24. Juni 2017Zur Frage, was denn Kunst sei, schrieb
Hilmar Hoffmann in seinem Klassiker der kulturpolitischen Texte: "Die
Beurteilung, ob etwas Kunst sei, ist, solange es sie gibt, extrem ambivalent."
Hoffmann führt in "Kultur für alle" weiter aus: "Die
Künstler selbst haben hierzu viele Meinungen, aber bis heute keine allgemein
verbindliche."
Wie kann etwas seit Jahrtausenden den Menschen wichtig sein, obwohl sich in wenigen
Sätzen nicht sagen läßt, was es ist? Kunst! Wir könnten freilich darüber erfreut
sein, daß es in unserer Existenz auch Felder gibt, auf denen die Eindeutigkeit und die
Widerspruchsfreiheit nicht schon alles sind.
Wenn es aber so ambivalent ist, unscharf an vielen Stellen, vielleicht besser gesagt: unbeständig,
woher kommt dann die Attitüde, jemandem auszurichten, dies oder jenes sei keine Arbeit
von künstlerischem Belang? Was soll dann das Kunsturteil?
Wir könnten uns glücklich schätzen, daß die menschliche Natur derart aufregende und
herausfordernde Bereiche hat. Zumindest dann, wenn einem die Sache ernst ist und wenn das
Thema Kunst nicht mit verdeckten Intentionen für andere Agenda benützt wird.
Ist nicht der gesamte Kulturbereich dem Mißbrauch des Genres permanent ausgesetzt, der
Bewirtschaftung unter falschen Vorgaben, dem Etikettenschwindel? Selbstverständlich! Das
ist nicht weiter erhellend, denn wo immer materieller oder immaterieller Profit möglich
wird, gibt es auch Leute, die einen dabei hintergehen. Das ist banal und keiner weiteren
Auslassung wert.
Hoffmann formulierte es so: "Oft wird Kunst legitimiert mit Begründungen, die
sie fremden Zwecken unterordnet." Daß gerade Politik und Verwaltung dafür
anfällig sind, liegt im Wesen der Sache. Hoffmann hatte das bereits in der Vorbemerkung
zur 1. Auflage seines Buches notiert:
Ich hab eben im Beitrag "Volkskultur 4.0: Abschluß" [link]
ein paar Publikationen erwähnt, die bei diesem Projekt wichtige Quellen für unseren
laufenden Diskurs waren. Darunter Dieter Kramer mit seinem Werk Europäische
Ethnologie und Kulturwissenschaften. Kramer ist für mich als kulturpolitischer
Denker sehr prägend.
Kaum überraschend, daß er auch in Verbindung mit Hilmar Hoffmann zu finden ist, so
etwa in "Kultur für alle. Kulturpolitik im sozialen und demokratischen
Rechtsstaat" [link] Und natürlich in Assoziation mit Hermann Glaser, auf den ich
einst über seine Arbeit zur "Spießer-Ideologie" kam. Die Schriften
von Hermann Glaser, Hilmar Hoffmann und Dieter Kramer wurden für mich über Jahrzehnte
wegbegleitend. Das waren in den 1980ern für uns wesentliche Impulsgeber zu den Fragen
einer Eigenständigen Regionalentwicklung im Kulturbereich, wie etwa auch Paulo
Freire mit seiner "Pädagogik der Unterdrückten".
Die letzten drei Jahrzehnte im Raum Gleisdorf haben klar gezeigt, daß es unter den
Kreativen keine starke Neigung zur Theoriearbeit und Reflexion gibt. Kulturpolitische
Debatten sind die Ausnahme geblieben. In der jüngeren Vergangenheit hat sich gezeigt,
daß der Schritt "Vom Subventionsempfänger zum Kooperationspartner" keine
nennenswerte Anziehungskraft hat.
Das gilt ebenso für die kollektive Kulturarbeit. Ich würde aus dem bisher Erlebten
schließen: In einem Rudel hiesiger Kunstschaffender herrscht eine enorm hohe Tendenz zur
Entropie. Der Haufen zerfliegt sofort, wenn die einzelnen Leute für sich nicht mehr genug
Vorteile lukrieren können. Für wenigstens 80 Prozent derer, mit denen ich hier schon zu
tun hatte, gilt: Sie kommen, wenn es was gratis gibt. Davon sind wiederum wenigstens 80
Prozent gleich wieder weg, wenn man ihnen auch nur irgendetwas abverlangt. (So
also wäre die Pareto-Formel in Stein gehauen.)
Man kann sich vorstellen, wie überrascht ich war, daß im Gleisdorfer Rathaus gestern
ein deutlicher Schritt in solchen Fragen unternommen wurde. Der Kulturpakt Gleisdorf
ist nun mit einer klaren kulturpolitischen Aufgabenstellung versehen, was ich für sehr
wichtig halte. Es kann ja nicht sein, daß die Kommune einfach nur als Agentur fungiert,
die den Kreativen Publikationsmöglichkeiten bietet und die dazu nötigen Ressourcen
sichert, die erforderliche Öffentlichkeitsarbeit macht etc.
Eine Gemeinde hat eindeutig andere Aufgaben als eine Galerie, ein kommerzielles
Kulturmanagement, eine Agentur. Eine Gemeinde sollte nicht mit der Subventions-Gießkanne
umgehen, sondern eben klare politische Akzente setzen.
Im Juli 2015 hieß es beim Kulturpakt Gleisdorf noch: "Um die
regionalen Kunst- und Kulturaktivitäten in deren Gesamtheit zu transportieren, verzichten
wir diesmal auf ein konkretes Schwerpunktthema und rufen zur Einreichung Ihres bunten
Veranstaltungsprogramms auf."
Nun kam eine Kulturpakt-Aussendung mit Datum 23.6.2017, darin heißt es: "Diesmal
möchten wir die Schlagwörter 'Individuum - Institution - Interaktion' aufgreifen und
hinterfragen. Wie können wir uns in das kommunale Kulturgeschehen einbringen? Welche
Voraussetzungen braucht es, damit die Bevölkerung aktiv wird, miteinander agiert und
bestehende Angebote nutzt?"
Ich halte das für einen Wendepunkt in der Gleisdorfer Kulturpolitik. Immerhin wissen
wir seit Jahrzehnten, was geschieht, wenn eine Kommune den Kreativen mitteilt: Es gibt
Geld. Was wollt Ihr damit anfangen? Die häufigste Antwort lautet dann: Da
könnte ich doch etwas für mich tun.
Nun aber: "Dieses Themenfeld spiegelt den Auftrag des Kulturpakts wider und
inkludiert somit alle Projekte, die Vernetzung und das gemeinsame Gestalten in den
Mittelpunkt stellen." Darin läge eine radikale Antwort auf die seit Jahren
knapper werdenden Ressourcen. Eine kollektive Kulturpraxis, die von der Basis der
primären Akteurinnen und Akteure her belebt wird, von der Kommune begleitet und
verstärkt.
Sollten nun alle aufs Kollektiv verpflichtet werden? Aber nein! Ich wünschte, die
Stadt würde auch weiterhin einzelne Künstlerpersönlichkeiten herausstellen. Und zwar
Kräfte, die bemerkenswerte Arbeiten zeigen. Keine beliebigen und beliebig austauschbare
Bildchen. Keine ambitionierten Bastelarbeiten. Keine seit zehn Jahren ewig gleichen
Exponate, die erkennen lassen, daß sich jemand um künstlerische Entwicklung nicht
bemühen kann oder will. (Das ist privat völlig okay und für die Öffentlichkeit
irrelevant.)
Ja, auch das mag dennoch gelegentlich Öffentlichkeit haben, denn der Gewinn
an Sozialprestige ist ein Gewinn an Lebensqualität und das nützt dem
Gemeinwesen. Aber das Klischeehafte, das Unbedarfte, auch das weitgehend Ambitionslose ist
im Kollektiv sehr gut aufgehoben. Es bekommt seinen Wert in diesem sozialen Zusammenhang,
nicht im Kontext Gegenwartskunst. Wenn also nun Gleisdorf via Kulturpakt
ausrichtet: "Wir sind nicht da, um den Zufall zu verwalten, das Beliebige hübsch
anzuordnen", dann könnte das kulturpolitisch auf eine neue Ära hinauslaufen.
Das kann allen Beteiligten nützen, den künstlerisch exzellenten Kräften wie auch jenen
Personen, die künstlerische Techniken bloß einsetzen, um ihrem Leben zusätzliche
Qualität zu verleihen. Es würde sich das kulturelle Klima interessant verändern und man
darf annehmen, daß sich durch derlei neue Schritte auch die Ressourcenlage verbessern
läßt.
Ich lese in der genannten Aussendung: "Haben Sie bereits ein Konzept im Kopf
mit dem Sie sich einbringen möchten oder suchen Sie noch KooperationspartnerInnen für
Ihre Projektidee?" Das halte ich für den richtigen Weg. Komplementär dazu wird
man sich im Rathaus sicher immer aufraffen können, jemanden mit hervorragenden Arbeiten
extra herauszustellen.
Genau in dieser Kombination, die vor allem auch das Exzellente mit einer Sonderstellung
unterstreicht, könnten jene Anregungen zu kursieren beginnen, die auf breiterer Basis den
Impuls geben zu lernen und sich entwickeln zu wollen. Man kann das tun, muß aber nicht,
so viel Freiheit möge erhalten bleiben. Doch wer lernen möchte, braucht dazu qualitiv
relevante Arbeiten vor der Nase, denn auf meinem eigenen Niveau kann ich nur selten neue
Anregungen bekommen. Da bin ich ja schon längst...
Ein Bonmot besagt, die Menschen würden Wert darauf legen, nicht umsonst gelebt zu
haben. Ich bin neugierig, ob sich dazu im Kulturgeschehen der Region wieder einmal
frischen Ansätze zeigen wollen.