27. Juli 2017

Ich bin nun seit Jahren mit dem Thema "Die Ehre des Handwerks" befaßt, was vielleicht etwas pathetisch klingt. Aber die Geschichte des Homo faber hat einige sehr bewegende Seiten. Wo sich Handfertigkeit entfalten darf und nicht in ermüdender Routine absacken muß, ist sie eine fundamentale Option, um Klugheit zu erwerben.

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Gerade in diesem Zusammenhang bleibt unbegreiflich, warum Handarbeit in unserer Gesellschaft immer noch mit Makeln behaftet sei und oftmals gering geschätzt wird, was sich etwa daran zeigt, wie viele Eltern sich scheuen, ihre Kinder ein Handwerk lernen zu lassen. (Braucht das diese Gesellschaft angesichts technischer Entwicklungen überhaupt noch?)

Ich war erst kürzlich wieder mit den Altmeistern Manfred Haslinger (oben links) und Fredi Thaler (Mitte) bei Herbert Walser (rechts), dem Leiter der Lehrwerkstätten von Magna Steyr. Der Konzern hat erhebliche Probleme, eine ausreichende Zahl an Lehrlingen zu bekommen. In üblichen Anbahnungsprozessen (Vorstellungsgespräche) bleiben am Schluß kaum mehr als zirka zehn Prozent junger Leute übrig.

Thaler betont, seit ich ihn kenne, daß die Kinder nichts mehr angreifen dürften, nichts probieren, weshalb handwerkliches Geschick keine Entfaltungsmöglichkeiten finde. Das werde unsere Gesellschaft noch zu büßen haben. Künstler Niki Passath schätzt das ebenso ein. Als wir uns gestern trafen, meinte er unter anderem: "Wenn man selber nicht mehr herumschrauben kann, bekommt man keine Beziehung zu diesen Dingen. Man muß dann auch mit anderen drüber reden können, was einem eingefallen ist und was man braucht." Das sei ein wachsendes Problem für die Industrie. Passath meint, heute herrsche in der Gesellschaft eine Angst vor Technologie.

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Als wir über Materialien und Oberflächen sprachen, erzählte ich ihm von Tanizaki Jun’ichiros "Lob des Schattens – Entwurf einer japanischen Ästhetik". In diesem Büchlein kommt unter anderem der Gedanke vor, daß Japan auf einem eigenen Weg wohl auch einen Füllhalter entwickelt hätte, aber keinen mit Stahlfeder, sondern mit Pinselspitze. Passath meinte, das gebe es inzwischen, und zog so ein Stück hervor. Wie entsteht Innovation?

Ich hatte letztes Wochenende gerade mit Norbert Gall ähnliche Fragen erörtert. Er ist Marketing-Chef bei Toyota/Lexus. Das ist der größte Automobilhersteller der Welt sowie der fünftgrößte Konzern. Was macht so eine Company aus? Wo legt man da die Schwerpunkte? Gall (auf dem Foto unten) gab mir einen Überblick, wie sich Toyota entwickeln möchte, um in einigen Jahrzehnten nicht mehr Automobilproduzent, sondern "Mobilitätsanbieter" zu sein, was alle Arten der Transportvorgänge meint, nicht bloß jene auf unseren Straßen. Siehe dazu: "Automotive 1: Im Wandel" [link]

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Nun mag sich langsam abzeichnen, wie ich das gemeint habe, daß Kunst, Wirtshaft und Wissenschaft in Wechselwirkung kämen, wenn wir unsere Art der regionalen Kultur- und Wissensarbeit in die Praxis übertragen. Das 2017er Kunstsymposion wird diese Genres gemeinsam zum Klingen bringen. Die Frage nach Koexistenz, etwa von Menschen und Machinen, hat ausreichende Brisanz. Heuer erscheint bei De Gruyter ein Buch von Niki Passath, in dem er unter anderem betont, daß wir etwas wie den "maschinellen Körper der Fabriken" erschaffen haben, in dem der Mensch zur Prothese geriet. Passath dazu:

"Seit dem Beginn der industriellen Revolution hat sich der Mensch, besonders der arbeitende Mensch, immer mehr an die Koexistenz mit Maschinen gewöhnt. Der Mensch wurde zur nicht-organischen Prothese des maschinellen Körpers der Fabriken. Am Anfang passierte diese Gewöhnung hauptsächlich an der menschlichen 'Hardware', dem stofflichen Körper. Die Arbeit reduzierte sich auf die einfachen, sich wiederholenden Bewegungsabläufe am Fließband. Was die Maschine nicht selber machen konnte wurde zur Aufgabe des Menschen."

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Passath baut unter anderem Maschinen, die nicht über eine komplexe Programmierung, sondern über ihre mechanischen Eigenarten Bilder malen, die sind virtuoser und interessanter als vieles, was mir in letzter Zeit von der malenden Hobby-Liga vorgeführt wurde. Das wäre eigentlich ein interessanter Anlaß, darüber zu reden, worum es denn geht, wenn Menschen solche Möglichkeiten nutzen, künstlerische Betätigung oder auch bloß die Anwendung künstlerischer Techniken wofür auch immer. Was hat also das Eine mit dem Anderen zu tun?

Nein, diese Debatte wird auf Eis gelegt. Sie ist derzeit unführbar. Das meint, wir können solche Erörterungen öffentlich nicht führen, weil die Frage, was jemand da eigentlich tut, wenn er oder sie sich unter die Flagge der Kunst reklamiert, solche Unruhe auslöst, daß rundum die Balken zugehen. Siehe dazu etwa die "Wegmarke 2017" [link] Wir werden im Rahmen des Kunstsymposion bei unserer Albersdorf-Session allerdings einen Round Table abhalten, der einem Arbeitsgespräch zum Kunstbetrieb gewidmet ist: [link]

Wo wir Aspekte der Vierten Industriellen Revolution erörtern, scheint eines klar. Die neuen selbstlernenden Systeme und die neuen Automatisierungstechniken verweisen auf ein Ende der Massenbeschäftigung in den uns vertrauten Wirtschaftsformen.

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Dazu paßt eine Frage von Passath: "Immer mehr Menschen identifizieren sich mit ihrer Tätigkeit, selbst wenn diese unnötig und sinnentleert ist. Was wird passieren wenn nun bald die gesamten Herstellungsprozesse rein durch Maschinen und künstlich Intelligente Systeme umgesetzt werden und die Maschinen keine Prothesen mehr brauchen? Was machen wir nun da der Mensch überflüssig wird?" Wäre augenblicklich noch zu erwähnen, daß Passath heuer im September auch beim Festival steirischer herbst gastiert: [link]

-- [Kunstsymposion 2017: Koexistenz] --

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