24. Jänner 2018

Barb sagt: "Gottseidank können wir die Zukunft nicht voraussagen. Wie kämen nie aus dem Bett." Da hat sich der Gott des Gemetzels noch nicht entspannt zurechtgesetzt, um die ganze Familie in einen Krater zu werfen. Aber ich bin ja im falschen Film. Es geht hier gar nicht um "Carnage" (2001).

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Meryl Streep und Sam Shepard in "August: Osage County"

Es geht um komplizierte Verhältnisse. An einer anderen Stelle wird Barb's Tante Mattie Fae konstatieren: "Um kompliziert zu sein, muß man was im Kopf haben." Derzeit bereitet mir britisches und amerikanisches Kino wieder Vergnügen, wenn auch nicht lustig ist, was da an Glanzstücken geboten wird.

Eben hat mir Meryl Streep als krebskranke Violet (und Mutter von Barb) gezeigt, wo der Hammer hängt, wenn man sich fragt, wie Paare mehrere Jahrzehnte miteinander durchstehen. Sie zeigt schon im Auftakt des Filmes ein Match mit ihrem Mann (Sam Shepard), das sie als legitime Tochter von Martha (Liz Taylor in "Who's Afraid of Virginia Woolf?", 1966) ausweist.

Tracy Letts schrieb das Theaterstück, auf dem "August: Osage County" (2013) basiert, auch das Skript zum Film in der Regie von John Wells. Ein Schlachtfest gestandener Frauen, nachdem sich Violets Mann Beverly umgebracht hat. Julia Roberts dabei als Tochter Barb in harter Konfrontation mit ihrer Mutter und alle anderen auf dem Set. Unübersehbar lauter wandelnde Kollateralschäden, vorzüglich besetzt.

Dabei hatte ich eben erst eine vergleichbare Dämmerung unter Eheleuten in "The Party" (2017 von Sally Potter gesehen, wobei Helen Mirren von einer hinreißenden Runde umgeben ist. Das ergänzt, was Ang Lee 1997 in seinem fulminanten "The Ice Storm" gezeigt hat, wo die Eheleute quasi erst auf halber Strecke sind und die Kinder sich in der Pubertät befinden. In "August: Osage County" sind diese Zeiten und Krisen schon absolviert und die Geschichte entfaltet sich wie eine griechische Tragödie, schlägt mit jeder Wendung härter in die Herzen der Betroffenen.

Ebenso atemberaubend, wenn auch nicht so erdrückend, "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" (2017) des irischen Dramatikers Martin McDonagh. Darin Frances McDormand und Woody Harrelson in Konfrontation. Die wütende Mutter eines Mädchens, das vergewaltigt und ermordet wurde, auf Kollisionskurs mit dem krebskranken Polizeichef. Dazu noch die hinreißende Qualität des Autors, daß er in so einer bitteren Geschichte sogar das Komödienhafte herausarbeiten kann, ohne die Story in den Graben zu fahren.

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Frances McDormand in "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri"

McDormand hab ich nun übrigens noch in einem Film von Gus Van Sant vor mir, wo sie an der Seite von von Matt Damon im "Promised Land" (2012) umackert. So pendle ich in stillen Stunden zwischen Büchern und Filmen. Ich bestaune nachdenklich, was so an Niedertracht in uns Menschen schlummert, die anscheinend unbeirrbar hervorkommen will, wenn jemand meint, das Leben, die Welt oder wer auch immer sei ihm, sei ihr etwas schuldig.

Ich finde momentan keine plausiblere Erklärung für die harten Touren, die mir rundum auffallen. Da meint jemand, beim Leben Schulden eintreiben zu müssen, was sich an konkrete Menschen adressieren muß, weil es sonst nur eine leere Geste bleibt. Ab das läuft dann über harte Konfrontationen. Wo sich Wünsche oder Forderungen nicht einlösen wollen, kommt reichlich oft ein unerbittlicher Nachdruck, der gerne in Niedertracht umschlägt, das Inkasso auf ein Nein stößt.

Das ist eine von mehreren Merkwürdigkeiten dieser Gegenwart, nichts Neues, aber von erlesener Frische und äußerst verbreitet. Dazu fällt mir inzwischen nichts mehr ein. Es gibt mittlerweile allerhand Erklärungsmodelle für solche Verhaltensphänomene, wobei mir vor allem auffällt, daß sie in mir ein Verstummen auslösen. Das anhaltende Räsonieren, ein übliches Gezeter über derlei Arten von verhaltensoriginellem Benehmen, erscheint mir als Vergeudung von Zeit. Wo man mit Anliegen nicht durchdringt, mit Vorschlägen, mit Appellen, wo eventuell auch von hausaus Mindeststandards der Achtsamkeit fehlen, läßt sich offenbar nichts ausrichten. Das verlangt nach Umzug auf andere Terrains oder das Aufmachen nächster Nischen.

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Quelle: Kronenzeitung

Ich hab ebenso ratlos bestaunt, daß neuerdings Erwin Wurm, einer der renommiertesten Künstler meiner Generation in Österreich, sein Gesicht in den Wahlkampf hängt, um für Johanna Mikl-Leitner ein- und aufzutreten. Ich könnte das vielleicht noch verstehen, wenn es sich bei der beworbenen Politikerin um eine intellektuelle und emotionale Größe handeln würde, die dem Land etwas zu sagen hat, wobei sich ein Hinhören lohnen könnte. (Ihre Stimme klingt noch in meinen Ohren, aber ich haben keinen der Sätze in Erinnerung behalten.)

Ist es denkbar, daß sich Wurm der Politikerin so warmherzig verbunden fühlt, also auf sehr persönlicher Ebene, daß er im Sinne eine privaten Gefälligkeit seine Reputation in ihren (landes-) politischen Dienst stellt? Ich kann es mir nicht vorstellen und jedes billigere Motiv ließe mich ratlos den Kopf schütteln. Gut, er wird seine Gründe haben, die sich mir nicht erschließen.

Meine Vorstellung von Kohärenz muß damit eben nicht vereinbar sein. Ich versuche zu begreifen, daß unsere Gesellschaft sich mit einem völlig fragmentierten Ensemble von Codesystemen und Wertekatalogen eingerichtet hat. Dabei ist es natürlich schlau, so zu tun, als wäre der jeweils eigene Wertekatalog von umfassender Gültigkeit, am besten überhaupt ein Dokument, das erkennbar "Unsere Werte" gelistet hat, die ja "Unserer Kultur" entspringen, in "Unserer Geschichte" begründet sind und daher "Unsere Identität" wiederspiegeln.

Wie dubios genau solche Konzepte sind, müßte aber inzwischen klar geworden sein. Inzwischen? Die letzten zweihundert Jahre quellen über von Belegen, wie gesundheitsschädlich und lebensgefährlich genau solche Werte- und Sinnkonstruktionen stetes für Millionen von Menschen sind. Bleibt die brennende Frage, wie denn nun und heute Wir-Konstruktionen beschaffen sein müßten, um solche Effekte nicht zu reproduzieren...

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