Mythos Puch V die Geschichte in das
größere Thema "Der Geist des Transports" (Zugkraft und
Ladekapazität) überleiten und dabei einen geschichtsträchtigen Blick auf das Jahr 1921
einbeziehen: [link]
Die Schnittpunkte zwischen Volkskultur und einer Volkskultur
in der technischen Welt sind übrigens keineswegs bloß mataphorischer oder nur
kategorialer Natur. Sie können sich auch sehr konkret zeigen, wie etwa hier in
Ludersdorf, wo ein Wegkreuz frisch aufgestellt wurde und das Firmenschild eines Experten
für überaus flotte Fahrzeuge unmittelbar daneben.
-- [Die Quest III] -- |