4. Oktober 2017 Wie mag das Leben gewesen sein, als man noch
keine Kraftfahrzeuge besaß, wenn man an entlegenen Orten gelebt hat? Jenseits von
Birkfeld ist man meist nicht einmal mit Ochsen gefahren, sondern mit Kühen. Die Zugkraft
von Pferden war seinerzeit für den Großteil der Bauern unerschwinglich.
Gestern hockte das trüber Wetter behäbig auf
der Region. Mit Tierarzt Karl Bauer und einem kosovarischen Agraringenieur auf
stellenweise schmalen Wegen nach Waisenegg, wo in einem Bergbauernhof ein Kuhcafé
[link] eingerichtet ist. Das heißt,
über einem Stall, der rund 70 Tieren viel Raum gibt, kann man es sich hinter einem
Panoramafenster bequem machen.
Was mich freilich mehr interessiert hat, ist
ein Melkroboter, wie es bisher kaum welche im Land gibt. Das paßt irgendwie zu
diesen Tagen, als wir via Medien erfuhren, die Butter würde knapp und daher teurer
werden. (Wäre einmal mehr zu fragen, warum in der Milchwirtschaft so wenig Geld zu den
Bauern kommt.)
Wenn ich es recht verstanden hab, sieht der
historische Verlauf so aus: Melkschemel, Melkmaschine, Melkstand, Melkroboter. Das heißt,
der aktuelle Stand spart das Melkpersonal ein, welches bis zum Melkstand noch an jedes der
Tiere ging. Wer alt genug ist, kennt dieses Witzchen aus vergangenen Tagen: Ein
begnadeter Geschäftsreisender landet bei einem Bauern, der bloß eine Kuh im Stall hat,
verkauft ihm eine Melkmaschine und nimmt die Kuh als Anzahlung mit.
Das hat auch einige Niedertracht, denn es
führt den Bauern als eher dümmlichen Menschen vor. Mir fällt auf Anhieb kein anderer
Berufsstand ein, der in den Umbrüchen der letzten 60 Jahre nicht verschwunden, sondern
seinen Kräften radikale Lernschritte abverlangte, weil sich die Rolle dieses
Berufsstandes innerhalb der Gesellschaft zum wiederholten Mal völlig verändert hat; von
den technischen Innovationen ganz zu schweigen.
Mit Bäuerin Rosa Derler war das in einer
kleinen Plauderei bemerkenswert auszuleuchten. Sie gehört meiner Generation an, was
bedeutet, innerhalb dieser Lebensspanne haben sich technische Revolutionen ereignet,
soziale Umbrüche ergeben, wobei ich schon in meinen Kindertagen und ohne besonderes
Interesse an diesen Themen wußte, daß es Bergbauern schwerer hätten als die anderen.
Der Betrieb stützt sich heute auf rund 40
Hektar Grund. Etliches davon gepachtet, wie ich gehört habe, denn die Wirtschaft selbst
umfaßt etwa 12 Hektar. Das ist eine ganz typische Dimension für die Oststeiermark, wobei
auch kleinere Landwirtschaften häufig waren, oft nur mit sechs Hektar.
Das macht anschaulich, warum sich einst etwa
die Anschaffung und das Halten von Pferden nicht erwirtschaften ließ, die Kühe also auch
punkte Zugkraft herhalten mußten. Diese Erläuterung scheint heute nötig, da wir es
mehrheitlich gewohnt sind, Autos zu besitzen und viele Familien im Land ganz
selbstverständlich über weit mehr als bloß ein Kraftfahrzeug verfügen.
Heuer waren es 70 Jahre, daß die
Steyr-Daimler-Puch AG den ersten österreichischen Kompakttraktor ausgeliefert hat;
nicht den legendären Fünfzehner, sondern die zweizylindrige Stupsnase. Bäuerin
Derler erinnert sich daran, wie ihr Großvater seinen ersten Traktor gekauft hat. "Der
konnte ja nichts derziehen", sagte sie. Aber immerhin, die erste
Mechanisierungsstufe war angelaufen.
Bald darauf erhielten die Traktoren
Zapfwellen, Hubwerke, allerhand Peripherie, auf daß eine einzelne Person jenen Verlust an
Arbeitskräften ausgleichen konnte, den der Lauf der Dinge unserer agrarischen Welt
aufgebürdet hatte. Das ist die Funktion der Maschinen bis heute.
Da inzwischen die industrielle
Landwirtschaft sich der Bilderwelten aus der bäuerlichen Landwirtschaft
bedienen, um ihre Produkte zu vermarkten, scheint es schwieriger denn je, allgemein
realistische Ansichten zu etablieren, was heute das bäuerliche Leben bei uns ist.
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Übrigens, das Kastenkreuz auf dem
Hof verweist noch auf ein anderes, sehr interessantes Thema, dessen kulturelle Tragweite
eher unterschätzt wird. Die Klein- und Flurdenkmäler, zu denen Wegkreuze und Bildstöcke
zählen, sind Elemente einer vorindustriellen Info-Sphäre, die uns detailreich umgibt und
die weit mehr transportiert als religiöse Inhalte. Aber dazu bei anderer Gelegenheit...
-- [Dorf 4.0] -- |