15. September 2015 Welche Unruhe im Schuppen. Oder in der Stadt. Gelegentlich. Was soll ich von
Leuten halten, die sich per expliziter Offenbarung "Querdenker"
wünschen, es aber hassen, wenn man ihnen widerspricht?
Mit dem Thema Kultur ist es meist so, daß
alle, die dazu den Mund aufmachen, zur Annahme neigen, daß sie profunde Ansichten haben.
Kultur, das ist ja überall, so ungefähr, betrifft uns alle und meint alles... also auch
nichts.
Es gibt dann noch Leute, die mit Engeln reden,
eines Menschen Aura lesen oder die ihre Zigarettenschachteln mit magischen Symbolen
beschriften, auf daß die Raucherei ihre Schädlichkeit verliere. Diese Gesellschaft ist
voller Raunen und Obskurantismus.
Nebenbei gefragt, was soll denn das sein, ein "Querdenken"?
Natürlich ist es bloß eine holprige Metapher, denn das Denken ist ein unerhörter
komplexer Prozeß, der sich keinesfalls linear ereignet. Aber Metaphern sind schließlich
keine Sachverhaltsdarstellungen.
Wer also "Querdenker"
begrüßt, sagt damit: Ihr sollt nicht so denken wie ich, denn ich bin zwar ein
Hauptdenker, aber da kann ein bisserl Kontrast nicht schaden.
Ich weiß freilich, wer solcher PR-Nummern
schiebt, neigt in dieser Angelegenheit eher gar nicht zum Denken, sondern dekliniert
vermutlich bloß diverse Phrasen durch, wie er annimmt, daß sie im Kulturbereich
adäquate Stimmungsmacher seien.
Würde sich konsequentes Denken darin
erschöpfen, wir hätten es vermutlich recht lustig... solange keine ernsten Fragen
auftauchen. Die Forderung sollte daher nicht lauten "Denken Sie quer!",
denn das klingt verräterisch nach Karaoke. Sie lautet einfach: "Denken
Sie!"
Doch das bleibt Privatsache, falls nicht der
naheliegende nächste Schritt in den öffentlichen Diskurs folgt. Und der geht so: "Nennen
Sie Ihre Gründe!"
Ohne diesen Schritt bleibt die res publica
eine res secret. Wir üben nun seit wenigstens zwei Jahrtausenden die Republik,
also die öffentliche Sache, und doch ist die Geheimsache so verlockend. Geheimes
Wissen ist Herrschaftswissen und sorgt für Hierarchien.
Noch besser ist natürlich Wissenssimulation,
ein Wissen das keines ist, sich nicht beweisen muß, sich einer Hierarchie verdankt. Das
macht am wenigstens Arbeit. Freilich macht der Hierarchieerhalt Arbeit, wie auch
Herrschaftserhalt eine Menge Arbeit verlangt.
Also was nun?
Tut mir leid, Leute, falls sich jemand in
seiner Ruhe gestört fühlt. Aber zur Kultur- und Wissensarbeit gehört, daß man nichts
mehr hat, wenn man Folgerichtigkeit aufgibt. Das gilt sogar für den Weg in einen Irrtum.
Daher dieser Imperativ. Daher dieses "Ich
muß!", von dem man sich jederzeit entbinden kann, wenn man einen gut dotierten
Job hat, der einem Urlaub garantiert und Krankenstand sichert. Da muß man keinesfalls
müssen, zumindest nicht jederzeit. Man kann sich auch vom Betrieb mitschleppen lassen,
falls einem eine Weile nicht nach müssen ist.
Aber in meinem Metier tun sich Gräben auf,
wenn man sich mitschleppen läßt. Da wird schon der nächste Satz unwahr und im
übernächsten Moment ist kein Satz mehr möglich. (Nicht einmal die Poesie, wenn sie
gerade Stille verlangt, ist deshalb sprachlos.)
Um auf banalen Boden zurückzukehren: Nie
genügt es, eine Äußerung anzufechten, weil sie geäußert wurde. Stets will eine
Begründung vorgebracht werden. Sonst wäre es ja genug, wieder einen Fürsten
einzusetzen, der Machtworte spricht.
Einer, dem all das völlig klar war, liegt
seit einigen Tagen unter der Erde. Autor Helmut Schranz war in diesen Fragen völlig
kompromißlos. Aus den genannten Gründen, wie man vermuten darf. Denken ist auf
Folgerichtigkeit angewiesen, wenn es wo hinführen soll, selbst in Sprünge oder Brüche.
Denken muß stets zu Ende gedacht werden, um
an kein Ende zu kommen. So gesehen verlangt das einige Unerschrockenheit, weil sich nie
voraussagen läßt, wohin es führt und wo man ankommt.
Ich hab hier ein paar Erinnerungsstücke
zusammengetragen, die eine Ahnung von Schranz anbieten: [link] Ich empfehle
besonders die zwei Sounddateien aus dem Jahr 2007, die deutlich machen, warum ihn
Publizistin Ute Baumhackl einen "stolzen Diener der Avantgarde" nannte:
Zehn Minuten über
Avantgarde (Helmut Schranz in zwei Tondokumenten)
Nun habe ich ja eigentlich gar keine Zeit, um
über all das gerade zu schreiben, denn in wenigen Tagen soll "Mythos Puch"
über die Bühne gehen und möglichst auch gelingen: [link] Aber der Imperativ! ;-)
Vor wenigen Monaten hatte ich nichts, außer
eine nächste Idee. Kein Geld, keine Hütte, keine Garantien. Ich hab meine Idee etlichen
Leuten vorgetragen und versprochen, daß ich etwas daraus machen kann.
Heute bin ich selbst erstaunt, was es geworden
ist, da rund 50 Menschen etwas beigetragen haben. Menschen sind mit Ideen zu gewinnen. Das
ist eine sehr schöne Erfahrung in Zeiten der Anmaßungen, Simulationen,
Scheingeschäfte... |