2. Juni 2016

Ich habe in den letzten Monaten viel über unsere "Heimat", unsere "Kultur", über das "Abendland" reden gehört. Auch der Begriff "Volkskultur" stand und steht hoch im Kurs. Als Kulturschaffender könnte ich mich darüber freuen. Könnte. Möglichkeitsform.

Es wäre eine interessante Zeit, würde an den meisten Wortnennungen solcher Art nur irgendwas von Relevanz hängen, würde wenigstens nur ein geistreicher Satz folgen. Doch da schwächelt die vaterländische Partie dann schlagartig.

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Igor F.Petkovic in der Akademie Graz

Solche Töne kamen jüngst hauptsächlich von Leuten, denen das, was mit den Begriffen bezeichnet wird, offenbar völlig egal ist. Wäre es anders, sie müßten ja mit einigen Überlegungen dazu aufwarten können, mit anregenden Gedanken, die wenigstens einer zarten Prüfung standhalten.

Derlei beschäftigt mich gerade wieder, da wir letzten Dienstag eine Vernissage mit Arbeiten von Igor F. Petkovic realisiert haben: [link] Als Kind zweier Ethnien -- serbisch und österreichisch -- könnte er als eine vertraute Spezies begriffen werden, denn wir sind die Erben eines multiethnischen Reiches.

Das Haus Habsburg war mehr als ein halbes Jahrtausend das Dach unzähliger Volksgruppen. Aber das präsent zu haben fällt vielen Menschen mehr als schwer. Gestern bekam ich die August-Ausgabe einer Regionalzeitung in die Hände. Ich lese Blätter wie das Süd Ost-Journal sehr aufmerksam, zumal gerade dieses sich über die Namengebung und Statements des Herausgebers zu eben jenem historischen Raum bekennt.

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Auf Seite 36 der aktuellen Ausgabe erhält ein Herr Alexander P. aus der Gegend zwei Drittel des verfügbaren Platzes für Leserpost, um über "ahnungslose Schlafwandler" zu reflektieren: "Gutmenschen sind die schlimmsten aller Schlafwandler." Das sind zwar etwas trübe Kategorien, wie dann auch "linkslinke Politiker", dank derer "linksradikale Gutmenschen", so erfahren wir, "extrem hasserfüllt" seien.

Der Herausgeber des Blattes sieht offenbar kein Problem darin, einem robusten Antisemiten reichlich Platz und öffentliche Sichtbarkeit zu gewähren. Der glühende Aufklärer, dessen Quellen den Rang von Kaffeesud oder Kristallkugeln kaum erreichen, weiß also, daß "Die ganze illegale Völkerwanderung in Richtung Europa" von einer, nämlich von "der" Elite geplant wurde, und zwar "von langer Hand". Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß er als "die Elite" eigentlich "Die Juden" meint, wenn er da "(Rothschild usw.)" schreibt.

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An anderer Stelle im Text nimmt es Herr P. Genauer. Da listet er explizit: "Rothschild, Rockefeller, FED, Schuldgeldsystem, Meinungsmanipulation, Bargeldbeschaffung, Pharmaindustrie, Polizeistaat" etc. auf. Es ist etwas ermüdend, diese äußerst simplifizierte Deutung einer höchst komplexen Weltsituation zu lesen, einen Teil davon hier in die Tasten zu hauen.

Wer das via Massenmedium einem breiteren Publikum zugänglich macht, muß dafür gute gründe haben. Intellektuelle Selbstachtung und redaktionelle Sorgfaltspflicht gehören möglicherweise nicht dazu.

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Zu den Quellen, aus denen Herr P. schöpft, die er im Text auch nennt, gehören kuriose Websites wie "pravda.tv" und "alles-schall-undrauch.blogspot.co.at". Den gesamten Leserbrief kann man hier online durchsehen: [link]

Warum erwähne ich das so ausführlich? Weil wir momentan ein geistiges Klima erleben, in dem derartiger Obskurantismus, gestützt auf eben jenen historischen Antisemitismus, der schon Millionen Menschen das Leben gekostet hat, sich via Massenmedien breit machen darf, ohne daß mir vorerst adäquate oder auch nur irgendwelche Reaktionen auffallen würden.

Das geht einfach durch und da ist auch keine kulturelle Situation der Provinz, die solchen Attitüden etwas Passendes gegenüberstellen würde. So komme ich zurück zu Petkovic und unsereren aktuellen Veranstaltungen.

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Dort sah ich Paraphrasen über Gavrilo Princip und Verweise auf die Zweierbosniaken, welche in Graz stationiert waren; einst des Kaisers härteste Truppe. Es sind Leserbriefspalten wie die oben gezeigte, in denen man heute noch lesen kann, Serbien habe angeblich den Ersten Weltkrieg begonnen, wenn nicht sogar Gavro Princip mit seinen Schüssen von Sarajevo.

Solche Geschichtsklitterung erspart uns dann die Auseinandersetzung mit den Ambitionen eines Conrad von Hötzendorf, der rasenden Inkompetenz eines Oskar Potiorek, mit den Plänen der Habsburger, den Balkan zu kolonisieren, mit der völligen Unfähigkeit des Kaisers, sich seiner Gegenwart zu stellen etc. etc.

Wir ersparen uns so, die Geschichte des Landes zu kennen, was einen Wissenserwerb vorrausetzen würde, der bekanntlich Arbeit macht und Zeit kostet.

Da ist es einfacher, bewährte antisemitische Ressentiments zu recyclen und mit kühnen Ansagen aus dubiosen Quellen zu einem knackigen Botschafts-Salat abzumischen. Wir werden über Heimat, Geschichte, Volkskultur und das Abendland noch einiges zu reden haben; auch über Princip und Franz Ferdinand...

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