8. Mai 2017

Thomas Nipperdey schrieb in seinem Essay "Wie das Bürgertum die Moderne fand" an einer Stelle: "Die Gesellschaft hat die Tendenz, sich zu stabilisieren; die Kunst dagegen ist aus eigener Notwendigkeit instabil, ja destabilisierend." Ein Problem? Kaum. Wie sollte eine Minorität der Kunstschaffenden eine Gesellschaft ins Wanken bringen?

Nicht einmal so radikale Phänomene wie Dada konnten das tun. Im Gegenteil. Dada war eine Reaktion auf die erschütternden Erfahrungen des Großen Krieges, zu dem sich ganze Gesellschaften den skrupellosen Eliten jener Zeit angeschlossen hatten.

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Europa-Tag in Gleisdorf

Die Kunst hatte dabei zwar Anlässe gefunden und Wege angeboten, sich mit den Ursachen und Folgen solcher Entwicklungen auseinanderzusetzen, wodurch freilich der Nazi-Faschismus nicht an seiner Entfaltung gehindert wurde.

Und heute? Haben wir es in der regionalen Wissens- und Kulturarbeit mit einem Kunstgeschehen zu tun, das sich eher den bestehenden Verhältnissen anbietet bis anbiedert? Könnte es dabei auch um etwas anderes gehen? Wie verhalten sich in der Sache Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft zueinander? Welche kulturpolitischen Präferenzen vertritt und verfolgt die Kommune? Was wollen die Kunstschaffenden?

Das sind allerhand Fragen, über die wir gelegentlich neue Klarheiten finden sollten. Ich hab hier in den vorigen zwei Beiträgen von einem Themenabend erzählt, zu dem die ÖVP Gleisdorf geladen hatte, um eine Debatte über Bedingungen von Bildung und Kultur zu führen. Im Kulturkeller waren wir dabei gerade einmal zwei Kunstschaffende.

Ich hätte angenommen, daß etwa jene kreativen Kräfte, die im Kulturpakt Gleisdorf [link] zusammenkommen, das erste Quartal 2017 genutzt haben, um für diesen Abend einen kulturpolitischen Input zu erarbeiten. Fehlanzeige!

Es sind also, außer mutmaßlich meinen, keine kulturpolitischen Optionen von der kreativen Basis her bekannt. Wären noch a) das Kulturreferat (Politik) und b) die Abteilung für Kultur und Marketing (Verwaltung), von der kulturpolitische Zielsetzungen verfolgt werden. Sieht man auf der offiziellen Website von Gleisdorf nach, wird deutlich, die umfassendste Schaltstelle in Sachen Kultur ist im Büro von Gerwald Hierzi [link] eingerichtet:

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Von den in Gleisdorf ansässigen Gruppen, die im Kunstkontext tätig sind, läßt sich aus den letzten Jahren heraus klar sagen, daß sie bei Inhaltsfragen ausschließlich dem eigenen Vorteil gewidmet sind. Kulturpolitische Debatten zu den größeren Zusammenhängen, etwa der Kleinregion Gleisdorf oder der Energieregion Weis-Gleisdorf, sind weder bekannt noch in Medien nachweisbar.

Vergangenen Samstag wurde in Gleisdorf ein Europatag abgehalten. Die Zutaten: Volkstanz, Kulinarik, ein Hauch von Volkskultur. Und? Immerhin haben wir 2017: 60 Jahre Römische Verträge, EWG: Europäische WirtschaftsGemeinschaft; und noch einige andere interessante Bezugspunkte in der Geschichte Europas; siehe: [link]

Stellen Sie sich vor, Leute aus der Kunst, der Wirtschaft und dem Sozialbereich hätten Ressorucen der Stadt genutzt, um sich über mehrere Verständigungsschritte gemeinsam zum Status quo Europas zu äußern, um dann bei so einer Veranstaltung zu zeigen, daß man sich der größeren Zusammenhänge, in denen wir heute durch Wirtschaftsglobalisierung und Info-Sphäre leben, bewußt ist. Fehlanzeige!

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Während eines Spazierganges durfte ich gestern erneut das Innere der vormaligen Gleisdorfer Poststation sehen. Ein wunderschönes Ensemble, in wesentlichen Bereichen noch erhalten, einst eine bedeutende regionale Markierung in Sachen Zukunftsfähigkeit. Dort hatte eine wesentliche Linie des Verkehrs und der Kommunikation im Dorf, welches später zur Stadt wurde, einen Knotenpunkt. Dort führte eine Verbindung zur Welt hindurch.

Heute sind wir nicht mehr auf den unbequemen Postwagen angewiesen, um etwas von der Welt zu sehen, zu erfahren. Wieso zeigt sich dann nicht mehr vom Interesse an der Welt im lokalen Kulturgeschehen? Apropos Welt! Die Kunstbiennale in Venedig gilt weltweit als eine bedeutende Schau der Gegenwartskunst.

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Dort wird Bosnien-Herzegowina heuer von Radenko Milak vertreten. An den mögen sich hier manche erinnern, da wir vor ein paar Jahren mit dem Themenkomplex 1814-1914-2014 befaßt waren. Milak ist bei unseren Kunstsymposien 2013 und 2014 unser Gast gewesen. Siehe dazu etwa "Beyond Memory" [link]

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Mirjana Peitler-Selakov und Radenko Milak vor dem Rathaus

Ich wünschte, der Lauf der Dinge würde sich wieder mehr in kulturellen Vorhaben zeigen, die über Selbstreferenz und Selbstrepräsentation von regionalen Kunstschaffenden wesentlich hinausgehen; zumindest dort, wo Projekte aus öffentlichen Geldern kofinanziert werden.

Ich wünschte, die Politik würde eigene Optionen klar formulieren und zur Debatte stellen, auf daß in kulturpolitischen Diskursen zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft ein paar Orientierungspunkte zum Einsatz öffentlicher Gelder diskutiert werden können.

Was anderes bedeutet denn Res publica, als daß die "Öffentliche Angelegenheit" öffentlich verhandelt würde? Im Falle einer regionalen Kulturpolitik ist es freilich etwas gruselig, wenn die regionalen Kulturschaffenden solche Debatten fernblieben und sich damit begnügten, bei der Politik bloß Auftritts- und Publikationsmöglichkeiten zu ordern.

-- [Kulturpolitik] --

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