7. Dezember 2016 "Mußt du dich immer mit so schweren Themen befassen?"
Eine verführerische Frage, die mir immer wieder gestellt wird. Ja. Nein. Wieso müssen?
Klar. Es fühlt sich widersprüchlich an. Und manchmal ist es wie ein Schwimmen in Honig.
Der Zustand der Welt? Ein verlockendes Bild.
So als ließe sich das von einem einzelnen Geist erfassen. Nein, das ist natürlich nur
eine Metapher: Der Zustand der Welt.
Aber ich bin Teil eines Kreises von Menschen,
die sich mit Wissens- und Kulturarbeit befassen. Dabei geht es selbstverständlich um
Befunde zum Zustand der Welt, um Annahmen darüber, wo wir gerade stehen und was uns das
abverlangt. Die Leute, denen ich mich dabei näher verbunden fühle, sind nicht mit dem
Verfassen von Protestnoten beschäftigt. Ich kennen an ihnen auch kein demonstratives
Empörtsein.
Was sich in den letzten zwei Jahren in meiner
Umgebung herauskristallisiert hat, wirkt nun nach außen als ein kleines Netzwerk
engagierter Menschen, die zu einer interessanten Balance zwischen Konsumation und
Partizipation gefunden haben.
Damit meine ich hier ein Wechselspiel zwischen
dem Genuß kultureller Leistungen anderer Leute und dem eigenen Tun auf diesem Feld. Das
2017er Kunstsymposion, an dessen Werden ich derzeit arbeite, macht einen Teil
dieser Zusammenhänge greifbar: [link]
Das Thema Koexistenz ist der
Angelpunkt. Dabei die Frage nach unserer Fähigkeit, in der Koexistenz mit Menschen und
Maschinen neue Situationen zu ertragen und zu bewältigen. Das ist zugleich auch die Frage
danach, wie wir es mit der Menschenwürde halten, wo wir gefordert werden,
persönliche Vorteile abzugeben.
Es ist eine interessante Zeit. Während wir
uns auf dem Weg in eine Vierte Industrielle Revolution befinden, wo uns die
vorherige, die Digitale Revolution, noch nicht in vertraute Verhältnisse
entlassen hat, wird Europa von seiner eigenen Kolonialzeit eingeholt und
herausgefordert, die Früchte der einstigen Raubzüge mit jenen zu teilen, deren Vorfahren
beraubt wurden.
Genau diese Anforderung trifft uns in einem
Abschnitt, da wir längst spüren, daß unser Wohlstand wankt und unsere Sicherheit
gefährdet scheint, wofür wir offenbar bereit wären, etwas von unserer Freiheit
dranzugeben.
Wie sehr uns politisches Personal dabei
zunehmend Inkompetenz aufbürdet, hat der jüngste Wahlkampf um das Amt des
Bundespräsidenten gezeigt. Die resolute FPÖ-Politikerin Ursula Stenzel fand im oe24.TV-Talk
reichlich Zeit, sich mit Beate Meinl-Reisinger, Vorsitzende der NEOS Wien, über
aktuelle Probleme auseinanderzusetzen. Das sanft moderierte Streitgespräch entfaltete
sich über etwas mehr als eine Stunde.
Im Finale betonte Stenzel, FPÖ-Kandidat
Norbert Hofer pflege ein offenes Ohr "für die echten Probleme, die wir in diesem
Land haben", wobei sie das Wort ECHTE stark betonte. Die folgende Aufzählung:
+) unkontrollierte Migration
+) keine Auswege beim Fremdenrecht, beim Sicherheitspaket
+) die Reform der Europäischen Union im Sinn eines Europas der Vaterländer
Das ist alles? Daran erscheint bemerkenswert,
daß sie hier ausschließlich Themen anspricht, die heute kein Nationalstaat für sich
bewältigen könnte, die nur in einer verbesserten Kooperation der Staaten Europas zu
schaffen wären.
Die Aufzählung handelt zugleich von
transnationalen Problemlagen, die sich sehr leicht im Sinn von "die anderen sind
schuld" promoten lassen. Was in Stenzels Aufzählung der "echten
Probleme, die wir in diesem Land haben" vollkommen fehlt, sind einige markante
Probleme, deren Lösung wir niemandem aufhalsen können, denen wir uns selbst stellen
müssen.
Ich beschränke mich auf wenige Punkte. Wie
sehr der volkswirtschaftliche Schaden laufend steigt, weil wir weder in der
Bildunsgreform, noch in der Verwaltungsreform vorankommen, dürfte evident sein.
Mit solchem Ballast steuern wir zügig auf das
Ende der Massenbeschäftigung zu, weil nächste Automatisierungswellen und
selbstlernende Maschinensysteme schon in wenigen Jahrzehnten Jobs übernehmen werden, die
wir bisher nur Menschen zugetraut haben.
Unabhängig davon gibt es für Menschen genug
Arbeit, aber schon heute nicht mehr genug angemessen bezahlte Arbeit. Wir sollten
also dringend neu klären, wie sich Arbeit und Einkommen zueinander verhalten mögen und
wie der Wohlstand, den Österreich immer noch genießen darf, so verteilt werden kann,
daß sozialer Frieden gesichert bleibt.
Das Beispiel Stenzel illustriert, wie
gründlich politisches Personal uns an manchen Stellen bezüglich der "echten
Probleme, die wir in diesem Land haben" hinters Licht führt, um sich selbst mit
plakativen Problembeschreibungen hervorzutun, dabei aber die weiteren, überaus kniffligen
Themen von sich fernzuhalten.
Das allein zeigt schon einen tiefen Mangel an
intellektueller Selbstachtung, mit dem ich mich hier nicht weiter befassen kann. Wichtig
bleibt hier, daß die Kunst selbst kein Werkzeugkasten für die Reparatur sozialer und
politischer Problemlagen ist. Die Kunst ist kein "Mittel um zu...".
Wir werden also in der regionalen Wissens- und
Kulturarbeit, auch speziell im 2017er Kunstsymposion, einige Themenstellungen
aufgreifen, die da ausschließlich mit Mitteln der Kunst und im Sinne der Autonomie
der Kunst bearbeitet werden.
Das ist dann keine Problembewältigung im Sinn
der oben genannten Themen. Aber die Ebene künstlerischer Arbeiten hat eine Umgebung von
anderen Zugangsarten. Und da kommen diese Aufgaben, in Vernetzung mit der Kunstpraxis,
durchaus vor. Siehe dazu en Überblick "Genres & Themen": [link]
-- [Kulturpolitik] [Das 2017er Kunstsymposion] -- |