7. Dezember 2015 Es ist
nun so weit, daß sich einzelne Kulturinitiativen und Kunstschaffende zu musealisieren
beginnen. Wo das Personal dieser Szene teils unweigerlich zwischen dem 60. und 70.
Lebensjahr herumsteht, müssen Werkschauen und Bücher zustandekommen, müssen Philosophen
und Fachkräfte der Kunstgeschichte Reden halten.
Beachtliche Avantgarde solcher Alterserscheinungen war vor
wenigen Jahren ein steirischer Filmemacher von überschaubarem Rang, dem unter
Kofinanzierung aus öffentlichen Mitteln sein 70. Geburtstag alles andere als privat
gefeiert wurde. Das fand anscheinend niemand verwunderlich.
Ich schon. Zwar wuchsen wir auf, als gäbe es in der Kunst
kaum Wichtigeres, denn die Künstlerpersönlichkeit selbst, doch das war schon vor
Jahrzehnten Old School und hauptsächlich dazu da, ein Bildungsbürgertum, dem
zunehmend die intellektuelle Selbstachtung abhanden kam, zu unterhalten. Okay. Auch ein
guter Grund, wenngleich nicht von meinem Blickwinkel aus.
Zugegeben, diese meine Ansichten sind weder sehr populär,
noch geeignet, mich sympathisch erscheinen zu lassen. (Als müßte es mir darauf
ankommen.) Aber derlei kulturpolitisches Ärgernis gerät zunehmend zum kulturpolitischen
Problem; wenn also, um bei Bourdieu anzustreifen, die Kapitalsorten so durcheinander
geraten.
Naja, das brauche ich heute niemandem zuzurufen, denn im
Betrieb ist schon klar, warum es gerade so läuft und was das genau meint. Soziales,
kulturelles, symbolisches und ökonomisches Kapital werden je nach Ambition in ganz
unterschiedlicher Prioritätenlage gereiht. Dies ist eine Demokratie. Man darf das.
An all dem läßt sich derzeit nicht rütteln, das haben
nach meiner Meinung die letzten 15, 20 Jahre belegt. Was aber spielt sich vor uns liegend
ab? Oder stehe ich mit den Füßen schon mitten in neuen, interessanten Optionen? Wenn ich
derzeit nicht gerade bei Boris Groys Trost finde, reißt mich Peter Weibel raus.
"Der Künstler der Moderne hat sich vorwiegend nur
selbst ausgedrückt, er war auf der Suche nach dem Ich oder der Eigenwelt der
Darstellungsmittel. Der Künstler des 21. Jahrhunderts ist auf der Suche nach der Welt.
Ihm geht es um Welterfassung und Welterschließung, nicht nur um
Selbsterschließung." [Quelle]
Kunstschaffende von einst operierten mit ihren natürlichen
Sinnesorganen, "also in dem sehr beschränkten Frequenzbereich, den uns die
natürliche Evolution vorgibt." Das hat sich seit der Wende vom 19. zum 20.
Jahrhundert mit dem rasanten Reüssieren neuer Technologien grundlegend geändert.
Weibel faßt zusammen, was wir heute noch finden und
pflegen, was sich auch viele Kreative neu aneignen: "In diesem Bereich
beschränkter natürlicher Wahrnehmung ist mehr oder minder die klassische Kunst
angesiedelt."
Über Weibels Erörterung der Kunstereignisse im
digitalen Zeitalter wird nun vielleicht besser sichtbar, wo wir uns gerade mit dem
aktuellen Zugang zum Konglomerat "Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft"
bewegen. Ich bleibe bei seinen Begriffen Welterfassung und Welterschließung.
Wir nutzen dabei neue Technologien, zugleich überprüfen
wir aber auch diese neuen Technologien. Ich muß mich dabei nun nicht schlauer gebärden,
als es etwa Philosoph Günther Anders schon vor über einem halben Jahrhundert war, da er
die "prometheische Scham" beschrieb und feststellte, wir würden
Systeme bauen, die größere seien als unsere Auffassungsgabe gegenüber diesen Systemen.
Wir stecken in all dem bis über die Knie, manchmal bis zum
Hals. Wir gehen also in Bereiche, die oft genug über unseren Köpfen zusammenschlagen.
Weibel nennt die aktuell erfahrbare Wende von Paradigmen und Modi eine "neue
Renaissance", kurz Renaissance 2.0. Das korrespondiert nicht bloß mit
unseren aktuellen Erfahrungen, er setzt es auch mit der Digitalen Revolution und
mit einer Next Society in Beziehung.
Es gibt eine Notiz vom 12. März 2009, da erzähle ich von
meiner Begegnung mit Künstlerin Victoria Vesna und unserem Gespräch über Richard
Buckminster Fuller. Das ist eine der Stellen mit dem Bucky-Zitat: Je
entwickelter die Kunst ist, desto mehr ist sie Wissenschaft. Je entwickelter die
Wissenschaft ist, desto mehr ist sie Kunst" [Quelle]
Genau darin liegt ein Grund, warum wir dem Mann auch in "Fiat
Lux" Referenz erweisen; siehe die Widmung: [link] Genau
das finde ich nun sinngemäß bei Weibel wieder, wo er feststellt, daß sich heute Kunst
und Wissenschaft die gleiche Sphäre teilen, die gleichen Werkzeuge benutzen und auf die
gleichen Grundlagen gestützt agieren.
Weibel: "Wir haben etwas geschaffen, was es vorher
nicht gab. Was die Natur nicht produziert hat, sondern was wir konstruiert haben, das ist
das Wirken der Exo-Evolution. Wir Menschen treten aus der natürlichen Evolution heraus
und erweitern sie dadurch."
Das leitet sich von den Begriffen her, also von
sprachlichen Grundlagen, mit denen wir Theorien formulieren; und zwar über Sachverhalte,
die oft zur Zeit der Theoriebildung noch nicht bekannt sind und erst später empirisch
nachgewiesen werden können.
Das berührt eine Frage, die hier in derlei Notizen zu
unserer aktuellen Arbeit schon mehrfach aufgetaucht ist. Die Frage, wie wir uns dem
zuneigen können, was augenblicklich noch nicht gedacht werden kann.
Wir befinden uns nämlich gerade erst in der Ebene, von der
aus wir Zugänge suchen, um... Naja, um im günstigsten Fall eine Renaissance 2.0
mitzuerleben.
-- [In der Ebene] -- |