27. Dezember 2017 Das
Kramen in "The Mechanic's Magazine" hat mir eine feine Graphik
geliefert, womit das Kuratorium für triviale Mythen ein neues Covermotiv erhält. Es
muß eine aufregende Zeit für technische Zeichner und Kupferstecher gewesen sein. Die
hatten sich dann im Jahr 1960 auch mit "Mr. Thomas Allan, the well-known
electrical engineer" zu befassen, vor allem mit seiner "description of
the principal improvements", also mit einer Beschreibung der grundlegenden
Verbesserungen des elektrischen Telegraphen.
Daraus ergab sich unter anderem diese schöne Arbeit, die
nicht bloß einem nützlichen Maschinchen gewidmet sein müßte, sondern auch ganz für
sich graphische Qualitäten zeigt, die sich verschiedentlich umwidmen ließen. Aber es
paßt gleichermaßen sachlich für das Kuratorium, im Sinn einer laufenden Erzählung,
die sich auf einer wesentlichen Ebene bei mir stets als Text ereignet. In dem Zusammenhang
finde ich das Keyboard aus dem 19. Jahrhundert interesssant, auf dem die Space-Taste
so zentral liegt.
Laufenden Erzählung, Narrative, Rituale... Ich hatte eben
eine Debatte zu den Fragen, was sich über Menschen (Plural) an tauglichen Aussagen machen
läßt. Naja, eigentlich drehte sich das erst einmal um die Frage, welchen Rang Wissenserwerb
und Erkenntnisgewinn haben. Ist es denn überhaupt nötig, über die
unterschiedlichen Inhalte der zwei Begriffe Erkennen und Erkenntnis nachzudenken?
Weihnachten läßt mich gerade daran denken: das ist
vielleicht eine Qualität des Rituals. Es kann uns allerlei Auskunft über uns
selbst geben, ohne daß dabei Denkprozesse losgetreten werden müssen. Ist das dann sowas
wie Segen und Fluch zugleich? Ich neige zur Ansicht, daß wir in einer Verfassung geboren
werden, die Wissenserwerb und Erkenntnisgewinn ganz zügig zu zentralen
menschlichen Anliegen machen. Das ergibt sich aus der Neugier und der Lust am
Spiel, die man Kindern gewöhnlich nicht beibringen muß und nur schwer austreiben
kann.
Neugier und Lust am Spiel sind natürlich keine
Eigenschaften, die bloß Kindern vorbehalten wären, sondern in den Grundlagen der
Menschen eingerichtet. Kurios genug, daß wir etwa die Kunst brauchen, um die Praxis
dieser Bedürfnisse für Erwachsene gesichert zu sehen. Damit wäre auch ein wenig
deutlich gemacht, weshalb Kunstschaffende immer wieder angefochten, in Frage gestellt
werden.
Wo kämen wir denn hin, wenn all die Erwachsenen an Neugier
und Lust am Spiel festhalten wollten und diese Neigungen jederzeit von der Leine ließen?
Das ist einer der Gründe, warum altes Kulturgut, nämlich unser Talent zur Muße,
als Müßiggang denunziert wird, der als "aller Laster Anfang"
gilt?
Was müssen das für unangenehme Leute gewesen sein, die
sich derlei moralische Konzepte ausgedacht haben und sie durchsetzen konnten. Ich
versuche, mir etliches davon mit mentalitätsgeschichtlichen Kräftespielen zu erklären.
In unserem Lebensraum war die Gesellschaft allein schon durch die alltäglichen
Lebensbedingungen brutalisiert.
Der ewige Mangel, die gelegentliche Not, die endlose
Schufterei in der Landwirtschaft, wo kleine Kinder als nutzlose Esser galten und so bald
wie möglich in die Arbeitswelt einbezogen wurden. In der Industrie war es seinerzeit
nicht besser. (Anfangs kämpften Arbeiterbewegungen etwa darum, daß Kinder nicht mehr als
zehn Stunden in der Fabrik arbeiten mußten.)
In diesen Tagen wird das zweite Booklet zum Projekt "Vom
Pferd zum Sattelschlepper" online gehen, um die aktuelle Reihe
fortzusetzen. Darin habe ich notiert: "Wenn Sie in unserer Gegend mit Menschen
aus der bäuerlichen Welt sprechen, wird man Ihnen bestätigen, daß es früher so war:
Wer sich nicht geschunden hat, hat nichts gegolten. Unter den Großeltern der
Einheimischen konnte man leicht zu hören bekommen, daß das, was Städter tun, ja keine
Arbeit sei. Noch heute treffen wir auf die Ansicht, daß nur harte körperliche Arbeit
richtige Arbeit sei."
Wir stehen in dieser frühen Phase der Vierten
Industriellen Revolution ganz zentral vor der Aufgabe, unsere Arbeitsbegriffe zu
überdenken und neue Arten eines Arbeitsethos auszuhandeln. Im Heftchen heißt es weiter: "Dieser tradierte Arbeitsethos hat
prominente Quellen. Im ersten Buch Mose, der Genesis, kommt jene Formulierung vor, die zu
unserer kulturellen Grundausstattung gehört und vermutlich jedem erwachsenen Menschen
vertraut klingt: 'Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen'."
Nun waren wir Jahrtausende damit befaßt. über technische
Lösungen das Schweißaufkommen des Menschen zu mindern. Aber! Mentalitätsgeschichte. Im
Zug meiner Recherchen habe ich auch im Buch Gesesis bei Mose
nachgelesen. |
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Kain, der Ackerbauer, erschlägt Abel, den
Hirten. Die Geschichte einer Missgunst dessen, der sich Jahr um Jahr abrackert, gegenüber
dem, der sich mit dem Vieh umtreibt... Womöglich eine Kontroverse zwischen dem Seßhaften
und dem Wanderhirten.
Freilich haben sich bei uns die erklärten Werte der
Seßhaften durchgesetzt. Die Hauslosen, die Wandernden, müssen das hinnehmen. Taglöhner.
Roma. Flüchtlinge. Immer haben wir Menschen zur Hand, die als inferior markiert
werden und uns als Kontrastmittel dienen, um die eigene Position zu legitimieren.
Dabei auch der Klassiker unter den feindseligen
Zuschreibungen: "Der wandernde Jude", Ahasver, wie er im
derzeit neu anschwellenden Antisemitismus wieder in Stellung gebracht wird, vielfach von
Menschen, die diese Erzählungen gar nicht kennen. Niedertracht und Fremdenfeindlichkeit
sind eben Kulturgüter, die ganz ohne detaillierte Kenntnisse ihrer Quellen funktionieren.
Ich schließe aus solchen Entwicklungen, daß
die Kultur- und Wissensarbeit unter anderem die Funktion hat, unsere Narrative zu
verhandeln. Wir sind von vielen grundlegenden Erfahrungen abgeschnitten, haben sie
kommerziellen Unternehmen überlassen. Dafür liefert gerade die Volkskultur lebhafte
Beispiele, genauer gesagt: das, was wir unter Volkskultur verstehen sollen. Auch
hier also weiterer Klärungsbedarf...
-- [Das 2018er Kunstsymposion] -- |