5. Dezember 2016 Ich habe es als sehr beklemmend empfunden, wie sich dieses Wahlgeschehen
entfaltete und die Kontroversen auf den gestrigen Tag hin immer noch an Härte zulegten.
Darf ich hoffen, solche Ungelegenheiten zeigen wenigstens diesen einen Nutzen, als Weckruf
zu wirken?
Wir müssen unsere Demokratie in Ordnung
bringen. Immerhin hat sie in diesem Jahr sehr eigentümlichen Anfechtungen standgehalten.
Ich fürchte, daß genau jene Haltungen und
Entgleisungen, die ich im sprachlichen Schlagabtausch erleben konnte, in einer
Gesellschaft, die militaristischer gestimmt wäre, zu Waffengängen geführt hätten.
Unsere Leute waren schon so eine Gesellschaft. Offenbar trennt uns emotional noch sehr
wenig von solcher Verfaßtheit. Zu wenig!
Ich glaube ja bis heute nicht, daß
Österreich Gesellschaft "gespalten" sei, wie nun über Monate gerne berichtet
wurde. Dieses Bild erscheint mir als der Ausdruck einer schlampigen
Komplexitätsreduktion. Das muß ich besonders den Medienleuten anheften, die sich bequemt
haben, aktuelle Konfliktlagen als bipolare Situation darzustellen.
Ich hab die letzten Wochen Youtube
sehr dicht frequentiert, um mir Diskussionen und Interviews zu beschaffen, die mir
Aufschluß bieten, was gerade läuft. Dabei sind mir zwei Personen auf eine Art in der
Erinnerung haften geblieben, die jene eingangs erwähnte Beklemmung vielleicht am
nachhaltigsten illustriert.
Da war eine offenbar vollkommen
schmerzunempfindliche Ursula Stenzel in einem Dialog, während dessen sie ausführlich
darlegte, was nach Kriegsende an Nazis durch jenes Kaunatal geschleust wurde, in dem Van
der Bellen als Kind aufwuchs.
Sie vertiefte diese Schilderung detailreich,
deutete wiederholt an, daß der Vater Van der Bellens vielleicht in diesem
Zusammenhang zu sehen sei, in einem Nazi-Zusammenhang, betonte zugleich aber mehrfach,
daß es darum gar nicht gehe, sondern bloß darum, wie der wahlkämpfende
Prädidentschaftskandidat seine Rolle als vomaliger Flüchtling darstelle.
Eine derart obszöne Art der beharrlichen
Ehrabschneidung habe ich selten zu sehen bekommen. Das andere Beispiel, dessen Szenen ich
vorerst nicht loswerde, gab Wahlkampfleiter Herbert Kickl in einer Diskussionsrunde, bei
der gefragt wurde, was im Finish des Wahlkampfes nun noch anstehe.
Es wäre also darum gegangen, über sich
selbst, über eigene Vorhaben im Finale Auskunft zu geben. Von Kickl war so gut wie nichts
darüber zu hören, statt dessen nutzte er praktisch jede Wortmeldung, dem anderen
Kandidaten etwas Ungünstiges nachzusagen.
Gut, auch eine Art, über den eigenen Part im
letzten Wahlkampf-Abschnitt zu berichten. Ich vermag nicht zu beurteilen, wie groß der
Anteil unter den Menschen in Österreich ist, die an solchen Modi Gefallen haben.
Seinen Kontrahenten einfach niederschlagen
wollen, auf jede intellektuelle Selbstachtung zu verzichten, im Zuschlagen so weit zu
gehen, wie es gerade noch geht, um nicht sanktioniert zu werden, das ist einigermaßen
nahe an der Hausordnung des Circus Maximus.
Von der Arena der Antike zum zeitgemäßen
Cage Fight würden ja manche gerne auf alle Regeln verzichten, soweit es ihr eigenes
Tun angeht. Ich hab kein Interesse daran, mich mit solchen Menschen weiter zu befassen. Es
ist nicht einmal nötig, über ihr Verhalten irgendwelche ausführlichen Befunde zu
verlautbaren.
In meiner nächsten Umgebung läßt sich
feststellen, daß wir ein markantes kulturelles Problem haben. Auffallend viele Menschen,
die in der aktuellen Mediennutzung ein sehr rabiates Verhalten zeigen, schaffen einen
Kontrast zu auffallend vielen schweigsamen Leuten, die darauf bestenfalls mit Momenten der
Empörung reagieren.
Unsere reale Netzkultur hat gezeigt,
daß es in weiten Bereichen an jener Medienkompetenz fehlt, die es erleichtern würde, die
Frage nach sozialem Frieden in der zeitgemäßen Mediensituation angemessen zu bearbeiten.
Es bleibt im Moment, an den zynischen
Leitspruch über den Konzentrationslagern der Nazi zu erinnern: "Arbeit macht
frei". Wendet man diesen Satz, lautet er: "Freiheit macht Arbeit". |