17. Jänner 2018 Das
2018er Kunstsymposion ist mit einer gewichtigen Markierung versehen: der
Rückblick auf das Jahr 1918, da Österreich völlig neu gedacht und konstituiert werden
mußte. Bei dieser Rückschau geht es unter andrem um Fragen der Entwicklung eines Landes,
um Fragen der Zukunftsfähigkeit.
Sarajevo
Da ich gemeinsam mit Heimo Müller (Blogmobil) für dieses Jahr
einen "Sarajevo-Kontext" ins Auge gefaßt hab, ist nun zu erschließen,
welches Themenspektrum sich da vorrangig auftut. Sarajevo stand im ersten und im letzten
Teil des 20. Jahrhunderts repräsentativ für die ungelösten Fragen in der Beachtung des
doppeldeutigen Inhalts der Bergrifflichkeit "Volk" als Ethnos
(kulturelle Formation) und Demos (Staatsvolk).
Da der Nationalismus, wie wir ihn erfahren haben, diese
beiden Kategorien Ethnos und Demos beliebig mischt, ist leicht der Blick
darauf verstellt, daß Volk und Volkswirtschaft in ihrer Wechselwirkung
enorme Effekte haben. Als in Jugoslawien die Söhne der Völker zu Vätern
der Nation mutierten, worauf die ethnischen Konflikte hochgingen, war das
unübersehbar von einer zusammenbrechenden Volkswirtschaft angetrieben.
Ich hab anläßlich meine jüngeren Notizen zwei Aspekte
ins Blickfeld bekommen, die dazu offenbar schon lange eine wichtige Rolle spielen mögen.
Da geht es um zwei Fragen:
+) Wer profitiert von Innovationen?
+) Wohin mit den überflüssigen Söhnen?
Es heißt, in der Antike hatten die Sklaven, von denen ein großer Teil anfallender
Arbeiten erledigt wurde, kein Interesse an Innovation, an technischem Fortschritt gezeigt,
denn ein möglicher Nutzen daraus wäre nicht ihnen, sondern bloß ihren Herren zugute
gekommen.
Dieser Zusammenhang spielte auch in der gesamten
Industrialisierung und da speziell in den letzten 200 Jahren seine Rolle. In der
japanischen Industrie ist das ein eigenes kulturelles Genre. Kaizen bedeutet,
jede Kraft im Haus ist eingeladen, Verbesserungsvorschläge zu äußern. (Wer an den
Früchten von Innovation nicht beteiligt wird, mag seine Ideen wohl eher für sich
behalten.)
Der andere Punkt: Kein Bauer und kein Knecht führte ein
besseres Leben, nachdem er Haus und Hof hinter sich ließ, um für seinen Fürsten aufs
Schlachtfeld zu gehen, dabei seine Gesundheit und sein Leben zu riskieren.
Kosarac
Das Kriegshandwerk war ursprünglich nur etwas für Profis
wie etwa Söldner oder die Ritterkaste. Aushebungen im Volk waren naturgemäß sehr
unbeliebt. Vor allem waren fürs Schlachtfeld aber die überzähligen Söhne bestimmt. Das
meint die zweit-, dritt- und viertgeborenen Söhne, welche zuhause nichts werden konnten,
die keine angemessene Existenzgrundlage fanden, um etwa einen eigenen Hausstand zu
gründen, einen Betrieb aufzubauen, was auch immer.
Die grundlegende Faustregel ist leicht zu verstehen: Wo ein
Vater stirbt, macht er in der Volkswirtschaft Platz für einen Sohn. Jeder
weitere Sohn hat schlechtere Chancen zu reüssieren. Dieses Prinzip verschiebt sich,
verzerrt sich sogar, wo neue Technologien und neue Wirtschaftsformen die Produktivität
steigern, also den Menschen Arbeit abnehmen. So oder so muß stets neu verhandelt werden,
wie sich der Broterwerb für alle sicherstellen läßt auch ob dabei Arbeit
(Tätigsein) und Broterwerb immer gekoppelt sein müssen.
Wer diese Debatte scheut, kann überzählige Söhne heute
nicht mehr -- wie einst -- in andere Weltgegenden entsorgen, in Kolonien schicken, sondern
muß sie in Kriegen verbrennen. Ansonsten entwickeln Söhne, die nichts werden können,
zuhause sehr bald eine Menge krimineller Energie und bauen sich zu einem großen
innenpolitischen Problem auf, das Regime erfahrungsgemäß dann lieber zu einem
außenpolitischen Problem machen = Krieg gegen jemanden anzetteln.
Zur Zeit unserer Väter und Großväter konnten Millionen
von Söhnen in Kriegen verbrannt werden, das war von etablierten Ideologien gedeckt.
Dieses Verbrennen überzähliger Söhne vollzog man vorzugsweise nicht auf "Heimaterde",
sondern in fremden Ländern. (Mein Vater erlitt seine schlimmsten Verwundungen in
Rußland, wo er ja nichts verloren hatte.)
Dabei war es ein besonderes Verdienst der habsburgischen
Eliten, in einem 1914 sinnlosen und stümperhaft begonnen Krieg auf dem Balkan, den sie
regional und zeitlich nicht einzugrenzen vermochten, die wirtschaftliche und
geistig-kulturelle Blüte des eigenen Staates zu zerstören, um dabei auch gleich ein paar
wichtige Fundamente für den späteren Aufstieg der Nazi zu legen.
Solche Verfahrensweisen, sich auf Kosten anderer zu
entlasten, stehen den Regierungen Europas heute nicht mehr zur Verfügung, wie der
Untergang Jugoslawiens in den 1990ern nun vielleicht doch endlich klar gemacht hat,
während inzwischen aus anderen Weltgegenden Söhne, die dort nichts werden
können, zu uns kommen.
Katharina Asbäck und Heimo Müller
mit dem Blogmobil
Diese Ära 1918-2018 hat uns demnach in einen Umbruch
geschickt, bei dem wir vieles an altvertrauten Bildern, Ansichen und Strategien hinter uns
lassen müssen.
Politik und Verwaltung zeigen mir, daß sie sich diesen
Fragen derzeit kaum stellen wollen. In einem wohlhabenden Land kann das eine Weile
gutgehen, weil der Wohlstand hilft, den Stillstand zu kompensieren. Im regionalen
Kulturbetrieb würde allerdings vergleichbare Stagnation sofort alle Fundamente angreifen.
Wissens- und Kulturarbeit, die auf Schlüsse aus der Reflexion verzichtet, richtet sich
umgehend selbst hin.
Deshalb sind diese Angelegenheiten auch Thema des 2018er Kunstsymposions,
dabei aber nicht zwingend Thema der Kunst, denn die ist kein Saisongeschäft der
Berichterstattung, sondern sie gilt nach wie vor als autonom, den eigenen Regeln und
Aufgaben verpflichtet.
Im Augenblick bleibt einmal auszuloten, welche Fragen mit
Mitteln der Kunst zu bearbeiten sind, wie das Künstler Selman Trtovac
stets betont, und wie dieser Bereich der Kunst mit anderen Verfahrensweisen zu flankieren
ist.
-- [Das 2018er Kunstsymposions] -- |