12. Oktober 2016
burka versus krawatte?
es ist töricht, jemandem dinge zu
unterstellen, die weder gesagt, noch intendiert wurden, um dagegen dann argumente
vorzubringen. aber es erleichtert eventuell die eigene orientierung enorm.
vielleicht bedeutet es auch bloß: ich will mich eigentlich nur mit mir selbst
beschäftigen, brauch aber eine wand, gegen die ich spielen kann.
der vergleich von burka und krawatte liegt tatsächlich nicht besonders nahe. beim
vergleich einer burka- und krawatten-debatte sieht das gleich ganz anders aus.
wann hab ich hier erstmals darüber nachgedacht, daß wir auffalend neue talente zeigen,
kopftücher als ideologisches frachtsystem zu identifizieren? das meint freilich die
kopftücher muslimischer frauen (hidschab), nicht jene unserer großmütter.
ich will nicht bestreiten, daß eine internationale solidarität von völkern den
muslimischen frauen etwas gutes tun könnte, indem sie verschleierungen ächtet. ich neige
aber zur ansicht, daß sich haltungen durch inneren wandel nachhaltiger ändern als durch
äußeren druck.
was mir freilich besonders mißfällt, sind spielarten des eurozentrismus, welche sich
teilen der übrigen welt aufdrängen möchten, wie gewohnt und historisch belegbar auch in
rassistischen variationen.
es ist eine weile her, da habe ich gefragt: sind wir neuerdings an dresscode so sehr
interessiert, daß wir diese talente auch auf unsere eigene kultur anwenden können? dabei
fand ich die krawatte besonders interessant, denn sie hat keinerlei praktischen nutzen,
ist hauptsächlich code-element.
dieses kleidungsstück kann als schmuck eingesetzt werden, oder es drückt aus, daß man
sich einer bestimmten gruppe zugehörig fühlt, da und dort auch ideologisch eindeutig
beschreibbaren seilschaften. lassen sie es mich so sagen: die krawatte ist a priori nicht
gerade eine fahne der demokratie.
wie unmißverständlich wurde ich unlängst hier gescholten, als ich meine frage
angesichts der zunehmenden debatten um die burka wiederholte, präzisierte. nämlich:
wollen wir über dresscode reden?
fußnötchen: wer abseits der landeszentren lebt, bekommt kaum praktische anschauung. eine
frau mit burka hab ich hierzulande noch nie gesehen, eine mit nikab genau einmal. (der
nikab verhüllt den weiblichen körper zur gänze, läßt aber -- im gegensatz zur burka
-- die augen frei.)
"Ich finde diese Vergleiche zur Krawatte beschämend", war eine der milderen
vorhaltungen, die mir inzwischen zugestellt wurden. warum sollte ich burka und krawatte
vergleichen? sie sind stoffliche symbole auf äußerst unterschiedliche art, wenn auch
beide bewährte trägersysteme für weltanschauliches frachtgut.
da wir nun quer durchs land, auch über den halben kontinent hinweg, frische diskussionen
über die zusammenhänge von politik und bekleidung führen, begrüße ich die tiefere
beachtung von codesystemen, mit denen wir kommunizieren; als individuen und als
kollektive.
habe ich nun die freiheit, mir in diesem klima verstärkter beachtung von dresscode meine
interessensschwerpunkte frei zu wählen? darf ich mich um das thema KRAWATTE kümmern,
während sich ganze legionen meiner mitmenschen auf andere aspekte des themas
konzentrieren, also etwa hidschab, nikab und burka?
die headline "burka versus krawatte" tut ja bloß, was eine headline tun soll,
mämlich mit möglichst wenigen worten ein thema antippen, das im folgenden text genauer
dargelegt wird.
darf ich wenigstens in meinem nächsten umfeld mit so viel intellektueller selbstachtung
rechnen, daß man mir nicht aufgrund einer drei-wort-headline ratschläge erteilt, sondern
die lektüre des anschließenden textes auch in kauf nimmt? falls nein, haben wir
miteinander nichts zu reden...
(das foto zeigt einen ausschnitt aus
"Woman wearing burqa during small sand storm near Balkh, Afghanistan", creative
commons by AfghanistanMatters)
Facebook-Notiz vom 12.10.2016
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