22. Juni 2017 Mein
Nachdenken über Kunst und über Kulturpolitik hat mir nun einige Einwände und eine Reihe
von Fragen eingebracht. Gut so! Die Einwände betreffen vor allem den kulturpolitischen
Status von Gleisdorf. Da habe ich nun allerhand erfahren, was daran überaus
zufriedenstellend sei, denn da gebe es diesen oder jenen Kulturauftrag der Stadt, dem die
Kommune auf diese und jene Art nachkomme.
Nun bietet zwar das steirische Landeskulturförderungsgesetz
so etwas wie einen Kulturauftrag an, zu dem man Beiträge leisten solle, falls
man sich die Kofinanzierung eines Projektes aus öffentlichen Mitteln erhofft, aber zu
Gleisdorf kenne ich kein einziges Dokument der jüngeren Vergangenheit, in dem ein Kulturauftrag
formuliert wäre. Wer sich also da auf eine solche Mission beruft, müßte erst einmal den
dazugehörigen Text vorlegen, der ja etwa vom Kulturausschuß der Stadt formuliert sein
sollte.
Malewitsch: "Schwarzes
Quadrat" (1915, Tretyakov Galeriew, Moskau)
Ich verzichte übrigens auf den Begriff Subvention und
verwende grundsätzlich den Terminus Kofinanzierung. Erstens ist in meinem
Aktionsspektrum keine 100 Prozent-Finanzierung vorgesehen, sondern der Staat trägt bei
Zusage etwas zu Kulturprojekten bei. Zweitens sehe ich in diesen Fragen ein gemeinsames
Interesse (der Staat und ich) puncto Wissens- und Kulturarbeit, weshalb eben beide Seiten
etwas beitragen, der Staat und ich.
So entstehen aus öffentlichen Mitteln kofinanzierte
Projekte. Das ist eine der kulturpolitischen Dimensionen, die hier zur Debatte stehen. Der
Staat als Auftraggeber bei hundertprozentiger Bezahlung meiner Leistung, das gibt es zwar,
aber es kommt in der regionalen Kultur- und Wissensarbeit nicht vor; zumindest nicht dort,
wo ich die letzten 30 Jahre tätig war. Unter "Verlauf und Status" kann
man in einigen Beispielen nachlesen, welche konzeptionellen Schritte nötig sind, um
staatliche Kofinanzierungen zu erreichen: [link]
Bei den Fragen, die mich zu dieser Debatte erreichen, geht
es immer wieder um Unterscheidungsmerkmale, also um Kriterien, auch um Grenzen.
In diesem Zusammenhang wird hier gerne vermieden, zu erörtern. was ist Können und was
ist Stümperei? Was ist ein relevantes Werk und was eine ambitionierte Bastelarbeit? Was
ist Kunst?
Ich war eingangs schon einmal bei den gemalten Quadraten
von Kasimir Malewitsch. Das sind Schlüsselwerke der Malerei im 20. Jahrhundert. Siehe
dazu den Eintrag vom 8. Juni 17, in dem klar wird, daß der Mann natürlich ein
hochkarätiger Maler war, der sein Handwerk beherrscht, und daß die Quadrate eine
konzeptionell begründete Reduktion darstellen: [link]
Ich nehme ein Beispiel aus einer anderen Kultur. Vom
Zen-Buddhismus wissen selbst Uninteressierte womöglich, daß Reduktion und der Übergang
in das Irrationale, ins Nicht-Denken, wesentliche Rollen spielen und so auch großen
Einfluß auf die Kalligraphie, die Malerei und die Holzschnittkunst Japans haben.
Enso (Foto: Spoktu, GNU-License)
Dabei ist das Enso ein sehr einprägsames
Beispiel. Der Kreis ist ferner ein Grundsymbol des Shodo, was "Weg des
Schreibens" bedeutet, also eine philosophisch untermauerte Form der
Kalligraphie. Wer nun reflexhaft meint, "Ich kann das auch", möge sich
bei mir einen Kübel Farbe und einen ausreichend großen Pinsel holen, dann schauen wir,
was dabei herauskommt.
Vor allem könnten wir überprüfen, wie lange es dauert,
um einen vergleichbaren Enso zu schaffen. Wochen? Monate? Mehr? Ansatz, Schwung,
aus. Da ist nun eines der möglichen Kriterien in der Betrachtung von Werken angeboten.
Beherrscht jemand seine Werkzeuge und hat eine geübte Handschrift, um einen bestimmten
Inhalt darzustellen?
Darin klingt schon das nächste Kriterium an. Was begegnet
mir da inhaltlich? Etwas Stilles? Etwas Bewegendes? Etwas Banales? Oder gar etwas so
stereotyp Daherkommendes, quasi ein Klischee seiner selbst, weil ich das Thema schon
tausendfach abgearbeitet sah und es so verbraucht ist, daß es mir spontan alle Sinne
verödet?
Wer nach Kriterien fragt, fragt nach Vergleichen.
Wenn ich Werke beurteile, dann spreche ich von Relationen. Wie verhält sich ein
Werk zu anderen? Das ist auch, was die Kunstgeschichte tut: vergleichen. Das macht die
Kritik. Vergleichen. Schwarzes Quadrat oder Enso, ich kann dem andere Arbeiten
gegenüberstellen, kann so überprüfen, wie sie sich handwerklich und inhaltlich dazu
verhalten.
Kunstsammler, die ich kennengelernt habe, befassen sich nie
bloß mit einem Werk, sondern wollen überdies erfahren:: Was wurde davor und was danach
gemacht? In welchen Zusammenhängen entstand diese Arbeit? Gibt es dazu Skizzen und
Notizen? Haben sich andere Leute dazu auf interessante Art geäußert? Haben womöglich
andere Kunstschaffende mit Werken darauf reagiert?
Also vergleichen. Ich kann natürlich jetzt niemanden von
den Kreativen aus meiner Umgebung hervorzerren, auf daß eine Arbeit am Werk des
Malewitsch oder des ungenannten Zen-Meisters gemessen wird. Das wäre völlig
unangemessen. Aber ich ich mag die Klarheit in der Reduktion dieser Werke. Sie zeigen uns,
was einer versierten Kraft möglich ist und eignen sich so dennoch als Referenzgrößen.
Ich nehme ein junges Beispiel aus meinem Briefkasten. Da
wurde mir diese Ausstellung avisiert. Die "Künstlerische Wiederverwertung"
von Schlüsseln. Warum künstlerisch? Was wäre daran das Künstlerische?
Um Reduktion, eine möglichst knappe Formensprache, ging es offenbar nicht. Zeigt mir das
einfach gezeichnete Antlitz einen speziellen Gesichtsausdruck? Nein. Eine bestimmte
Person? Nein. Ist es formal interessant gelöst? Nein.
Sie ahnen gewiß, was drei- bis fünfjährige Kinder im
Durchschnitt schaffen, wenn man sie bittet: "Zeichne mir ein Gesicht!"
Ich zeigen Ihnen ein Beispiel. Wie starr, fast tot, und ohne jeden Ausdruck wirkt die
"künstlerische" Schlüssel-Visage im Vergleich zu jenem kleinen
Portrait, das ohne jede künstlerische Intention entstanden ist, weil dieses Kind noch
nichts von solchen Optionen weiß:
Beide Arbeiten waren nicht gedacht die Welt abzubilden,
sondern sind Belege einer sehr emotionalen Situation. Sie haben also für jene einen Wert,
die sie erschaffen haben. Dennoch bleibt das ein Blatt nichtssagend, völlig beliebig, das
andere wirkt sehr lebendig. Was mag also der Grund sein, die Schlüssel-Sache öffentlich
zu inszenieren? Es kann nicht mit künstlerischen Agenda begründet sein. Warum steht dann
da "künstlerisch"? Ist es doch egal, ob ich einen Sessel Tisch nenne
oder eine Balkon Dach?
Ich zeige ein ganz anderes Beispiel, um das Vergleichen
fortzuführen. Diesmal stammt die Arbeit nicht von einem Kind, sondern von einem jungen
Mann, der sehr wesentlich in einer Realität lebt, die ich nicht mit ihm teile.
Das Malen scheint für Florin Asei [link] von großer Wichtigkeit zu sein. Ich habe etliche seiner
Arbeiten gesehen, unter denen kaum eine ist, die mir eher wenig interessant erscheint,
keine davon banal oder beliebig. Das meiste, was ich von Asei sah, ist kraftvoll,
bewegend, ausdrucksstark.
Asei hat eine sehr markante Formensprache entwickelt.
Bilder wie dieses erscheinen sehr konzentriert. Es gibt andere, fast schon irritierende
Massenszenen, die einen fesseln und beschäftigen. Ich mag dieses Beispiel, weil ich
Florin Aseis Arbeiten eine bemerkenswerte Qualität zuschreibe, mit der sich die
Schlüssel-Sache keinesfalls messen kann. Aber Asei ist kein Mann der Konzepte, des
Kunstdiskurses, ist kein Kenner unserer Kunstgeschichte. Er schöpft vor allem aus sich
und aus den Dialogen mit Menschen, denen er vertraut.
Damit möchte ich betonen, daß man sich ohne weiteres ganz
für bloß einen der beiden wesentlichen Zugänge auf dem Kunstfeld entscheiden kann. Man
muß nichts "von Kunst verstehen". Da wären a) das Reich der Sinne
mit seinen Maßgaben und b) die Regeln der Kunst.
Das Reich der Sinne ist von sinnlichen
Wahrnehmungen bestimmt, von Ästhetik = Aisthesis = Wahrnehmung.
Gefällt mir oder auch nicht. Spricht mich an oder auch nicht. Sagt mir etwas oder auch
nicht.
Die Regeln der Kunst kommen aus den laufenden
Kunstdiskursen, werden oft auch verworfen, alle für nichtig erklärt, neu formuliert,
wieder durchgesetzt, dann aber doch erneut gestürmt, in Abrede gestellt.
Ich kann beide Zugänge mischen oder einen für vorrangig
erklären. Seit der Antike sind Streitgespräche überliefert, die davon handeln, ob denn
nun der breite Publikumsgeschmack mehr Gewicht habe oder ob der erlesene Geschmack weniger
Kenner bestimmen möge. Die Debatte ist seit über zweitausend Jahren nicht zugunsten
einer Seite entschieden. Das illustriert wohl, wie sehr es um etwas anderes geht...
Bleiben wir also im Gespräch!
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