28. Jänner 2017 Wie
kommt man über den Winter, wenn die Ernte schlecht war oder völlig ausgeblieben ist? Ich
denke in letzter Zeit wieder öfter an diese Möglichkeit einer vollkommen desaströsen
Versorgungslage, einbrechender Transportsysteme...
Nein, nicht in Gedanken an die Zukunft, sondern bei
Überlegungen zu den letzten 200 Jahren. Womit konnte man in harten Zeiten über den
Winter kommen? Was davon hab ich heute noch in meiner Küche vorrätig? Kartoffel. Mais,
Reis, Bohnen. Und Sauerkraut. Äußerst haltbare Dinge.
Aktuell muß ich mit diesen Vorräten bloß übers
Wochenende kommen, manchmal ein durch Feiertag verlängertes Wochenende. Gelegentlich bin
ich so in meine Lektüre und Arbeit vertieft, daß ich einige Tage nicht aus dem Haus
gehen kann. Auch da bewähren sich derlei Vorräte (ergänzt um vorzüglichen Wein.) Aber
einen ganzen Winter zu überstehen, ohne etwas kaufen zu können, das sind natürlich
andere Dimensionen.
Aus meiner Schulzeit ist mir erinnerlich, daß unsere Leute
anfangs das aßen, was über der Erde aus der Kartoffel gedieh. Giftiges Zeug, das ihnen
schadete. Ich hatte gelernt, Sir Walter Raleigh habe die Kartoffel seiner Königin aus
Übersee mitgebracht. Das ist historisch nicht belegt.
Was belegt ist: Erzherzog Johann hat eine Kartoffelunterstützungsanstalt
gegründet, um Anbau und Verbreitung der Ackerfrucht im Steirischen zu forcieren. Das war
eine Reaktion auf die Mißernten wie Hungersnöte von 1816 und 1817. Die waren eine
Konsequenz des massiven Tambora-Ausbruchs nahe Bali; siehe dazu meine Notiz:
"Herr Turner und die Temeraire" [link]
Johann von Österreich engagierte sich für
Landwirtschaft und Industrie um Know how-Transfers aus verschiedenen Ländern, zu jener
Zeit vor allem auch aus England. Seine Reisen nach Großbritannien 1815/1816 hat er in
seinen Tagebüchern detailreich dokumentiert.
Das bietet ein paar Denkanstöße für unsere Gegenwart.
Die Napoleonischen Kriege waren eben erst überstanden, der Grazer Schloßberg
hatte dabei einige Scharten abbekommen. 1814 haben sich die Machthaber beim Wiener
Kongress über den Zustand Europas verständigt und neue Regelungen getroffen.
Es gab die erwähnten Hungersnöte und eine massive "Modernisierungskrise",
denn die Erste Industrielle Revolution setzte mit voller Wucht ein, verschärfte
so überall das Gefälle zwischen Zentrum und Provinz, da die Regionen in Wettläufe um
Standortvorteile und Ressourcen gingen.
Das ließ eine an und für sich sehr rückständige Gegend
wie die Steiermark noch schlechter dastehen, woran Johann vieles zu ändern gedachte. Zum
Beispiel: Ertrag erhöhen, Ernten sichern, die Ernährung der Menschen gewährleisten;
dazu schienen Kartoffel sehr viel beitragen zu können, wenn man sie zu nutzen wußte.
"Mit besonderer Beharrlichkeit wird ihre Cultur in
der Filiale Brandhof betrieben", heißt es in dieser Grazer Publikation von 1840,
die uns aufschlußreiche Einblicke bietet, was damals in der bäuerlichen Welt geschafft
werden sollte. Daher diese "Resultate der Wirksamkeit der k.k.
Landwirthschafts-Gesellschaft", als deren Herausgeber Franz Xaver Hlubek
zeichnete.
Ein Buch über die Leistungen der k.k.
Landwirthschafts-Gesellschaft in der Steiermark, vom Jahre 1829-1839. Dieses Buch
erschien "Im Auftrage Seiner kaiserlichen Hoheit, des durchlauchtigsten Herrn
Präsidenten Erzherzogs Johann Baptist".
Knapp gefaßt: Europa in Unruhe, ein Mangel an
Verteilungsgerechtigkeit, das Heraufkommen neuer Technologien, von denen die Wirtschaft
verändert wird, also die Gesellschaft. All das im 19. Jahrhundert, da England gerade noch
der Welt größte Industriemacht ist und als Kolonialmacht über eine enorme Ausdehnung
verfügt, über Märkte, Menschen und Rohstoffe gebietet, die weit außerhalb von Englands
Landesgrenzen liegen. In jener Zeit haben Deutschland und die USA schon angesetzt, England
als Industrieland zu überflügeln. Alles bewegt sich. Klingt das irgendwie vertraut?
Im oben gezeigten Buch von den Englandreisen findet man
diese Handskizze aus den Tagebüchern des Erzherzogs. Seine peniblen Schilderungen all
dessen, was es da zu entdecken gab, wären für die breite Bevölkerung zuhause vermutlich
erst einmal recht verblüffend, ja sogar verstörend gewesen.
Muß ich annehmen, daß es uns derzeit mit diesem Zugehen
auf die Vierte Industrielle Revolution ähnlich widerfährt? Können wir
feststellen, daß heute die Funktionstragenden auf vergleichbare Weise in Wissenserwerb
und Kultur investieren, auf daß diese Gesellschaft gesamt in der Gegenwart ankommen und
sich für die nahe Zukunft wappnen möge? Sind wir gerüstet, das bisher Errungene nicht
zu verspielen und in die nächste Große Transformation hineinzutragen?
Das sind einige der Fragen, denen wir uns einerseits im
heurigen Kunstsymposion, andrerseits im Projekt "Mensch und Maschine" widmen
werden.
-- [Das 2017er Kunstsymposion] [Mensch und Maschine] -- |