22. Dezember 2017

Auf dem Weg zum 2018er Kunstsymposion, wenige Tage vor dem Jahreswechsel, wo mir allerhand Nachrichten um die Ohren flattern, es möge nun stimmungsvoll zugehen. Stimmungsvoll? Das ist ein extrem nutzloser Containerbegriff. Was genau steckt denn drinnen? Themenwechsel!

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Es gilt als einigermaßen geklärt, daß wir als radikale Egoisten geboren werden, um in den folgenden Jahren mühsam zu lernen, daß wir ohne menschliche Gemeinschaft verloren sind. Dazu hat uns die Natur sogar physisch ausgestattet, auf daß wir fähig sind, emotionale Zustände anderer wahrzunehmen und nachzuvollziehen.

Das brachte Aristoteles auf die anheimelnde Formulierung, der Mensch sei ein Zoon politikon, ein geselliges Tierchen. Dieser griechische Terminus bezeichnet -- nüchterner betrachtet -- Wesen, die ein Leben in Gemeinschaft bevorzugen, was damals die Polis meinte, den Stadtstaat. Heute assoziieren wir mit dem Wort Polis am ehesten das Gemeinwesen, womit auch ein Aspekt von Politik benannt ist. Polis und Politiké, also Gemeinwesen und Staatskunst, die Funktionärswelt.

Apropos! In der Sendung „Runder Tisch“ vom Montag, dem 18.12.2017, zum Thema "Was können wir von der neuen Regierung erwarten?", waren August Wöginger (ÖVP), Walter Rosenkranz (FPÖ), Andreas Schieder (SPÖ), Matthias Strolz (NEOS) und Peter Kolba (Liste Pilz) zu erleben. Wie staunenswert, daß dieses Gespräch sehr schnell in jenes Gezänk überging, das uns schon die letzten beiden Wahlkämpfe umgeben hat, als wären die wichtigstens Entscheidungen in der Sache nicht eben erst gefallen, krähen die Hähne weiter zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Ich halte all das inzwischen für eine Art Nordkorea-Groove, weil es ein extrem repressives Korsett hinter einem plüschigen Samtvorhang vermuten läßt, wobei ziemlich steife Posen abgearbeitet werden. Dabei wird entlang etablierter Hierarchien nach oben gelächelt und applaudiert, aber waagrecht und nach unten beharrlich getreten. Weshalb? Wer irgendwo in einer Mittellage solcher Hierarchien rangiert, wird strikter als andere darauf achten, daß er von unten her nicht in Frage gestellt werden möge.

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Es gibt Settings, in denen solche hierarchischen Einrichtungen kurz als aufgehoben gelten, wie etwa Wahlkampfzeiten. Ein demokratischer Wettstreit der besten Ideen? Das wäre schön. Was da nicht a) per hierarchischer Position oder b) per wirksamer Public Relations geregelt werden kann, mündet dann leicht in das erwähnte Gezänk.

Ich hab gestern eine Notiz gefunden, die da lautet: „Gesehen werden geht über authentisch sein.“ Das ist ein weiterer, sehr interessanter Aspekt solcher Zusammenhänge. Das Posieren in Simulationen, die sich als konsenstaugliche Realität ausgeben. Und immer wieder die geballte Faust in der Tasche oder das hinterm Rücken gehaltene Rasiermesser.

Im Eintrag vom 7. Dezember 2017 kommt das Thema Neolithische Revolution vor. Es weist vieles darauf hin, daß diese Art, solche Hierarchien zu entwickeln und zu etablieren, aus jener Zeit stammt, da die Menschen seßhaft wurden und mit Ackerbau begannen. In der Forschung gibt es starke Stimmen, die betonen, in jenen Prozessen habe sich der Mensch ein Repertoire an außergewöhnlicher Gewalttätigkeit zugelegt, was auch bedeutet, daß damals quasi die Folter erfunden wurde.

Es heißt, damals sei Gewalttätigkeit zur Routine geworden: "Stone Age farmers lived through routine violence, and women weren't spared from its toll, a new study finds." schrieb Thia Ghose 2013 für Live Scienece. Dabei haben wir ein auf Gewalt gestütztes Gefälle zwischen Männern und Frauen eingezogen, das sich bis heute nicht abschaffen ließ, das permanent Opfer abwirft. (Aber nein, wir tun sowas nicht. Lächeln und applaudieren nicht vergessen!)

Ghose zitiert dabei unter anderem Linda Fibiger (eine Archäologin der University of Edinburgh): "Men may have trained from a young age to fight, whereas women were probably tasked with child rearing. That would have slowed them down, 'because you're probably going to try and protect your children rather than being able to properly defend yourself,' Fibiger said." [Quelle]

Wer einem bewaffneten Angreifer nicht durch Flucht ausweichen kann, hat im Grunde nur zwei Optionen: abschrecken oder entwaffnen. (Einen Angreifer zu töten fällt in die Kategorie des Entwaffnens.) In polemischer Verkürzung: Wir sind auf ein Leben in Gemeinschaft angelegt, pflegen aber seit Jahrtausenden eine Kultur der Gewalttätigkeit, die beschönigt und verdeckt werden muß, weil unsere erklärten Wertekataloge das schon lange verbieten.

Diese Gewalttätigkeit dämmen wir durch Konventionen ein. Abschreckung scheint dabei nur der Teil einer wirkungsvollen Strategie zu sein, weitaus nicht der wichtigste. Damit meine ich: bewaffnete Kräfte und strenge Gesetze mögen ja einiges bewirken, reichen aber keinesfalls, um Gewalttaten verschwinden zu machen. Konventionen und Hierarchien. Das wird in Familien durchgespielt, in Kleinstädten, in Staaten... Ist das nun der Zusammenhang, indem wir erneut Annahmen von einer Freiheit der Kunst zu verhandeln haben?

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Ich gehe davon aus, daß die Freiheit der Kunst ohnehin nicht antastbar ist, aber unser aller Freiheiten im Umgang damit zur Disposition stehen. Da wir in Österreich gerade eine Regierungsbildung erleben, die stark hierarchiebetont erscheint, und zwar auf Art des vorigen Jahrhunderts, mehrt noch, stellenweise auf Art des 19. Jahrhunderts, steht die Sache der Kunst dringend zur Diskussion.

Von der anderen Seite her betrachtet: Wenn Hierarchie ein zentrales Ereignis menschlicher Gemeinschaft ist, mindestens in unserer Gegend, und Gewaltausübung als geächtet gilt (das Gewaltmonopol liegt beim Staat), ist Gezänk ein plausibles Vorgehen, wenn sich dabei Dilemmata auftun.

Und zwar genau dann, wenn sich jemand in diesen Zusammenhängen verheddert hat, in der Hierarchie nach oben will und sich dabei offene Gewalt nicht erlauben darf. Eine Position im Lager der Kunst macht dabei ein paar interessante Optionen auf.

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