21. Februar 2018 Gestern
war um fünf Uhr morgens zu sehen, daß die Schneedecke dick genug wird, um dem Tag
standzuhalten. Es dauerte nicht lange und ein Feuerwehralarm unterstrich diese Gewißheit.
Brennt es heute eigentlich noch wo? Die regionalen Wehren scheinen vor allem mit
Autounfällen befaßt zu sein. Und sommers haben manche Menschen leere Brunnen. auch da
hilft die Feuerwehr. (Wasser wird übrigens in unserer Gegend knapper.)
Nach dem ersten Boom von Schneefotos via Social Media,
den ich auch Gründen demonstrativer Coolness lieber vorbeiziehen ließ, kann ich jetzt
nachholen was ja heute nicht mehr zu sehen wäre, nämlich den unberührten,
schneebedeckten Parkplatz vor meinem Küchenfenster zu zeigen. Die Menschen sind in
unserer Gegend sehr energisch, was geräumte Fahrwege angeht, auf daß der Automobilismus
möglichst unbehindert bleibt. Die Bürgermeister der Gegend wappnen sich, weil wieder
ernsthafte Beschwerden kommen werden, daß jemandes Ausfahrt um sechs Uhr morgens noch
nicht schneefrei war.
Ich bin in der Sache bevorzugt, weil ich a) meinen
Arbeitsplatz zuhause habe und b) mein eigenes Auto vor über einem Jahr aufgab. Das bringt
dann andere Seiten hervor. Daß ich etwa gestern mit offener Jacke und offenem Mund durch
die Stadt ging, die Unterlippe vorgestülpt, um Schneeflocken zu erwischen. Ansonsten
verfolge ich etwas ernstere Geschäfte. So ist inzwischen beispielsweise die neue Leiste
zum Kuratorium für triviale Mythen im Austria-Forum gut gediehen, dem
Themenbogen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst gewidmet: https://austria-forum.org/vum
Dort ist unter anderem eine Notiz zu finden, die den
dritten Teil von "Die Quest" betrifft: [link] Dabei ist ein Hinweis untergebracht, der meine kommende Session
im Project Space des Grazer SPLITTERWERK abzeichnet: "Martin
Krusche spricht. Ikarus auf Asphalt. Das Rasen. Ein Text." [link]
Das sind neuerdings wieder Spaziergänge entlang einer
möglichen Komplexitätskrise im Bündeln ganz unterschiedlicher Themenkreise.
Aber genau das fasziniert mich, wenn ich entdecken kann, wo verschiedene Genres und
Fragestellungen verknüpft sind. Derzeit schreibe ich ja an einem Essay über Volkskultur,
wobei ich naturgemäß die schon genannten Querverbindungen zu Popkultur und Gegenwartskunst
im Auge habe.
Im Jahr 1955, also ein Jahr vor meiner Geburt, schien klar:
Gesetzliche Maßnahmen - so notwendig sie auch sind - haben geringe Wirkung ohne
die tätige Unterstützung der großen Erziehungsfaktoren Elternschaft, Schule und
Kirche. Da taucht dann dieser kulturelle Schlüsselbegriff meiner Kindertage
auf, Schmutz und Schund. Es ist bemerkenswert, wie man in jener Festschrift des
Landes Steiermark (Steirische Bewährung 1945-1955) so eine trübe
Kategorie auf die eigenen Kinder anwandte, statt sie vor allem in sich selbst zu suchen,
denn die Nazi-Ära war ja nicht ohne eifriges Personal möglich gewesen und das
Gedankengut jener Zeit erweist sich immerr noch als sehr haltbar.
Es galt also 1955 gegen die Schmutz- und
Schundliteratur vorzugehen. Man sah die geistige und gesundheitliche
Entwicklung der Jugend in Gefahr, sorgte sich wegen deren Zugang zu schädlichen
Suchtmitteln Alkohol und Nikotin, den Lockungen zu einem verderblichen Vergnügungsleben
und vorzeitiger Sexualität. (Es fehlt ein Hinweis, was demnach die
"richtige Zeit" dafür wäre.)
Mit Schmutz- und Schundliteratur waren
vorrangig Comic-Hefte und Groschenromane gemeint, aber auch heimische Gegenwartsliteratur
konnte diese Markierung erhalten. Ich hatte 1977 meine Anstellung als Buchhändler
aufgegeben, um fortan als freischaffender Künstler zu leben. Im Jahr davor, also 1976,
fand die steirische Landesausstellung "Literatur in der Steiermark"
statt.
Im Katalog dazu verfaßte Paul Anton Keller den Beitrag Schrifttum
in der Steiermark in den Jahren 1938-1945. Man durfte ihm da fundiertes
Insiderwissen zutrauen, denn er war Leiter der NS-Schrifttumskammer in Graz gewesen.
Keller trat schon 1933 der NSDAP bei, war also damals illegaler Nazi, und gegründete 1936
den Bund deutscher Schriftsteller Österreichs, eine getarnte
nationalsozialistische Organisation.
Solche Leute durften uns belehren, was kulturell angemessen
sei. Anno 1955 war erkennbar ein eigenartiger kultureller Restaurationsversuch in Gang.
Man gedachte der Jugend eine saubere Fest- und Feiergestaltung
anzubieten, aber auch die Pflege des heimischen Volkstums
nahezubringen. Deshalb war die Heimatpflege in der steirischen
Volksbildung ein wichtiges Thema, also eine der Heimat und dem
Volkstum dienende Bildungsarbeit, die von einem echten
Verständnis getragen sei, so eine offizielle Publikation der steirischen
Landesregierung.
Damals konnte wohl niemand ahnen, wie sehr vor allem
kommerzielle Interessen solche Volkstümelei unterlaufen würden. Dazu machte ich
gestern in meinem bevorzugten Kaufhaus eine kuriose Entdeckung. Ich fragte eine
Verkäuferin angesichts eines Trachtendirndls, das zu reduziertem Preis angeboten
wird, ob dies die vielfach beworbene neue Gleisdorfer Tracht sei. Sie bejahte.
Überflüssig zu erwähnen, daß dieses Ensemble weder der
historischen Gleisdorfer Tracht ähnelt, noch mit den Darstellungen steirischer Trachten
von Gundl Holaubek-Lawatsch in Deckung zu bringen ist. Ende Jänner dieses Jahres hatte
das Citymanagement die Tracht noch für die bevorstehende Ballsaison beworben: "Wer
Heimatverbundenheit zeigen möchte, hat mit der Gleisdorf-Tracht die Möglichkeit dazu."
Ein verblüffendes Verkaufsargument. Die Verkäuferin machte mich dann auf ein mehr
als kurioses Detail aufmerksam, das mir bisher nicht aufgefallen war.
Einige der Teile für Frauen und Männer sind aus Stoffen
gemacht, die als Muster das aktuelle Logo der Stadt Gleisdorf tragen. Ein markantes
Beispiel, wie die Kultur zunehmend zur Magd des Marketing gemacht wird. Ein
aufschlußreiches Beispiel, daß uns die Wirtschaft ganz massiv Identitätsangebote
macht, denn Heimatverbundenheit mit Werbemaßnahmen zu koppeln und mit
Werbetechniken zu promoten ist ziemlich unmißverständlich.
Das verträgt sich ganz vorzüglich mit der aktuellen
Erfahrung, wie sehr unsere Bundespolitik derzeit mehr Marketing als Staatskunst ist, was
der Demokratie einen eigenartige Schlag verpaßt. Vermarktbarkeit ist ein entsprechend
rüdes Kriterium, wenn wir etwa über kulturelle Agenda reden. Ich denke, da besteht
derzeit eine Menge Klärungsbedarf. |