3. Juli 2016

Mein gestriger Gang durch Gleisdorfs Innenstadt hat mit eine bemerkenswerte Begegnung mit einem Politiker meiner Generation eingebracht. Sein Unmut über die Aufhebung der jüngsten Präsidentenenwahl war nicht zu verbergen.

Ich hab die Argumente des Obersten Gerichtshofes gut nachvollziehen können; siehe: [link]. Manche meinten, sie seien einer juristischen Fiktion gewidmet, weshalb die Aufhebung der Wahl eine unnütze Bürde sei.

Ich bin in diesem Aspekt unschlüssig und neige zur Ansicht, wir müßten nun eben einen hohen Preis zahlen, damit Schlamperei und Willkür im Umgang mit unserer Demokratie einmal mehr angefochten werden könnten. In Geld und Konsequenzen ein kostspieliger Beitrag zu Reflexion, neuer Klärung und nächsten Vereinbarungen, wie wir es denn damit halten möchten.

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Und wieder stand der Widerstand zur Debatte. Leider lauter trüber Kategorien.
(Quelle: Facebook, "Österreich bleibt Rot Weiß Rot, 23.10.2015)

Der erwähnte Politiker, ein gebildeter Mann in passabler Position, sah das grundlegend anders. Er vertraute mir an, daß seine Reaktion, bevor er sie durch Anraten seiner Leute für die Publikation im Internet abmilderte, so lautete: "Jetzt habt Ihr den Nazi-Präsidenten, den Ihr wolltet."

Da hat die Vernunft gerade zur Pause ausgestempelt oder gar den Löffel abgegeben. Dieser Verkündigung folgte: "Wenn schon nicht durch Wahlen, dann durch einen stillen Putsch".

Ein Putsch? Ein Nazi-Präsident?

Wie viele Jahrzehnte ist es uns Herzchen in unserem Wohlstandsreservat so gut gegangen, durften wir derart unbehelligt unsere politische Gemütlichkeit genießen, daß uns teilweise die Kategorien zu einer Art Buffet voll Kaffee und Kuchen verkommen sind.

Ich bin immer sehr beunruhigt, wenn ich in angespannten Momenten des Politischen erlebe, daß Leute, die bekanntermaßen über einen ganz gut trainierten Verstand verfügen, plötzlich ihre intellektuelle Selbstachtung einknicken lassen.

Man kann von mir wissen, daß ich an den vaterländischen Kräften Österreichs keine Freude habe. Aber den Kandidaten Norbert Hofer als "Nazi-Präsident" zu bezeichnen, das macht mir zwei Arten von Problemen.

Erstens kann ich diesen Sprachstil nicht mehr von jenem der FPÖ-Gerfolgschaft unterscheiden. Einen "Putsch" zu behaupten ist ebenso unseriös, wie ich es für politischen Mumpitz halte, auf solche Art zu raunen: "Wer noch an eine unabhängige Jusitz in Österreich glaubt wird sich seine Gedanken machen."

Ich behaupte, wer die Demokratie und ihre Instrumente so leichtfertig schlechtredet, hat sie schon ein Stück weit aufgegeben. Da finde ich in Sprache und Inhalt keine ausreichend scharfe Trennlinie zu den Vaterländischen.

Zweitens halte Ich die Nazi-Zuschreibung für Unfug, finde sie außerdem gefährlich. Sie verstellt den Blick auf die Tatsache, daß sich im Kielwasser der historischen Nazi eine politische Bewegung entwickelt und emanzipiert hat, die mir in gegenwärtiger Art neu ist.

Daß die Neue Rechte, wie sie heute ganz Europa aufmischt, historische Wurzeln hat, trifft ja beispielsweise auf Sozialdemokratie und Christlichsoziale ebenso zu. Das ist nicht weiter überraschend oder ungewöhnlich.

Viele von uns haben in Erhabenheit oder Verschnarchtheit dieser Neue Rechten seit den 1980ern ziemlich tatenlos, hauptsächlich ratlos dabei zugesehen haben, wie sie sich erprobt, adaptiert, durchsetzt und institutionalisiert hat.

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Renationalisierung als Heilsversprchen. Aber was genau soll denn das sein,
die "Identität als Volk", außer eine völkische Träumerei?  (Quelle: Facebook, 24.6.2016)

Ich sehe an genau solchen Reaktionen, daß diese politische Formation auch völlig unterschätzt wurde. Dort, wo diese Neue Rechte über ihre Funktionäre definitiv menschenverachtend auftritt, tut sie das auf raffinierte Art, um juristisch nicht greifbar zu sein.

Die nun längst nicht mehr neue Mediensituation per Neue Medien ist ihnen dabei enorm hilfreich, denn sie schafft einen Kommunikationsraum für offenen Menschenverachtung, von der sich die Funktionärswelt leicht distanzieren kann, deren Nutzen sie aber lukriert.

Mein Milieu hat es weitgehend versäumt, die Fragen der Medienkompetenz ausreichend ernst zu nehmen und die mediengestützten Diskursräume angemessen zu besetzen.

Wenn sie es dann überdies so tun, wie der hier zitierte Politiker, sind ihre Wortmeldungen von jenen der Vaterländischen nicht mehr zu unterscheiden, was diese emotionale Anstrengung auf der Seite der Neuen Rechten wirksam werden läßt, also ins Gegenteil des Erwünschten umschlägt.

Man kann ja, muß aber nicht verstehen, daß sich die Vaterländischen auf diesem Niveau nicht schlagen lassen, weil sie in solchen Modi überlegen sind.

Eine Bahauptung wie "Die Burschenschafter und Rechtsextremen haben über Jahrzehnte den Staat und seine Institutionen infiltriert." offenbart, daß da der Staat für eine Seite beansprucht werden soll, welche ihre Opponenten als Gegner, als Fremde, als Eindringlinge behauptet.

Diese Behauptung offenbart auch, daß nicht begriffen wurde, was in unseren Debatten längst klar sein sollte. Mein Verständnis von Demokratie und mein Verständnis von Menschenrechten sind keine universell anerkannten Güter.

Wenn uns mit der Neuen Rechten politische Formationen erwachsen sind, die faktisch ein anderes Verständnis solcher Zusammenhänge demonstrieren und das politisch durchsetzen, werden wir ihnen durch ein Diffamieren dieser Formationen bloß dienen.

Ich bin neugierig, wann wir uns darüber werden unterhalten können, welche sozialen, kulturellen und politischen Strategien nun greifen könnten, um diesen Zug zur politisch getragenen Menschenverachtung zu bremsen.

Ich bin neugierig, mit wem ich mich darüber werde unterhalten können.


ja wie?
+) paßt uns das jetzt, daß es im rechtsstaat manchmal genau genommen wird oder nicht?
+) macht es was, daß demokratie was kostet und alle dafür aufkommen müssen, wenn einige was verschlampen?
+) wußten wir seit dem türschild über auschwitz ("arbeit macht frei"), daß freiheit vermutlich arbeit macht?
+) haben wir jetzt vor allem eine neue jammerkultur oder finde ich gelegentlich konkrete verstärkung bei der arbeit am gemeinwesen, wenn es also amal nicht bloß um selbstoptimierung geht, sondern um zupacken?

Facebook-Notiz vom 1.7.2016

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