31. Dezember 2015

Nie gelingt mir Arbeit besser, als wenn ich keine Zeit dafür habe. So fühlt sich das im Augenblick an. Aber es ist bloß geträumt. Die letzten Stunden des alten Jahres mochte ich überdies nicht mehr mit Albert Camus zubringen. Es sind Stunden voller Sentimentalität.

Das kommt von der Suche nach alten Fotos, da nun die Facebook-Leiste "Gleisdorf vor Jahren" seit gestern online ist: [link] Max Reder, Sammler historischer Fahrräder, daher mit verschiedenen Aspekten von Geschichtsschreibung vertraut, hat die Leiste nun freigeschaltet.

Wir sind auf verschiedene Arten neugierig, wie sich solche Form kollektiver Bearbeitung eines Themas entfalten läßt. Zugleich ist es ein Stück Ausloten der Möglichkeiten des Mediums.

Ich hab nun viele Jahre zugesehen, wie da Erwartungen erfüllt und enttäuscht wurden. Das kollaborative Potential, wie es sich über solche Internet-Stützung zur Wirkung bringen laßt, ist ein ziemlich unberechenbares Kräftespiel.

Meine sentimentale Stimmung für den letzten Tag im Jahr ergibt sich aus diesem Eintauchen in meine unmittelbare Vergangenheit.

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Reder wollte die zeitliche Distanz tiefer in die Vergangenheit schieben, ich hätte 15 Jahre ganz okay gefunden, nun haben wir uns auf 25 Jahre geeinigt, auch wenn 50 ein ganz anderes, viel kantigeres Klima in die Geschichte gebracht hätten.

Diese letzten 25 Jahre sind meine magische Zone, auch gleich einer griechischen Tragödie, in der von Wendung zu Wendung sich die Aspekte der alten Poetik drehen: Ohne Krisis keine Katharsis.

Um diese Prozesse ineinander zu verschränken, ein Zwischenergebnis ableiten zu können, müssen manche Möglichkeiten verwoben werden, die man sonst eventuell unbeachtet liegen ließe. Ich vermute darin ein Motiv für die Titelgebung, durch die der vor mir liegende Arbeitsabschnitt nun mit "Konvergenz" überschrieben ist: [link]

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Wissenschafter Matthias Marschik schrieb mir vor etwa einer Woche: "Das kommt ja ganz schön breit daher! Man wünscht fast, dass nicht alles umgesetzt werden kann, weil sonst reisst's Dich in 1000 kleine Fitzeln." Damit rechne ich natürlich nicht, denn das Ganze ist auf die hier schon angedeutete kollektive Praxis ausgelegt.

Ähnlich wie im Detail einzelner Projektabschnitte meine ich, daß solche kollaborative Praxen zwar der redaktionellen Betreuung, der Begleitung bedürfen, aber im Kielwasser einer Share Economy als kollektive Anstrengung gelingen müßten; also mit verteilten Lasten.

Als ich vor Jahren begonnen hatte, einen Kulturpakt zu entwickeln, war das so gedacht. Die ganze Sache bekam dann aber eben jene vertikale Anordnung, wie sie den Entwicklungen des 19. Jahrhunderts entspricht, als die Zweite Industrielle Revolution abgehoben hat.

Wenigstens ab der Mitte der 1980er Jahre waren die Debatten über eine Dritte Industrielle Revolution, die rückblickend als eine Digitale Revolution dasteht, breit aufgestellt.

Es dauerte ein Weilchen, bis Kulturschaffende quer durchs Land sich die Möglichkeiten erschlossen hatten, um diese neuen Technologien im Kultur- und Kunstkontext zu erproben.

In den Jahren 1999/2000 waren wir dann so weit, uns österreichweit zu verständigen und kulturpolitische Fragen zu erörtern. Siehe dazu etwa den AK3 zur Linzer Medienkonferenz: [link]

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Auf diese Motive stieß ich unter anderem bei der Bildersuche für die Leiste "Gleisdorf vor Jahren". Ab etwa 1985 hatte ich einen bescheidenen CP/M-Rechner, der mich damals rund zwanzigtausend Schilling gekostet hat. MS Dos-Maschinen waren für mich anfangs noch unerschwinglich.

Die Kosten ergaben sich nicht bloß aus dem Ankauf des Rechners, sondern auch aus der Beschaffung der nötigen Software. Bald war uns da der Begriff Raubkopie vertraut, doch die zu erlangen mußte man schon Teil einer entsprechende Community sein, was auf dem Lande nicht ganz so schnell gelang.

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Aus diesen Zusammenhängen war mir dann bald klar, was eben Bootlegs seien, was aber auch Shareware und Public Domain meint. Kollektive Verfahrensweisen und daß man einander Wissen wie Werkzeuge zur Verfügung stellt, so auch Wissen innerhalb einer Community sichert, all das ist mir daher vertraut.

Ich kann mich eigentlich nur wundern, daß es sich in der Initiativenszene Kulturschaffender seither kaum durchgesetzt hat. Inzwischen wird das längst auf anderen Feldern neu debattiert, ist dort mit dem Stichwort "Industrie 4.0" markiert.

Als ich heuer bei Mythos Puch II Franz Ablinger mit an Bord hatte, da zu einem Round Table [link] geladen war, dem Handwerk und der Volkskultur in der technischen Welt gewidmet, wußte ich jemanden im Boot, der diese Prozesse und Zusammenhänge gut kennt, von Anfang an dabei war.

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Es ist sicher kein Zufall, daß er als Künstler und technisches Chef-Orakel zu einem der wenigen östereichischen Künstlerkollektive gehört, die langfristigen Bestand zeigen, nämlich monochrom. In meinem unmittelbaren Umfeld wirken Milieus im kulturellen Leben, die haben offenbar keine Vorstellung, was Creative Commons bedeuten und wie man sie erarbeitet, nutzt, sichert, etwa um so auch jene Einbrüche an Budgets etwas zu mildern, von denen wir nun wenigstens seit 2008 hartnäckig begleitet werden.

Ich staune, wie offenbar ahnungslos diese Kreise seit Jahren agieren, offenbar ohne jede Ahnung, daß die vertikalen Organisationsformen a la 19. Jahrhundert längst von horizontalen Modellen flankiert sein sollten.

Egal. Es läßt sich eben niemand gegen eigene Vorstellungen von Argumenten erreichen. Wir gehen die Wege, wie es uns beliebt, so lange uns jene Freiheit gesichert erscheint, die wir gewohnt sind. War was? Aber nein! Also, bis nächstes Jahr!

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