2. November 2017

Von einer Krankenschwester aus der vormaligen DDR hörte ich sagen, wenn sie im Nachtdienst zu einem Notfall geweckt würde, ginge es im Aufstehen zuerst um die Kittelage. Sie erwähnte das dann noch ein zweites Mal, bis ich verstand, mit diesem interessant klingenden Begriff waren der Kittel und wohl auch die übrige Wäsche gemeint.

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Ich bleibe dagegen nach dem Aufstehen selbst noch eine Weile im Zustand eines ungemachten Bettes, da ich meinen Arbeitsplatz eine Treppe über meinem Schlafplatz habe und dabei nicht repräsentieren muß, also an keinen Dress Code gebunden bin. Mein Standard nach dem Aufstehen handelt vom Kaffebrauen, den Computer hochfahren, und vom Schreiben. (Das Morgenrot ist im Mietpreis inbegriffen.)

Vielen Menschen ist nicht recht begreiflich, daß für einen Schriftsteller das Schreiben so fundamental wichtig sein kann wie das Essen oder das Schlafen, also täglich gepflegt werden muß. Wäre ich ein Opernsänger, hätte ich Tag für Tag eine Zeitspanne mit dem Singen zu verbringen, ganz egal, ob ich dann abends vorne stehen dürfte oder ob es bloß zum Choristen gereicht hätte.

Warum tun manche Menschen Dinge, die sich von den Angelegenheiten der Alltagsbewältigung so sehr unterscheiden? Wozu soll das gut sein? Wer wird all meine Texte und Textchen lesen? Was soll daraus werden, wenn ich selbst nicht mehr da bin, um auf dieses wuchernde Docuverse zu verweisen? Und wer, zur Hölle, hat die Nike von Samothrake aus dem Steinbrocken gehauen? Eben! All das schert so gut wie niemanden und was davon Bestand haben wird, steht in den Sternen.

Unsere Kultur handelt unter anderem davon, daß Menschen mit Leidenschaft Fertigkeiten erwerben, um Dinge zu tun, die nicht nötig sind, damit wir unseren Alltag bewältigen können. Man staune! Wir haben auch Bedürfnisse, die über das rein Praktische hinausgehen. Muß das erklärt werden? Wird das ignoriert, verkümmern wir. Man kann sogar daran sterben.

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Aber wozu soll Kunst eigentlich gut sein? Heute abend beginnt auf Schloß Freiberg das inszenierte Töten von Robotern. Darin liegt die Gelegenheit, unsere Verhältnisse zu Maschinen ein wenig zu überdenken. Morgen beginnt dann eine zweitägige Vortrags-Situation, die auf Debatten ausgelegt ist. Unser 2017er Kunstsymposion wird über mehrere Stationen realisiert. Beim Roboter-Killen wird es auch dem Artefakt des Projektes "Fiat lux" an die Kabel gehen, wobei in der Maschine noch eine ungesehen Erzählung schlummert. Die gesamte Session von "Dying Robots" (Menschen beobachten Roboter beim Sterben.) wird per Livestream im Web übertragen: [link]

Wir haben zu diesem ganzen Ereignisstrang eben eine Pressekonferenz absolviert, die jetzt nicht bloß nach außen wirkt, sondern offenbar auch nach innen eine Kooperationslage bekräftigt, in der sich die regionale Wissens- und Kulturarbeit vermutlich auf eine nächste Ebene heben läßt.  Siehe dazu die Notiz "Dorf 4.0: Aktuelle Zusammenhänge": [link]

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Dazu war es sehr wichtig, gemeinsam praktische Erfahrungsschritte zu absolvieren, in denen sich heuer recht klar herauskristallisiert hat, an welchen Stellen dieser Community noch gearbeitet werden muß, um die konkrete Zuammenarbeit gedeihlicher zu machen und die jeweils wirkende Struktur auf mehr Konsens zu stützen.

Ich würde heute sagen, es kann in solchen Prozessen gar nicht zu viel Konsens-Check geben. Die Auffassungen vom Angehen gewählter Aufgaben und von den verteilten Rollen zeigen sich derart kontrastreich, daß es ohne permanente Beachtung der Kommunikationslage zu erheblichem Abrieb kommen kann.

Darin wird mir dann auch wieder deutlicher klar, warum im regionalen Kulturgeschehen so viele Kreative auffallend auf hierarchische Strukturen setzen und sich lieber auf die Inszenierung der Künstlerrolle konzentrieren, die sich dann anderen Instanzen zur Verfügung stellt.

Aber wir haben ja das 2017er Symposion unter den Titel "Artist Is Obsolete" gestellt. Selbstverständlich ist das ironisch angelegt und betont vor allem die Aufgabe, Berufsbild und Rolle der Kunstschaffenden neu zu verhandeln, was übrigens seit jeher zum Beruf gehört.

Wie der Kunstbegriff dynamisch und wandelbar- verhandelbar ist, muß es demnach auch das Berufsbild sein. Ich möchte mir vorstellen, daß dieses Metier ebenso in der Diebstour des Prometheus begründet ist, wie es viele andere Professionen sind.

Den Göttern das Feuer zu stehlen, um die Erde wieder zu erhellen und zu erwärmen, das ist ein großes Thema, eine große Metapher.

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Raimund Heigl
Kleine Zeitung, 1.11.207

Von solchen konstituierenden Momenten reicht unsere Historie dann bis zur Prometheischen Scham, wie sie Philosoph Günther Anders formuliert hat, das schmerzliche Unterlegenheitsgefühl des Menschen gegenüber manchen von ihm selbst erschaffenen Werkzeugen und Systemen.

Das ist für uns schon lange ein Thema und bekommt erneut Aktualität, wo wir in die Vierte Industrielle Revolution eingetreten sind. Um kurz in der Metaphorik europäischer Mythologie zu bleiben, im Erhellen und Erwärmen der Welt sind wir teils Kinder des Prometheus, im Verwüsten aber Ikarier, also die Gefolgschaft des Ikarus: [link]

Wer hier nun allenfalls nach der Frauenfigur fragt, denn wo wir Kinder sind, müssen ja auch Mütter ein, dazu gibt die Mythologie eenfalls Auskunft und nennt die Erde als Mutter, im Altgriechischen Gaia. Das zeigt unübersehbar, die Mutter ist eine andere Kategorie als jene mit so unterschiedlichen Ambitionen herumwuselnden Väter. Sie entstand als eine der ersten Gottheiten aus dem Chaos.

Wir haben reichlich Klärungsbedarf zum Stand der Dinge. Vielleicht sehen wir uns also heute Abend oder an einem der kommenden Tage auf Schloß Freiberg...

-- [Fiat lux III] [Das Kunstsymposion] --

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