26. August 2016 Jeder
Satz, gesprochen oder geschrieben, offenbart seine Mitteilung erst dann verläßlich, wenn
mir die Intentionen des Absenders klar sind. Sätze haben Kontext und Subtext,
also Zusammenhänge und mitschwingende Bedeutungen.
Stehen wir einander Auge in Auge gegenüber, kommen noch paralinguistische
Phänomene dazu. Stimmlage, Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Gesten geben mir
Aufschluß, wie ein Satz gemeint sein dürfte; falls ich die Codes kenne.
Spätestens hier kommt dann zum Tragen, ob jemand in der
gleichen oder einer anderen Gemeinschaft aufgewachsen ist und ob jemand -- dank
Weltgewandtheit -- auch andere als bloß die eigenen Codes versteht.
Wer spricht hier für wen? Und
worauf bezieht sich das Statement?
Auf Demos oder Ethnos? (Quelle: Facebook, "Österreich bleibt
Rot Weiß Rot, 8.5.2016)
In der Geschäftswelt wird beispielsweise beachtet, daß
man einen Deal mit Leuten von einem fremden Kontinent vermasseln kann, wenn man dortige
Gepflogenheiten nicht kennt. Manche Gesten oder Aussagen, über die wir zuhause nicht
nachdenken müssen, sind vielleicht auf der anderen Seite der Erde ein Ausdruck schlechten
Benehmens oder sogar eine Kränkung.
Aber man braucht zu solchen Erfahrungen gar nicht erst ethnische
Grenzen zu überschreiten. Auch innerhalb der Gesellschaft einer Region gibt es
ausreichend vielschichtige Formationen, Milieus, Kreise, an deren Grenzen es zu Reibereien
kommen kann, weil unterschiedliche Codes Mißverständnisse möglich machen.
Diverse Jargons und Konventionen sind unter Leuten der
gleichen Muttersprache so kontrastreich zu finden, daß man alle Tage Ärger bekommen
kann, wenn man das ignoriert
Wir erleben derzeit ein europaweites Reüssieren der Neuen
Rechten, die in den 1980ern Richtung Rathäuser und Parlamente aufgebrochen ist. Was
kürzlich noch als "Lufthoheit über Stammtischen" galt, wo teils
brutale Polemiken für Komplexitätsreduktionen sorgten, ist inzwischen via Massenmedien
zu einer riesigen Zone geworden, in der verbal ausgeübte Gewalttätigkeit zu unserem
Alltag gehört.
Das Internet mit seinen niedrigschwelligen Zugängen, Social
Media und andere Sektoren des World Wide Web, sind uns zur Arena geworden,
zu einer Art kybernetischem Circus Maxismus. Da werden inzwischen täglich
Menschen und Menschengruppen irgendwelchen Gewalttaten unterzogen, so mancher virtuellen
Bestie zum Fraß hingeworfen.
Diese merkliche Brutalisierung unserer Gesellschaft richtet
sich aber nicht nur gegen "unerwünschte Personengruppen". Sie dient
auch dazu, Funktionstragende des Gemeinwesens und diverser gesellschaftlicher
Institutionen mürbe zu machen, weichzuklopfen.
Ich hab in "Die Bürschchen und die
Volks-Hooligans" notiert: "Wer
laufend in der Teilöffentlichkeit der Social Media abschätzig angesprochen, beflegelt
und beschimpft wird, steht eventuell vor der Wahl, sich eine a) so dicke Haut zu holen,
daß er langsam für seinen Job untauglich wird, oder b) dünnhäutig zu bleiben und sich
von solchen Hooligans zunehmend verletzen, beschädigen zu lassen." [Der Volltext]
Dazu muß betont werden: Das sind präfaschistische
Strategien. Die wurden schon im gesamten 20. Jahrhundert gründlich durchgespielt,
erprobt, neu getestet, verfeinert. Sie haben derzeit eine atemberaubende Renaissance oder
waren ohnehin nie vom Tisch.
In Fragen der Netzkultur zeigt sich erneut, was wenigstens
seit den 1990ern allgemeiner Wissensstand sein könnte. |
Kulturelle Botschaft an Muslime?
Volksfrömmigkeit? Schlichter Ausdruck von Lebenslust?
(Quelle: Facebook, "Österreich bleibt
Rot Weiß Rot, 9.6.2016) |
Webgestützte Kommunikation
entfaltet sich meist viel schneller und härter, als früher bekannte Kommunikationsarten.
Eine andere technische Revolution hat uns schon davor auf solche Probleme hingewiesen. Die
Massenmotorisierung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte sehr schnell ein
vielschichtiges Rowdytum auf unseren Straßen, wie man es man bis heute erfahren
kann.
Das Automobil schiebt privaten Raum in den öffentlichen
Raum hinein. Plötzlich entflammen auf den Straßen Rivalitäten von einer Härte und
einem Eskalations-Tempo, wie man sie eigentlich bestenfalls erwarten würde, wenn jemand
im eigenen Wohnzimmer unerwartet auf einen fremden Menschen stößt, von dem er sich
bedroht fühlt.
Kurze Reaktioneszeiten, plus rasend schnelle Technologie,
plus enorme Reichweite. Diese Kombination kann einen zwischendurch das Fürchten lehren.
Wir sind daher mehr als gefordert, uns adäquate Medienkompetenzen zu erarbeiten, neue
Kulturtechniken zu erlernen. Netzkultur verlangt Engagement!
Netzkultur |
Medienkompetenz
[link]
Es helfen uns freilich auch "alte" Kompetenzen,
um einer technologiegestützten Brutalisierung unserer Gesellschaft entgegenzutreten. Wenn
mir eine Aussage merkwürdig erscheint, vielleicht auch provokant, habe ich die Freiheit,
meine Empörung noch einen Augenblick an der Leine zu halten und zu fragen: "Wie
darf ich das verstehen?"
Sollte das noch keine nächste Klarheit befördern, bliebe
mir immerhin eine etwas antiquierte Frage im Talon: "Haben Sie gute
Absichten?"
Wenn ich aufgrund der momentan Mediensituation in einer
Debatte Kontext und Subtext nicht deutlich bekomme, sollte es hilfreich
sein, diese ganz persönliche Frage vorzubringen und die Antwort zu hören.
-- [In der Ebene: Gleisdorf]
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