1. August 2017Es weist vieles darauf hin, daß jede Modernisierungskrise der letzten 200
Jahre einen erheblichen Einsatz in der Wissens- und Kulturarbeit erfordert hat, wollte
eine Nation halbwegs passabel die Kurve kriegen. Das sind sehr komplexe Prozesse, aber im
Rückblick gut überschaubar. Daraus lassen sich Anregungen beziehen.
Ich brauche es nun nicht zu predigen, denn wir hätten
schon geklärt, daß dies derzeit ein extrem unattraktives Thema ist, wo sich weite
Bereiche der Gesellschaft augenblicklich einig scheinen: Wenn es kulturell oder sonst wie
einen flotten Effekt gibt, der sich medial gut verwerten läßt, dann paßt es. Aber was
wird sich als bleibend erweisen? Die nötigen, jedoch wenig sichtbaren Wirkungen in
unseren Fundamenten verlocken zu "Schwamm drüber!"
Das macht eine glatte Oberfläche. Ob ich zum
Kulturpessimismus neige? Aber nein! Es ist eine sehr spannende Option, wenn sich vorerst
bloß recht wenige Menschen auf diese Gegenwart der Umbrüche einlassen, wobei klar sein
muß, daß bis zirka 2040, wo wir über unser Arbeitswelten nachdenken, kaum ein Stein auf
dem anderen bleiben wird.
Ich fahre gelegentlich nach Graz, besuche auch entlegene,
oft nur sehr kleine Orte, um Gespräche zu führen, die nützen sollen, den Status quo
brauchbar zu beschreiben. Das Hauptgeschäft von Kulturschaffenden ist Kommunikation. In
meinem Fall heißt das sehr wesentlich: schreiben. Das Schreiben ist für mich
zuerst einmal Reflexionsarbeit, um dann zur Dokumentation zu werden,
stellenweise auch für einen künstlerischen Moment. Das findet täglich statt.
Das Schreiben als Ausdruck des Dialoges mit sich selbst.
Eine banale Technik. Gestern hatte ich in Graz eine Debatte, bei der die Frage aufkam, wie
ich den Begriff Volkskultur so entspannt in den Mund nehmen könne. Das paßt zu
den Touren durch die Region, zu den Besuchen von Museen und Sammlungen.
Ein Beispiel: Wem müßte ich erklären, was man mit diesem
Rollnursch (im Freilichtmuseum von Trautmansdorf) gemacht hat? Hier ein weiteres
Exemplar im Rundtrog, das man in Vorau sehen kann: [link] Damit will ich sagen, die Arbeitsweisen und Lebensbedingungen
dar alten agrarischen Welt sind überwiegend Geschichte. Darin entstand, was wir heute als
Volkskultur deuten. Es ist primär die Kultur einer versunkenen Welt.
Volkskulturelle Ausdrucksformen, die es schon gegeben hat,
als noch niemand von Volkskultur und Volkskunde sprach, sind natürlich teilweise
tradiert, erhalten geblieben. Aber diese überlieferten Formen ereignen sich kaum noch in
den Zusammenhängen ihrer Ursprünge.
Was als "authentisch" gewertet wird, kann man
stellenweise natürlich noch finden und es wird dabei vielleicht nicht von Tourismusagenda
kontaminiert sein. Doch was heute an kulturellen Formen etwa von Menschen im
saisonbedingten Ernteeinsatz, in gastronomischer Saisonarbeit, auf dem Bau, auf Montage
oder im Tagwerk bevorzugt wird, wissen wir nicht. Es gibt daran auch, so weit ich sehe,
kein breiteres Interesse. Genau DAS wäre ja eine genuine und zeitgemäße Form von
Volkskultur. Doch so wird über dieses Genre meines wissens bei uns nicht nachgedacht.
Kurz, was heute landläufig unter Volkskultur
zusammengefaßt wird, ist ein Nischenphänomen, darüber hinaus wurde es
mehrheitlich für andere Genres vereinnahmt, adaptiert, neuen Zusammenhängen zugeführt.
Ganz anders ist das mit der Volkskultur in der technischen Welt, die sich ab dem
18. Jahrhundert entfaltet hat und Anfang des 19. Jahrhunderts (in Begleitung der
Optimierung von Dampfmaschinen) zu neue Dimensionen wuchs.
Hier der Teil einer alten Schmiede im Freilichtmuseum von
Trautmansdorf. In diesem Kontext haben wir ein Ausmaß an ungebrochenen Traditionen, die
sich nach dem Zweiten Weltkrieg enorm ausdifferenziert und verbreitet haben. Der Grund
dafür liegt in der Massenmotorisierung dank erschwinglicher Kraftfahrzeuge.
Das heißt, erst ab den 1950er Jahren kamen
Massenproduktion und Massenkonsum auf eine Art zusammen, daß Kraftfahrzeuge allgemein
erschwinglich wurden. Dadurch gerieten sie zum Anlaß, aber auch selbst zu Medien
für eine zeitgenössische Art der Volkskultur in der technischen Welt.
Was ich gerade bei einigen Klassiker-Treffen erlebt habe,
wie hier zum Beispiel letzten Sonntag im Schloß Stadl (nahe Sankt Ruprecht), ist
kein Tourismus-Event, ist auch kein Produkt der Unterhaltungsindustrie. Hier organisieren
Menschen für sich einen besonderen Moment im Jahr, zu dem sich verschiedene Ambitionen
bündeln lassen.
Das bedeutet feiern, das bedeutet, es werden einige Rituale
gepflegt, das bedeutet, man zeigt über die restaurierten, in Schuß gehaltenen
klassischen Fahrzeuge, was man kann. Das bedeutet aber auch, hier sehen wir Ergebnisse von
Wissensarchäologie, denn vieles, was für das Restaurieren alter Fahrzeuge gewußt werden
muß, ist nicht angemessen dokumentiert.
Dabei wäre natürlich auch von Handfertigkeit, von
handwerklichem Geschick zu reden. Und von einem speziellen Sozialverhalten, denn niemand
ist alleine schlau. Je älter das Fahrzeug, desto dringender wird ein kompetentes
Netzwerk, um anstehende Probleme lösen zu können. Das verlangt übrigens einen
entspannten Umgang mit dem Nichtwissen.
Zum Beispiel: So eine Giulietta Sprint aus den
1950er Jahren stellt einen bezüglich Ersatzteillage, Motorabstimmung und Detailwissen vor
etwas härtere Anforderungen als ein Puchschammerl aus der gleichen Ära. Niemand
ist alleine schlau.
Es ließe sich also verkürzt sagen: Die Volkskultur
aus der agrarischen Welt ist zu einem raren Nischenphänomen geworden, soweit sie
noch von Menschen in ihrer Freizeit gelebt wird, ohne dabei von Tourismus oder
Unterhaltungsindustrie getriggert worden zu sein.
Die Volkskultur in der technischen Welt hat seit
ihrem Entstehen eine ungebrochene Kontinuität und dabei eine recht breite Basis gelebter
Formen, die nicht erst von einem Kulturreferat oder einem Eventmanagement angeregt werden
müssen.
Die agrarisch geprägten Formen haben einen hohen Anteil an
Musealisierung, sind auch teilweise von der Wirtschaft verramscht worden und
insgesamt von der gegenwärtigen Arbeitswelt mehr getrennt, als ihr verbunden.
Die technisch geprägten Formen haben ebenso alle Varianten
der Verwertung auf anderen Feldern, durchaus auch merkwürdige Erscheinungsformen, sind
aber im Kern noch sehr stark Ausdruck von breiteren Bevölkerungsschichten, die sich da um
ihretwillen engagieren. Ich denke, die Balance zwischen Partizipation und Konsumation
könnte dabei als eines der Kriterien dienen.
-- [Vom Pferd zum Sattelschlepper] -- |