5. September 2017 Die Kategorie Politik handelt nicht bloß von der Staatskunst,
sondern auch vom Gemeinwesen; und davon, wie sich beides zueinander verhält.
Damit schlagen wir uns seit mehr als zweitausend Jahren herum, haben uns unterwegs auch
manchmal Tyrannen in die Arme geworfen. Eigenverantwortung kann eben Angst machen...
Was bietet eine Stadt, eine Region, und wie repräsentativ
ist das für eine ganze Nation? Derzeit wird auf viele Arten "mobilisiert". Es
ist ein Volksfest! Landesweit. Nie zuvor konnte ich so lange der Versuchung widerstehen,
mich zum aktuellen österreichischen Wahlkampf zu äußern. War das tägliche Gezänk je
dröhnender? (Gut, dieser Eindruck lebt heute sehr wesentlich von den Social Media.)
Dabei fällt mir auf: Seit die vaterländischen Kräfte der
FPÖ sich auffallend wenig in den Mainstream-Medien hervortun, ist ihre patriotische
Gefolgschaft im Web auch nicht mehr so penetrant, wie ich es zu anderen Gelegenheiten
schon als bedrückend empfunden hab.
Das gleicht sich ein wenig aus, indem selbst Menschen,
denen ein ausreichendes Reflexionsvermögen zugetraut werden kann, sich in zänkischen
Kleinigkeiten hervortun, die stets jemanden zu diskreditieren versuchen. Die
Herabwürdigung von Konkurrenten beginnt ja schon mit dem heuchlersichen Begriff
"Mitbwerber".
Nun sind sich offenbar viele einig, daß ein Journalismus,
der ihre Favoriten in der grenzenlosen Selbstdarstellung behindert, angeblich ein
inkompetenter Journalismus sei. Mindestens seit den Ausritten des verhaltensoriginellen
Frank Stronach ist es ziemlich salonfähig, Journalistinnen und Jorunalisten, die einen in
der Selbstinzenierung belästigen, anzugreifen.
Offenbar sind wir an die Methoden der Werbebranche so
gründliche gewöhnt, sind in diesem kulturellen Segment derart umfassend adaptiert, daß
uns die ungestörte Werbesendung oft wichtiger erscheint als die irritierende
Infragestellung der Kandidaten. (Hab ich eine Kandidatin übersehn?)
Wäre die Regierung im Rang einer österreichischen
Meisterschaft der Fußballklubs, könnte ich mir das wabernde Fan-Verhalten besser
erklären. Nebenbei wäre für mich das fast schon als Erklärung aus der jüngeren
Vergangenheit ableitbar. Politische Überzeugung ist heute eher als ein
"gutes Gefühl", denn als eine fundierte, erarbeitete Ansicht im Umlauf.
Autor Josef Haslinger hat sich vor 30 Jahren in seinem
Essay "Politik der Gefühle" mit solchen Kräftespielen befaßt. Heute
sehen und lesen wir, wie der Fan dem journalistischen Personal sehr feindselig
begegnet, wo in einem Interview der geschulte Selbstdarsteller durch Fragen unterbrochen
wird, eventuell sogar ein Insistieren erleidet, falls er der Beantwortung den Fragen
konsequent ausweicht.
Das paßt natürlich zur ausladenden Hofberichterstattung,
die in vielen regionalen Blättern Platz greift, wo für das laufenden Inseratengeschäft
seriöse redaktionelle Arbeit simuliert wird, wahlweise "Bürgerreporter" es in
Redaktions-Teams schaffen, vielfach unbedarfte Leute die nach Augenschein und Gefühl
berichten, statt zu recherchieren, um das dann aufzuarbeiten.
Europa kennt seit Montesquieu und dem 18. Jahrhundert das
Konzept der Gewaltentrennung als bewährte Grundlage einer Demokratie. Das
bedeutet, Exekutive, Legislative und Judikative mögen jeweils
unabhängig sein, um einander zu kontrollieren und in der Machtausübung zu begrenzen.
Dazu kennen wir eine Tradition der Vierten Gewalt,
was einen kritischen Journalismus meint, der ebenfalls im Sinne von Kontrolle und
Machtbegrenzung wirken möge. Diese Option wird inzwischen rundum so konsequent
unterspült, daß ich staune, wie wenig Sorge derlei Entwicklungen aufwerfen.
Wir sollten eigentlich über weite Bereiche einig sein,
daß Demokratie auf Bedingungen beruht, die sie selbst nicht sicherstellen kann. Das
heißt, wir müssen im Gemeinwesen diese Bedingungen laufend sichern, auch immer wieder
neu erörtern, klären. Mir ist nicht klar, wie das gehen soll, wenn sich etwa
öffentlicher Diskurs in großen Teilen darin erschöpft, die Opponenten zu diskreditieren
und sich darüber hinaus im schon erwähnten Gezänk zu ergehen.
(Quelle: Kleine Zeitung)
Historiker Philipp Blom sprach letzten Sonntag in einem
Interview sehr treffend von einer zukunftsverweigernden Politik. Man könnte mir
allerhand Wahlkämpferei und Geschwurbel, aber auch Volkstümelei und ungezählte
Drucksorten ruhig ersparen, könnte mich statt dessen mit ein paar einfachen Botschaften
verwöhnen, wie zum Beispiel:
- In der kommenden Amtsperiode werden wir die Verwaltungsreform in eine
entscheidende Startphase bringen, der verbindlich Innovation folgt.
- Wir garantieren, daß es mit der Bildungsreform ebenso kommen wird.
- Wir wollen verläßlich beitragen, daß Europa den kuriosen Steuergesetzen
ein Ende bereitet, dank derer große, international tätige Konzerne weniger Steuern zum
Gemeinwesen beitragen, als ein kleiner Kaufmann in der Provinz.
- Wir klären in dieser Amtsperiode die wesentlichen Fragen
und Grundlagen, damit Österreich der aktuellen Automatisierungswelle (Vierte
Industrielle Revolution) gewachsen sein wird und die Frage des Broterwerbs nicht
offen bleibt, während Roboter und selbstlernende Systeme immer mehr Jobs machen, die
bisher nur Menschen übernehmen konnten.
- Wie bringen auch ein paar kulturpolitisch relevante
Punkte, denn genau das war beispielsweise im 19. Jahrhundert maßgeblich, damit einige
europäische Staaten die Modernisierungskrisen im Zuge der Zweiten Industriellen
Revolution meistern konnten.
Post Scriptchen:
Apropos Zukunftsfähigkeit! Es wäre auch fein, wenn Österreichs Politik die
Sozialversicherungs- Modalitäten von EPU = Einpersonenunternehmen in Ordnung
bringen würde, denn es gilt heute als unbestritten, daß im bestehenden Reglement ein
massiver Grund für so manche Pleite liegt.
-- [In der Ebene: Gleisdorf]
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