18. November 2016 Sollte
ich es möglichst verkürzen, könnte es so lauten: DADA war eine Reaktion auf
den Weg in den Ersten Welt, Pop eine Reaktion auf den Weg aus
dem Zweiten Weltkrieg. Beides eng mit dem Zweiten Dreißigjährigen Krieg Europas
verknüpft. Ob das bei der Orientierung nützt?
Ich komme von 1914 nicht los. Diese radikale
Reaktion. Wenn Wort nichts mehr nützen, nichts und wieder nichts, ist Stammeln eine
Option, ist bloßes Klingen eine Möglichkeit. Ich
bin manchmal bei der Durchsicht von Werken des Dadaismus quälend elektrisiert. Es kann
sich wie ein Sturzbach anfühlen, der einen wegreißt, selbst ein Jahrhundert danach.
Wo sind wir denn rund hundert Jahre später angelangt? Es
scheint, man könne die Spuren der Arbeit jener Leute, der Dadaisten, quer durch das 20.
Jahrhundert fast überall finden. Auswirkungen von einer enormen Reichweite.
Ich hab gestern etwas ganz anderes erlebt, aus der Nähe
gesehen. Die radikale Kodifizierung einer Ausstellung. Im Kernbereich ist sie nur mehr von
Maschinenlesbarkeit bestimmt. Doch wer den Raum bewältigen kann, läßt selbst das zu
einem visuellen Ereignis werden, welches über die Begehung erfahrbar ist.
Eine verblüffende und irritierende Ausstellung, mit der
das Duo diSTRUKTURA einen Zwischenstand der Arbeit von gut einem Jahrzehnt
darstellt. We are living in a beautiful wOURld: [link] |
"Verse ohne Worte": Hugo
Ball, 1916 im
"Kubistischen Kostüm" |
Dieses Arrangement von Tafeln mit QR Codes,
an den Wänden mit einigen Stücken von Landkarten hinterlegt, so viel Schwarz und Weiß
und Grautöne, kaum andere Farben, kalibriert den Blick auf eigentümliche Weise.
Streng geordnete Muster, bleiche Layers, hinter
denen noch ganz andere Zusammenhänge abgelegt sind. Ich kam in der Kunsthalle Graz dabei
mit Musiker Matthias Loibner zu sprechen, was denn visuelle Erfahrungen seien, die uns
schon früh eingenommen hätten.
Das Kramen in Erinnerungen. Wie weit reichen diese zurück?
Als ich ein Volksschulkind war, gab es zwar schon landesweit TV-Geräte, aber meine Eltern
hatten keines. Ich wuchs also einige Zeit ohne dieses elektronische Lagerfeuer
auf. Welche Bildwelten waren damals zugänglich? Welche viesuellen Attraktionen waren zu
erschließen? Ich blieb den Büchern verhaftet.
Meine ältesten Erinnerungen in diesem Zusammenhang haben
zwei Arten der Motive. Das eine waren die Bände alter Lexika im Haushalt meines
Großvaters Richard. Darin gab es Lithographien, die mit feinem Papier abgedeckt waren, um
nicht mit den übrigen Buchseiten zu verkleben. Dabei waren "Tafeln" mit
Tiefseefischen. Pittoreske Monster, die abscheuliche Fratzen hatten, erschreckende Zähne,
und über Leuchtkörper verfügten.
Die andere Sensation war ein Schlachtenbild von Przemysl,
bei dem, wenn ich mich recht erinnere, die Reiterei dominierte und ein furchtbares
Durcheinander herrschte. Ich hatte als Kind begriffen, daß es hier ums Töten ging. Aber
was war Przemysl? Und wie mußte man das aussprechen?
Matthias Loibner
Przemysl war die größte Festung der Habsburger, im
heutigen Polen gelegen. Ich weiß allerdings nicht mehr, in welcher Publikation ich das
Schlachtenbild gesehen hab; mutmaßlich auch bei meinem Großvater.
Es ist bei dieser Festung im Großen Krieg ein
entsetzliches Sterben gewesen. Weiter kein Thema am gestrigen Abend. Da ging es um andere
Kräftespiele. Wie ist ein präzises Erzählen anzulegen? Sind wir als Kulturschaffende n
der Lage, stichhaltige Befunde des Zustandes der Welt vorzulegen? Was folgt daraus
allenfalls zur Bearbeitung dieser Fragen mit künstlerischen Mitteln?
diSTRUKTURA: Milica Milicevic und
Milan Bosnic
Da ist nun von diSTRUKTURA einiges dingfest
gemacht, eine komplexe Berichterstattung in der Mischung von Präzision und Flüchtigkeit,
in Poesie und in strengem Erzählen. Milica Milicevic und Milan Bosnic haben inzwischen,
wie erwähnt, rund ein Jahrzehnt auf diesen Teil ihrer Arbeit verwandt. |