28. Oktober 2017

Diese milde Herbst und in diversen Debatten zur politischen Lage Österreichs, wie ich sie auf Youtube finde, geht in weiten Bereichen der Wahlkampf weiter. Das meint, exponierte Personen einzelner Parteien muten mir auch jetzt noch Propaganda zu. Das ist ein ziemlich infames Verhalten von Menschen, die aus der Politik inzwischen ein gebürstetes Produkt und ein wucherndes Business gemacht haben, weshalb ich hauptsächlich Werbe-Trash aufgetischt bekomme, kaum ernsthaften politischen Diskurs.

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Die Tonlagen zur Situation Österreichs sind markant anders, wenn ich etwa deutschen Debatten folge oder in englischsprachigen Blättern nachschlage. Dort verfällt man auch nicht in die frivole Eitelkeit, Österreichs Wahlsieger Sebastian Kurz mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu vergleichen. Der hatte auf Frankreichs weit radikalere Erfahrungen zu reagieren, wie etwa einige sehr brutale Terror-Attacken im Kontrast zu einem strammen Neofaschismus. Und ich vermute, die brennenden Banlieues sind dort auch noch nicht vergessen.

Während nun Kurz in einem Paradies aufwachsen durfte und sich im Wahlkampf Vorteile schuf, indem er den Themenkatalog der FPÖ geplündert hat, einer Partei, mit der er -- kurios genug -- nun offenbar in Koalition geht, hat Macron die Neofaschistin Marine Le Pen vorerst einmal heruntergestuft. Kurz koaliert mit den Vaterländischen, Macron weist sie in Schranken.

Ich sehe mich d'accord mit der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, die sehr pointiert feststellt, Europa erlebe keine Frontstellung von Nationalstaaten, sondern von jenen Menschen, die das Erbe der Französischen Revolution vertreten und jenen, die sich und anderen autoritäre Regime wünschen.

Der grimmige Witz daran ist Guérots Hinweis darauf, daß nun Rechtspopulisten bemüht seien, diese Frontstellung zu renationalisieren, also ihre politischen Ansprüche mit Staatsvölkern in Deckung zu bringen. Das ist ein übler Untergriff. Wir alle kennen diese Tour, wie da in Leserbriefspalten und auf politischen Bühnen gleichermaßen gerne so getan wird, als spräche jemand "für das Volk", "für die kleinen Leute", "für die schweigende Mehrheit", spräche genau das aus, "was ja jeder weiß".

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Solche extrem unseriösen Posen der Vereinnahmung reichen inzwischen über unzählige Schmerzgrenzen hinaus und illustrieren, wie lohnend das Geschäft der Politik an manchen Stellen ist, wie einträglich das Produkt Politik für manche sich entwickelt.

Es wäre völlig unseriös, das zu verallgemeinern. Ich stecke derzeit gerade für unser 2017er Kunstsymposion mitten in einer intensiven Kooperation mit drei Bürgermeistern, die alle der ÖVP angehören, die ich als redliche Männer erlebe, mit denen zusammenzuarbeiten mit Freude bereitet. Keiner von ihnen hat je versucht, mich parteilich zu gängeln oder auch bloß einen unserer gemeinsamen Schritte mit fragwürdigen Anliegen zu befrachten.

Das ist für mich gerade jetzt eine sehr tröstliche Erfahrung, wo unsere Republik politisch im Moment mehr einem Ramschladen als einer gefestigten Demokratie gleicht, was hoffentlich nicht bis in die Fundamente reicht. Also konzentriere ich mich auf dieses gesellschaftliche Segment, den Kulturbetrieb, in dem ich mich berufsbedingt gut auskenne, wo Arbeit und Zusammenarbeit gelingen kann. (Kann, nicht muß.) Die Anfechtungen sind da freilich ebenso zu finden, laufen bloß über andere Debatten. Warum trägt denn unser heuriges Kunstsymposion den Titel "Artist Is Obsolete"?

Einer der Gründe dafür liegt in den Technologiesprüngen neuer Systeme, wodurch Maschinen in immer mehr Bereiche eindringen, die wir bisher als nur den Menschen vorbehalten sahen. Ein anderer Grund liegt im Erlebnis, daß wir seit der Nazi-Ära offenbar einen neuen Höhepunkt der Intellektuellenfeindlichkeit erleben, während Wissenserwerb als lächerliche Tätigkeit abgetan wird, die nun angeblich "abgehobene Eliten" kennzeichnen, denen man nicht trauen dürfe.

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Im Kunsthaus Graz wurde eben eine neue Frage des Monats avisiert: "Ist Kunst gesellschaftlich relevant?" Bliebe vor allem zu fragen: Was haben wir denn verschnarcht, daß diese Frage völlig überflüssig, weil längst geklärt ist, wie etwa jene, ob denn flächendeckende Wasserversorgung, qualitativ hochwertiges Essen oder ein intaktes Gesundheitswesen gesellschaftlich relevant seien?

Hier zeigt sich womöglich ein Defizit, das sich schmerzhaft paßgenau mit dem weiteren Vorpreschen, nein, dem hochwertigen Ankommen der Neuen Rechten in Europa zusammenfügt. Damit wäre ein düsterer Punkt deutlich gemacht, an dem wir fundamental beigetragen haben, daß diese autoritäten Kräfte zur Zeit so umfassend reüssieren, politisch Boden gewinnen..

Wie oben schon erwähnt, hier teilt sich Europa derzeit ganz offenkundig in jene, die autoritäre Konzepte für vorteilhaft halten, um aktuelle Probleme zu lösen, und jene, die sich in der Tradition der Französischen Revolution der Vorstellung von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verpflichtet sehen, was ja auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hinaus lief.

Deren erster Artikel lautet: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen." (Wir dürfen davon ausgehen, daß damit auch die Dimensionen des Schwesterlichen gemeint sind.)

Es gibt keinen Spielraum in der Feststellung, daß wesentliche politische Kräfte Österreichs sich die Freiheit genommen haben, diesen Artikel mit einem "Ja, aber..." zu ergänzen, was nicht im Einklang mit dem Geist unserer Verfassung steht. Dieses "Ja, aber...", von prominenten Personen nun schon längerfristig promotet, ist inzwischen so populär geworden, daß es anscheinend viele Menschen für rechtens halten, was es nicht ist.

Wie kurios, daß ich kürzlich ausgerechnet in der Folge einer US-Schmonzette, die im Weißen Haus spielt, zu hören bekam, wie eine Person der anderen zum Trost sagt: "Wenn du nirgends in der Welt mehr Integrität findest, dann kannst du sie doch in dir finden. Da, wo du stehst, kannst du die Welt verändern." Das ist nun entweder ziemlicher Plüsch oder aber vielleicht eine sehr taugliche Empfehlung, vielleicht beides.

-- [Kunstsymposion: Politik] --

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