5. Dezember 2017 In
einem 16-Seiter, den ich grade als ein kleines Fazit aus dem heurigen Kunstsymposion
druckfertig mache, heißt es am Ende des Haupttextes: "Wir werden freilich 2018
auch über 1918 zu reden haben, als neue Maschinensysteme und neue Waffensysteme endlich
schwiegen; aber nicht für lange..."
Das war damals ein Schweigen der Waffen aber kein Ende des
Krieges, sondern bloß eine Pause der heißen Phase, die genügte, um eine nächste
Generation von Buben ins kampffähige Alter zu bringen. Das ist, so der Soziologe Gunnar Heinsohn,
mit 15 Jahren markiert. Explizit: historisch betrachtet sind fünfzehnjährige Buben im
kampffähigen Alter.
Im Jahr 1939 begannen die Nazi den Zweiten Weltkrieg,
21 Jahre nach Ende des Großen Krieges, also ungefähr mit einem Minimum an
nötiger Zeit, um neues Personal für diesen Krieg gezeugt und großgezogen zu haben. Das
unterstreicht auch der folgende Mutterkreuz-Modus plus das eugenische Programm im Dritten
Reich.
Die Nazi rechneten kalt und kamen zum Schluß, daß es
betriebswirtschaftlich von Nachteil sei, behinderte Menschen durchzufüttern. Also begann
man, Gruppen dieser Menschen umzubringen, denn sie galten als "unwertes
Leben". Ohne ausreichendes Personal kein Krieg.
Wer das für zynisch hält, liegt völlig richtig. Alles
Geschwafel vom "gerechten Krieg" können wir heute ohne jede Diskussion
vom Tisch wischen, um für die Fragen nach den Interessenslagen der Kriegstreiber Platz zu
machen. Das Völkerschlachten von 1939 bis 1945 rundete die Erfahrungen mit der "Urkatastrophe
des 20. Jahrhunderts", dem Krieg von 1914 bis 1918 zu etwas Zusammenhängendem,
das erschreckende Kontinuitäten zeigte. Deshalb wird oft vom "Zweiten
Dreißigjährigen Krieg" gesprochen.
Das bezieht sich auf jene europäische Katastrophe, die nun
vier Jahrhunderte zurückliegt und verblüffenderweise im Datum einen aktuellen
Bezugspunkt liefert. Der "Dreißigjährigen Krieg" von 1618 bis 1648.
Der war in allen Details so entsetzlich und belastend gewesen, daß er sich
mentalitätsgeschichtlich über Jahrhunderte in Erinnerung hielt.
Historiker Herfried Münkler meint, diese Erfahrungen im "Krieg
aus vielen Kriegen" und der bleibende kollektiven Erinnerungen seien wesentliche
Impulse gewesen, um später in den Napoleonischen Kriegen Schlüsse zu ziehen,
die Kleinstaaterei Deutschlands aufzugeben, also eine politische Einigung unter Preußens
Führung anzustreben. Das gibt einige Denkanstöße zum Stichwort Nationalismus und paßt
zur Frage, die ich im gestrigen Eintrag
wiederholt habe:
+) Rechtfertigt die Schaffung eines Nationalstaats
einen Krieg, so wie 120 Jahre vorher
die Einigung Deutschlands oder Italiens? (© Norbert
Mappes-Niediek)
1618, 1918, 2018. Ein inhaltlich bestimmtes Zeitfenster,
das für unsere kommendes Kunstsymposion Bedeutung haben wird. Und um erneut auf
Künstler Selman Trtovac zu verweisen, der klar fordert, der Künstler habe anstehende
Aufgaben mit Mitteln und Strategien der Kunst zu bearbeiten.
Wir haben im Jahr 2014, auf 1914 rückblickend, eine
Session mit Trtovac unter dem Titel "Strategien der Kunst" absolviert:
[link] Zum
gleichnamigen Buch siehe: [link] Der gesamten Themenstellungen hatten wir uns allerdings schon
2013 gewidmet und bei der Gelegenheit die Ansichten von Trtovac über die Strategien
der Kunst in der Innenstadt Gleisdorfs affichiert: [link]
Es wird daher in der 2018er Planung, wie schon erwähnt, zu
unterscheiden sein, was unter der Flagge der Kunst steht und was als Wissens-
und Kulturarbeit angelegt sein soll. Dabei neige ich zur Vorstellung, daß die Wissensarbeit
eine Hintergrundfolie für die künstlerische Praxis bietet und die Kulturarbeit
der Umsetzung dient, wo sich das gesamte Vorhaben an ein Publikum wendet.
Das scheint mir heute plausibel und wäre auch
kulturpolitisch zu verhandeln. Die Wissensarbeit liefert einen eher rationalen Blick auf
Zusammenhänge. Wer etwa angesichts des Zeitfensters 1618, 1918, 2018 auf dem gleichen
Feld bloß in Kultur & Kulinarik investiert, um dabei außerdem ein paar
vorteilhafte PR-Fotografien zu produzieren, die Politik & Verwaltung promoten, bedient
definitiv ein anderes Genre. (So viel Trennschärfe bei der Betrachtung des Metiers muß
sein.)
Ohne Bücher und Filme wäre ich in all dem verloren. Ich
hab gerade ein ziemlich beeindruckendes Epos gesehen, in dem eine Rebellion entbrennt, die
nicht von großmäuligen Helden betrieben wird, wie uns das Hollywood gerne vorhüpft,
sondern von sehr wortkargen Leuten. Waffenstarrende Quasselmaschinen mit gut sitzenden
Frisuren, deren markige Sprüche einem die Zähne lockern und die Zehennägel aufbiegen,
sind ja cineastische Massenware.
Dazwischen aber ganz andere Qualitäten und immer wieder
Hinweise, daß ich mir um das europäische Kino keine Sorgen machen muß. In "Michael Kohlhaas"
(2013) läßt Regisseur Arnaud des Pallières die Hauptfigur (Mads Mikelsen) sagen: "Der
Krieg schafft kein Recht." Mir scheint, dem wäre nichts hinzuzufügen.
-- [Der Sarajevo-Kontext] [Das 2018er Kunstsymposion] -- |