6. März 2016 Wir Ikarier
Hermann Maurer, exponierte Kraft am Institut
für Informationssysteme und Computer Medien (IICM) [link] an der Technische
Universität Graz, befaßt sich unter anderem seit Jahren mit der Zukunft der
individuellen Mobilität.
In seiner Textsammlung "Der
Anfang" (2004) konstatiert er als Problem und Grundfaktum für neue
Orientierungen, "dass die Menschen das Auto nicht als das sehen wollen, was es
eigentlich sein solle -- als ein Werkzeug, um Entfernungen zu überwinden."
Hermann Maurer
Maurer tritt ganz explizit für völlig neue
Vorstellungen und Bilder individueller Mobilität ein und wirft sich dabei gegen einen
überragenden Block an Motiven, Wanderlegenden und Werbemotiven, die das herkömmliche
Kraftfahrzeug zum maß vieler Dinge stilisieren.
Nach über hundert Jahren Automobilgeschichte
ist einigermaßen klar, daß nicht einmal der Vorbote des Autos, das Fahrrad, so gesehen
wurde, nüchtern, als ein Werkzeug. Das Automobil müßte in solchem Sinn überhaupt erst
völlig umkodiert werden. Wie? Mit welchen Mitteln? Durch welche Bilder ersetzt? Wir
werden vermnutlich auch das Wort hinter uns lassen müssen, als etwas Museales von
erhabener Emblematik, wie etwa das Wort Zeppelin.
Das sind interessante Fragen an der Schwelle
zu einer Vierten Industriellen Revolution. Hätten Feuilleton und landesweit
vertstreute Kulturreferate in den letzten Jahrzehnten wenigstens etwas Augenmerk auf eine "Volkskultur
in der technischen Welt" verwendet, wie sie Hermann Bausinger schon vor über
einem halben Jahrhundert beschrieben hat, wir hätten in dieser Gesellschaft vielleicht
etwas mehr Klarheit darüber, wovon in diesem anstehenden soziokulturellen Vorhaben nun
auszugehen ist.
Ich vermute, das Auto, wie wir es kennen,
würde dereinst längst weitgehend verschwunden sein, da befänden wir uns in dieser
Aufgabe erst auf halbem Wege; wenn überhaupt. Der Pilot, wahlweise Fahrer, des
Kraftwagens konnte so nahtlos an unsere europäischen Mythen anschließen, konnte von da
aus -- via Massenmotorisierung -- auch mühelos in das triviale Fach übersetzen, daß wir
gegen diese gut etablierten Bilder nicht ohne weiteres ankommen.
Prometheus der Feuerbringer, Hephaistos
der Schmied, Phaeton der Raser, Ikarus der Himmelsstürmer, sehen Sie
sich in Ruhe um. Wir finden diese Typen zahllos variiert unter den inspirierten Handwekern
und unter den Petrolheads aller Länder. Auch Frauen haben sich, oft gegen alle
Einwände, in solchen Bildern etabliert.
Ich hab mich in einem unserer Vorhaben dem
Thema "Rollenbilder nach der Abdankung des Piloten als Held der Narrative"
gewidmet. Dazu hat kürzlich eine kleine Situation auf Facebook einen Dialog
ergeben, der vielleicht sehr anschaulich macht, warum Kraftfahrzeuge so vielen kein
bloßes Werkzeug sind, sondern eher ein ikarischer Fetisch. Ich bin selbst ein
Insider dieses Genres, mit allen blutigen Weihen versehen, die dann zum Stoff der
trivialen Mythen werden.
Jim Mederer, airborne...
Zur Erinnerung, nicht der kluge Daedalus
hat es als Held in breite gesellschaftliche Wahrnehmung geschafft, sondern der
unvernünftige Ikarus. Anlaß der erwähnten Plauderei auf Facebook vom 2. März
2016 war ein Rekordversuch auf den Salzflächen von Bonneville.
Im Jahr 1993 hieß es: "Jim
Mederer taking his RX-7 airborne at 226 MPH". Das bedeutet, bei 362 Km/h verlor
der Fahrer die Kontrolle über den Racing Beat-Mazda. Die Downforce brach völlig
weg und der Mazda stieg auf wie ein Blatt im Wind. Das Video: [link]
Mein Dialogpartner Erich Schattauer ist fern allem, was
unter "Petrolhead" fällt, aber dennoch. ein Freund individueller
Mobilität. Als Anbieter von "SÊGYtours" [link] pflegt er Kraftfahrzeuge, die in
ihrer Dimension noch unter dem rangieren, was Maurer in seinem Buch als "MAUTO"
, als modulhaftes "Mini-Auto" beschreibt, das bei Bedarf zu
größeren Fahrzeugen von bis zu acht Einheiten gekoppelt werden kann. Schattauer zum
fliegenden Mazda:
++ Schattauer: Bist du deppert, das ist
heftig!"
genau darum gehts ja :-)"
++ Schattauer: Was ist der Sinn dieses
Unterfangens?"
mit verlaub, eine absurde frage. nicht einmal daedalus hätte sie gestellt. wir
ikarier wollen in diese bereiche vordringen, manche stürzen dabei zu tode. schon phaeton
war so drauf. es gibt keine andere antwort als die fahrt, wahlweise den flug..."
(Foto: SEGYtours)
++ Schattauer: Dann wär doch genau das der Sinn,
nicht wahr? Das Drängen, Grenzen zu sprengen und das Unmögliche möglich zu machen...
eigentlich nicht. das aufregende ist der umgang im vernunftfreien, in gebieten,
wo sinnfragen keinen sinn ergeben. man könnte sagen: einfach so. denn das physische löst
erfahrungen aus, die erübrigen jede debatte. und wenn es schief geht, ist es ja ebenso.
du könntest es mit mir, wenn ich schon überlebe, nicht erörtern, weil ich dir nichts zu
erzählen hätte, was dir zugänglich wäre...
++ Schattauer: Ok, hmm. Es sind hier Erfahrungen
im Spiel, die sich in Worten nicht ausdrücken lassen. Erleben und Überleben oder Erleben
und daran draufgehen, dazwischen gibt es nicht viel..."
wer zurückkommt, weiß von dingen, die andere nicht kennen. es verändert
einen völlig. (macht einen aber nicht unbedingt netter.) wer dort bleibt, das
wars..."
++ Schattauer: Ja, kann ich nachvollziehen...
oder eigentlich nicht, weil ich diese Form des Abenteuers nicht wirklich suche. Inwieweit
kannst du es nachvollziehen?"
ich war dort. ich bin zurückgekommen. der preis war hoch. (wir haben hier sehr
gute chirurgen.)"
++ Schattauer: Oh... und suchst du noch nach
diesen Grenzen?"
ein mißverstädnnis. es ist nicht die grenze, die man sucht, sondern der
flug."
++ Schattauer: Sorry, hab mich unglücklich
ausgedrückt... Wie ist es dazu gekommen, Martin, ich wusste es nicht...?"
der spektakulärste abbruch war dieser: [link]
++ Schattauer: Ach du Schreck... !!! der
Spektakulärste -- klingt danach, als wär dies kein Einzelfall gewesen..."
nö, war es auch nicht. ich bin ja leiblich mindestens zu einem drittel nicht mehr
im originalzustand. (mental wohl auch nicht.)"
++ Schattauer: Was denn noch?"
es hat sich immer geähnelt. knochen brechen, es werden einem stücke aus dem
fleisch gerissen, der schrecken vertieft sich. nicht alle müssen diesen preis bezahlen.
aber es ist eben der einsatz, um solche gefilde aufzusuchen."
++ Schattauer: Du lebst sehr gefährlich, wie mir
scheint. Sind es deine Interessen, die dich in diese Gefahr bringen oder würdest du dich
als jemand sehen, der so etwas anzieht?"
weder noch. versuch dir vorzustellen: jede unserer emotionen ist nur ein seufzen
zwischen sternen. hinter jeder unserer phantasien ist noch etwas. hinter jedem gedanken
liegen untiefen. warum sollte ich am ufer stehenbleiben wollen?
und versuch dir das vorzustellen: wenn du von einer klippe
gesprungen bist, es es unmöglich, umzukehren. wenn sich aber der schrecken in dir
eingenistet hat, bist du mit etwas sehr mächtigem in berührung gekommen. blöd. weil es
einen referenzpunkt macht, hinter den du auch nicht zurückkehren kannst.
++ Schattauer: Sich das vorzustellen fällt
jemandem, der diese Erfahrung noch nicht gemacht hat, wohl schwer. In homöopathischer
Dosierung werde ich es wohl schon erlebt haben... Es gibt wohl keine Gesetze, die so
streng eingehalten werden wie Naturgesetze. Und wer sie übertritt, spürt die
Konsequenzen..."
naja, eigentlich gehts hier bloß um das unumkehrbare. (eine aufregende kategorie.)
alles andere ist eh jenseitig. das teilen wir dann nicht mehr.
>>Und wer sie übertritt, spürt die Konsequenzen...<<
wohl wahr!"
.-- [Fiat Lux Panorama] -- |