22. November 2016

Ein postfaktisches Zeitalter? Lustig! Das klingt mir so plausibel, wie uns zum Beispiel einst die Postpostmoderne als präzise Zuschreibung angeboten wurde. Das sind etwas trübe Kategorien. Wir könnten allenfalls klären, was kontrafaktisch ist. Damit läßt man Fakten hinter sich. Gut. Geschenkt.

Und Parallelgesellschaften? Das klingt mir auch sehr dubios. Es tut so, als wären Gesellschaften etwas ganz Homogenes, indem sich "Fremdkörper" einnisten könnten. Es klingt ein wenig nach... Volkskörper. Damit war schon Hitler nicht besonders überzeugend.

Aber freilich behaupten manche Interessensgruppen gerne, wofür sie stehen, das sei die Norm, das Normale, das Gegebene, das Vorherrschende. Das wissen doch alle. Oder? Alles andere sei dann dazu "parallel"...

Sollte ich nun über Devianz-Theorie schreiben? Besser nicht. Die darauf folgenden Schnarchtöne möchte ich mir ersparen. Ich hab gestern auf Facebook eine ziemlich verblüffenden Bilddatei zu sehen bekommen, die ein passables Beispiel bietet, was man mit kontrafaktisch meinen könnte.

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Quelle: Facebook, 21.11.2016

Das ist keineswegs plump gemacht, sondern inhaltlich und handwerklich alles andere als Stümperei. Selbstverständlich wissen Menschen, die sowas produzieren und verbreiten, was "Der Stürmer" [link] war und wie derlei funktioniert. Genau das ist beabsichtigt.

Wer heute so einen Weg via Printmedien einschlagen würde, hätte umgehend die Justiz im Nacken, denn solche Art brüllender Menschenverachtung wird durch unsere Gesetze sanktioniert und würde entsprechend verfolgt.

In den Weiten von Facebook will das derzeit offenbar kaum bis nicht gelingen. Dort hat man es per Software immerhin geschafft, das Publizieren nackter Frauenbrüste einzudämmen. Die aktuelle Mediensituation zeigt also interessante Aufgabenstellungen.

Ich muß wohl verstehen und zur Kenntnis nehmen, daß weite Publikumskreise derlei schäbige Statements, wie jene Graphik exemplarisch eines zeigt, billigen, ja, begrüßen. Das dürfte zum Teil der menschlichen Schaulust geschuldet sein, mag einem dabei frivole Momente mit wohligen Schauern bescheren. Auch hier gilt vor allem: Sex sells!

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Quelle: Facebook, 21.11.2016

Das ist überdies eine schamlose Diffamierung, mit der man sich auf bequeme Art bestätigt, selbst der "richtigen" Seite anzugehören. Dabei kann man sich ruhig auch zum Deppen machen, denn wo in Österreich sehen die Leute und deren Kinder so aus, wie hier rechts auf dem Bild? (Außer in Graz wird zum "Aufsteiern" gerufen.) Eben! BEIDE Seiten sind groteske Übertreibungen.

Man beachte die Details. Auf der Seite Van der Bellens Frauen in Burkas und ein Rudel von mutmaßlich Flüchtlingen. Auf der Seite Hofers zwei trachtige Leute auf alten Waffenrädern, das eine davon sogar noch mit Azetylen-Lampe, statt mit elektrischer Ausstattung.

Darüber stehen prächtige Trachtlerinnen vor einem Set von Reiterinnen mit Chaps an den Beinen, Cowboyhüten auf den Köpfen, auf -- wie mir hier scheint -- American Paint Horses. (Europa als sicherheitspolitisches Protektorat der USA?) Na, unsere Vaterländischen! Das hätten ja wenigstens Noriker sein können ;-)

Ich habe keinen Gefallen daran, Andersdenkende zu beschimpfen. Gerade Facebook mutet mir da in meiner vertrauten Umgebung viel zu viel zu. Wie oben angedeutet, wir haben eine völlig asymmetrische Mediensituation. Unsere bisherigen Rechtslage dürfte für die Gutenberg-Galaxis adäquat sein. In einer Welt von Druckwerken läßt sich gegen Menschenverachtung wirksam vorgehen.

Im Internet zeigt sich, daß derzeit weder unsere Medienkultur, noch unsere Rechtsmittel hinreichen, um solche Publikations-Serien einzudämmen. Ich rufe jetzt nicht nach Rechtsmitteln, sondern möchte die kulturellen Fragen betont sehen.

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Was genau ist denn nun ein "waschechter Österreicher"?
Quelle: Facebook, Österreich bleibt Rot Weiß Rot, 6.8.2016

Wollten wir solche Veröffentlichungen auch als Ausdruck von Parallelgesellschaften deuten, wäre daran kaum etwas auszurichten. Ich sehe es als eine Erscheinungsform innerhalb unserer Gesellschaft.

Innerhalb dieser Gesellschaft sollten wir uns darüber auseinandersetzen können und darauf zu antworten in der Lage sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dabei mit Beschimpfungen etwas auszurichten wäre. Netzkultur? Allerhand Klärungsbedarf...

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