3. März 2018

Wunderbare Zeit der wohligen Empörbarkeit. Mein Operettenland Österreich! Ich liebe die Wahrhaftigkeit solcher Offenbarungen. Zum derzeit Besten gehört, daß eben die neue Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) im Parlament mit süßlichen Sätzen erklärt hat, warum ein allgemeines Rauchverbot in Gaststätten nicht erfolgen solle.

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Aber ich greife vor. In Amerikas Unabhängigkeitserklärung, der Declaration of Independence, werden drei grundlegende Rechte genannt: "Life, Liberty and the pursuit of Happiness". Das hat Attraktivität. Ein unveräußerliches Recht auf Leben, auf Freiheit und darauf, sein Glück zu verfolgen. Warum sollte es ab da mehr an Regelwerken geben? In einer vorzüglichen Demokratie würden wir dann jeweils neu verhandeln, welche Bedingungen wir als zeitgemäß empfinden, welche Konventionen wir beachtet sehen möchten. Wir? Wir! Demos. Das Staatsvolk.

Dabei könnten wir gewiß vor allem auf öffentliche Diskurse setzen, also auch auf die Vierte Gewalt im Staat, wo Gewaltentrennung akzeptiert wird. Die Publikative (Journalistinnen und Journalisten, auch die publizierenden Kräfte aus Wissenschaft und Kunst) ergänzt dabei die Legislative (gesetzgebende Gewalt), Judikative (Recht sprechende Gewalt) und Exekutive (ausführende Gewalt). Siehe dazu den Eintrag vom 15 Februar 2018!

Pursuit of Happiness als gundlegendes Recht? So einen Fokus kennen wir freilich nicht. Als Urenkel eine Monarchie (mit ihren verkommenen Eliten), als Enkel eines präfaschistischen Ständestaates (mit seinen pathetischen Maulhelden), als Kinder des Naziregimes, das in Zynismus und Menschenverachtung völlig neue Maßstäbe gesetzt hat, mußten wir uns in der Zweiten Republik erst aus Bergen von Pathos, Schuldgefühlen und Realitätsverweigerung gegenüber der Rolle des Agressors zweier Weltkriege herausarbeiten. Während sich die Herrenmenschen einfach nahmen, was sie für ihr Glück zu brauchen meinten, fanden wir wenigstens danach allerhand Konsens zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Nun kurz zum aktuellen Tagesgeschehen. Ein im Web kuriserender Video-Clip zeigt  Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein, wie sie sagt: "Österreich ist ein sehr gastfreundliches Land". Es folgt ein Lob der Tradition des Tourismus, dem die Frau ein staunenswertes Geschwurbel darüber anfügt, wie "wir" angeblich die Gäste "bei der Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse" unterstützen. "Wir geben den Gästen zu essen, wir geben ihnen zu trinken, wir bieten ihnen Schutz vor extremer Hitze, und wie heute vor eisigen Temperaturen."

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Das alles zielt, leicht zu erraten, auf die Annehmlichkeiten des Rauchens, von denen die Gesundheitsministerin sagt, dies seien "kleinere Schwächen" mancher Menschen, in denen sie von unseren Gastwirten eben nicht gemaßregelt würden. Natürlich ist es grotesk, diesen Genuß im Parlament "kleinere Schwächen" zu nennen, da er ein Suchtpotential bietet, über das mir schon gesagt wurde: "Vom Rauchen bin ich schwerere runtergekommen als vom Heroin". Bleiben wir bei der freien Entscheidung von Menschen für oder gegen diesen Genuß, aber das Thema so im Hohen Haus und via Massenmedien zu promoten, ist frivol.

Die Gesundheitsministerin desavouiert dann ausdrücklich die vorangegangene Regierung, welche es verboten habe, daß "Gastwirte einen Raucher mit all seinen kleinen Schwächen bewirten". Selbstverständlich sind das obszöne Ausführungen. Würde ich mich selbst in so einem Zustand des vollkommenen Mangels an intellektueller Selbstachtung vorfinden, wollte ich mich vermutlich von einer Autobahnbrücke stürzen.

Ich brauche eine Kohärenz innerer Befindlichkeiten. Die muß ich und darf ich wohl auch nicht allgemein erwarten. Dazu paßt, fast wäre es zum Brüllen komisch, daß etwa Die Presse meldet: "Vizekanzler Strache polemisiert: Raucher würden krank, wenn sie draußen rauchen müssten." [Quelle] Das sind derart dummdreiste Meldungen von hochrangigem Personal des Staates, daß es einen sprachlos machen könnte.

Zu dem fügt sich, daß ich auch in meinem näheren Umfeld von Menschen höre, hier sei ein allgemeiner Feldzug gegen die rauchenden Menschen losgebrochen, was Mumpitz ist, denn es geht in der Sache gerade ausschließlich um Gaststätten. Aber wie so oft wird dann auf dem Boulevard eine Art Glaubenskrieg daraus.

Wem dieses Thema zur Aufregung nicht reicht, fände an Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer (vormals SPÖ) vielleicht viel Freude und Anlaß zur Erregung, denn er ist derzeit im Gerede, da er sich in Rußland als Konsulent verdingt hat. Gusenbauer wird derzeit häufig in einem Satz mit Vladimir Putin genannt. Ein einstige Spitzenpolitiker Österreichs verwertet seine Erfahrungen, seine Netzwerkkontakte, bewirtschaftet jene Kompetenzlage, die er aufbauen konnte, als er einem ganz anderen politischen System diente als dem von Rußland. Wie kann er nur? (Ist das nicht seine Sache?)

Doch in solchen Irritationen übertraf dieser Tage Eva Glawischnig die anderen Kuriositäten ganz erheblich. Der Glücksspielkonzern Novomatic verlautbarte: "Langjährige Bundessprecherin der Grünen übernimmt mit 1. März 2018 die Verantwortungsbereiche Corporate Responsibility und Sustainability."

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Das wirkt auf mich äußerst provokant, denn diese Company bewirtschaftet ein Feld, auf dem ein äußerst hohes Suchtpotential all jenen auflauert, die für ein Suchtverhalten anfällig sind. In diesem Metier gehen laufend Existenzen kaputt und Familien den Bach runter, was zur Folge hat, daß zwar die Company Profit verbuchen darf, aber die Gesellschaft auf den volkswirtschaftlichen Schäden durch diese Branche weitgehend hocken bleibt.

Natürlich empfinde ich es als zynisch, wenn mir der Konzern vor diesem Hintergrund mitteilt: "Nachdem NOVOMATIC in den nächsten Jahren die globale Marktführerschaft anstrebe, gehe es auch darum, im Verantwortungsmanagement die entsprechenden Weichen zu stellen.'„Wir wollen auch hier weltweit Maßstäbe setzen', so Glawischnig."

Aber wozu diese ganze Empörung? Woran nimmt die Maß. Warum fällt es uns so schwer, derlei Karrierekonzepte eher unaufgeregt als das zu betrachten, was sie vor allem einmal sind? Ganz banal: Da nutzt jemand alle greifbaren Möglichkeiten, um es sich zu verbessern.

Verstehen Sie mich recht, ich selbst stehe nicht für solche Modi. Ich fühle mich persönlich auf eine Kohärenz angewiesen, die über Jahrzehnte Bestand hat. Ich brauche solche Folgerichtigkeit, eine Art der Integrität, um psychisch heil zu bleiben und eine stabile Identität zu empfinden.

Dabei habe ich einen simplen Wunsch nach Redlichkeit. Unter Redlichkeit verstehe ich, daß jemandes Denken, Reden und Tun sich längerfristig in einem Fließgleichgewicht befindet. Daher würden thematische Karriere-Brüche der beschriebenen Art, wie bei Gusenbauer, Hartinger-Klein und Glawischnig, mich völlig aus dem Gleichgewicht bringen. Da hülfe alles Geld aus fetten Honoraren nichts. Den genannten Kräften geht dabei es aber offenbar nicht so.

Nun wüßte ich bei all dem aktuellen Gezeter gerne, wann wir welche Übereinkunft getroffen haben, die inzwischen breiten gesellschaftlichen Konsens genießt, um solche Karriereschritte zu ächten. Eine Übereinkunft, die das zurückweist, was ich übrigens persönlich als Zumutung empfinde, nämlich derlei Karriereentwicklung wie bei Gusenbauer, Glawischnig und bei Hartinger-Klein. Wo und vom wem wurde mir zugesichert, daß es gilt, daß man sowas nicht macht, weder für viel, noch für wenig Geld? Wer hat es aufgeschrieben und wo kann ich es nachlesen? Gilt es auch für die Menschen, mit denen ich zu tun hab, wenn mich jemand davon hinter Licht führt? Und wo kann ich nachlesen, daß dieser angeblich höhere moralische Standard für Leute in der Politik vereinbart wurde? (Ich wäre ja sehr dankbar, so ein Dokument zu finden.)

Natürlich sollten wir über Konventionen und Ethos reden. Meinetwegen auch über Werte, da ja Werte in den letzten Wahlkämpfen so reichlich erwähnt und von vielen Leuten wie Fähnchen vor sich hergetragen wurden. Vielleicht beginnen wir das mit einer kleinen Erhebung des Status quo, um ein paar brauchbare Referenzpunkte zu bekommen, die uns Handlungsweisen wie jene von Gusenbauer, Hartinger-Klein, Glawischnig und Konsorten aktuell einordnen lassen. (Alle Arten von "gesundem Volksempfinden" wären mir dabei aber unzureichend.)

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