10. Dezember 2015 Voriges
Jahr wurden in einer Höhle in Gibraltar zirka 40 Zentimeter über dem ursprünglichen
Boden Gravuren im Felsen entdeckt, bei denen die Wissenschaft ausgeschlossen haben
möchte, daß es Gebrauchsspuren seien, wie sie etwa beim Verarbeiten eines getöteten
Tieres mit Steinklingen entstünden.
Das Alter der untersten Deckschicht der
Gravur konnte mit rund 39.000 Jahren angegeben werden; siehe: "Gorham-Höhle"
[link]
Die Debatte darüber, was Kunst sei, setzt also bei Manifestationen der Neandertaler an. Entsprechend kühn und kontrastreich verlaufen die Themenlinien.
Ich habe mich mit meinem Aufgreifen von Peter Weibels
Darlegung einer Renaissance 2.0 auf die aktuelle Hierarchie bezogen, die zwischen
der "modernen Kunst" und aktuellen, mediengestützten Kunstformen ein wertendes
Gefälle einbaut.
Ein Gefälle, wie es schon in der Antike zwischen artes
liberales und artes mechanicae eingerichtet wurde; also zwischen freien
Künsten und angewandten Kunstformen. Über die neuen Medien, neue Technologien kommt
derlei Verlockung zurück. |
NEANDERTALER-GRAVUR
IN DER GORHAM-HÖHLE (FOTO: Creative Commins by Stewart Finlayson, Gibraltar Museum) |
Selbstverständlich steht es
uns frei, diese antiquierte Pose zu überschreiben. Ich hab hier in "Kunst Ost:
Konvergenz" aktuell skizziert, warum wir die drei Themenkomplexe Handwerk,
Kunst und Maschinengeist auf einer Ebene komplementär zu einander
angeordnet haben: [link]
Wer meine Aufzeichnungen der letzten Jahre
durchforstet, wird feststellen können, daß ich zu unseren Angelegenheiten
ausschließlich den Begriff Gegenwartskunst verwende, nicht "Moderne
Kunst", denn die Kunst der Moderne ist Geschichte.
(PETER WEIBEL)
Der Kreis inspirierter Leute, mit denen ich
derzeit kooperiere, ist über einzelne Personen mit allen drei Themenbereichen verbunden
und in Fragen der kollektiven Kunstpraxis dem Genre Gegenwartskunst zuzurechnen.
Wir haben in all dem übrigens einen
Zusammenhang abzuarbeiten, den hier niemand gerne aufgreift, denn wir Kunstschaffende sind
ja solche Herzchen. Weibel beschreibt den großen Erfolg westlicher Modi, der einen armen
agrarischen Süden in diesem Zustand weitgehend festhielt, um als reicher,
industrialisierter Norden bestehen zu können, als eine effiziente Strategie von
Inklusion und Exklusion.
Ein Teil der Unruhe, die uns
Flüchtlingswellen derzeit verursachen, hat damit zu tun, daß wir erleben, aber nicht
wahrhaben wollen, wie längst nicht mehr ein weißes, reiches Europa bestimmt, wer
dazugehört und wer nicht. Eine sehr anregende Überlegung!
Ich habe in der oben (Schriftbild) Peter
Weibel zitiert, der in "Globalization and Contemporary Art" (ZKM) einen
wunden Punkt herausstreicht. Da heißt es an einer Stelle zu "The Colonial
Condition of Modernity":
Das ist eine Dimension von Kultur, ein Aspekt ihrer
Funktionen, über die wir uns nicht gar so gerne Rechenschaft ablegen. Weibel kritisiert
dieses Monopol des Westens, zugleich auch den westlichen Kunstkanon, und gibt Hinweise,
warum und wie uns das gerade um die Ohren fliegt.
Zugleich sind wir gefordert, uns in den aktuellen
Kräftespielen zu bewähren, die Ströme von Vertriebenen in bewgung gebracht haben. Ich
bin übrigens kein Anhänger des Konzeptes einer "Integration"; hauptsächlich,
weil mir bisher niemand gut nachvollziehbar darlegen konnte, was das meint und wie nun was
worin integriert werden solle.
Selbst der 50 Punkte-Plan, den Integrationsminister
Sebastian Kurz inzwischen vorgestellt hat, macht das nicht sehr klar; hier als
PDF-Dokument verfügbar: [link]
Ich erfahre eigentlich nur, daß Integration eine Querschnittsmaterie
sei. An einer Stelle wird man etwas deutlicher: "Ziel der Integration von
Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten ist die rasche
Selbsterhaltungsfähigkeit. Es geht um die Möglichkeiten und die Bereitschaft der
Flüchtlinge, sich aktiv um das eigene Fortkommen zu bemühen und sich in der Gesellschaft
einzubringen."
Sie ahnen gewiß, wie sehr ich davon ausgehe, daß auch
wenigstens eine Million autochthoner Leute in Österreich, also Eingeborener mit
Staatsbürgerschaft, diesbezüglich so ihre Probleme haben.
Wo aber gerne die angebliche Gefährdung unserer Kultur und
Identität behauptet wird, denke ich nicht über so trübe Kategorien wie
"Integration" nach, sondern eher über KOEXISTENZ; worin zumindest das
habsburgische Österreich über gut ein halbes Jahrtausend vielschichtige Erfahrungen
ermöglicht hat.
Das bedeutet auch, ich hege den Verdacht, der Begriff
"Integration" steht hier als Euphemismus für Assimilation. Wenn die
Kultur- und Wissensarbeit sich aktuell nicht bloß der Dekoration gerade noch halbwegs
gesicherter Verhältnisse widmen soll, sondern uns in diese aktuellen Anforderungen
hineinführen mag, tut sich gerade eine Menge Klärungsbedarf auf. Denn... Weibel
kritisiert in "Kultur als Exil" (2006) zum Beispiel:
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