18. Juni 2015

Der Jude Noah Klieger sagte, aus Auschwitz könne man nicht befreit werden. Das meint, wer so ein Lager überlebt, die Überwältigung, die Demütigung, die Peinigung, werde das nicht mehr los, auch wenn man ihn aus dem Lager heraushole.

Sein Überleben war von einigen Zufällen begleitet. Der Arzt Robert Weiss sollte später in einer Wiederbegegnung zu Klieger sagen: "Bist du nicht der Junge, den ich von Mengele geschenkt bekommen hab?"

Das bedeutet, Klieger war aus einem der düstersten Winkel dieser Geschichte zurückgekommen. Wie mag er dort hingekommen sein? Wohl wie die meisten, in einen Lastwagen oder Waggon gepfercht, worin man schreien konnte, so laut man wollte, sich anpissen, was auch immer, das scherte jene nicht, die solche Transporte abwickelten.

Das ist eine Analogie, durch die obszön erscheint, was Hace Strache als Replik auf die Parlamentarierin Dagmar Belakowitsch-Jenewein bekräftigend wissen ließ, daß man Menschen zur Abschiebung in ein Militärflugzeug packen solle, da "würde es nichts ausmachen, wenn einer sich anmacht oder brüllt". [Quelle: Der Standard]

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Laut Kurier: "Da können sie dann schreien und sich an-urinieren. Da störts dann niemanden." [Quelle] Das bezog sich auf eine Parlamentsrede, in der Belakowitsch-Jenewein zum Thema Abschiebung sagte: "Daher, Frau Innenminister, wäre es einmal möglich auch neue Wege zu gehen und zu überlegen, ob man nicht vielleicht mit der Hercules-Maschine abschieben könnte, denn dann könnten sie da drinnen schreien, so laut sie wollen." [Quelle: Kurier]

Hier tut sich ein zweites Problem in dieser Angelegenheit auf. Die Abgeordnete und ihr Parteichef mögen Probleme bei Abschiebungen zum Thema machen, wie es ihnen beliebt. Dabei aber via Massenmedien ein sadistisches Szenario anzubieten, führt über eine Grenze hinaus, die wir eigentlich zu sichern haben.

Es steht den Vaterländischen nicht frei, in politischen Kontroversen mit Motiven zu spielen, mit Szenen, in denen Menschen so sehr geängstigt werden, daß sie brüllen und sich anpissen, noch dazu in einen Militärtransporter gezwängt.

Das ist ein sadistisches Spiel. So werden Bilder promotet, die auf "Circus Maximus neu" hinauslaufen. Der Pöbel darf sich an so einer Vorstellung ergötzen, daß jemand schreiend, angepißt, einer Bestie in den Rachen geschoben wird.

Knapp zusammengefaßt: Das Parlament als Bühne, massenmediale Verbreitung des Auftritts, ein obszönes Spiel mit einem sadistischen Szenario, an dem sich ein Teil des werten Publikums ergötzen darf.

Das ist in gegebener Form vermutlich nicht klagbar, geht aber doch weit über das hinaus, was ein salopper Umgang mit der Menschenwürde noch erträglich scheinen läßt. Das Parlament als Bühne und kein Sturm, der die Frau aus ihrem Amt fegt.

Da haben wir nun ein erhebliches Problem, denn es gibt keine schnellen Lösungen, um derlei Ungeheuerlichkeiten abzustellen. Die Neue Rechte hat sich seit den 1980er Jahren sehr zäh und zielstrebig auf den Weg in Europas Rathäuser und Parlamente gemacht, ist dort angekommen und situiert.

Dabei wurde von diesen Leuten auch gründlich gelernt, wie man sich weit aus dem Fenster lehnt und dennoch eine Anklage vermeidet. Die teils menschenverachtenden Statements werden einfach kodifiziert, stellenweise in quasi-poetische Formulierungen gesteckt, damit käme kein Staatsanwalt voran.

Dem steht ein anderes Problem gegenüber, besser: zur Seite, das wir alle zu verantworten haben. Verkürzt: Wie im 19. Jahrhundert das Handwerk durch die Industriearbeit abgewertet wurde, erfuhr im 20. Jahrhundert die Industriearbeit eine Abwertung durch die Wissensarbeit.

Leute wie ich haben nicht damit gerechten, daß schon Anfang des 21. Jahrhunderts die Wisssensarbeit enorm abgewertet sein könnte. Genau das ist aber passiert. Wissens- und Kulturarbeit haben einen Tiefstand an Wertschätzung und Bezahlung.

Nun kann ich den Ausritten der Neuen Rechten eben nicht allein mit legistischen Mitteln begegnen. Hier wäre vor allem Bildung und lebhafter ÖFFENTLICHER Diskurs nötig. (Kleiner Einschub: Empörung ist kein Diskurs!)

Hier sind zu wenige Menschen unterwegs, die geübt haben, aus Information Wissen zu machen, und die bei den heutigen Medienzugängen auch das Zeug haben, aktiv in öffentliche Debatten einzusteigen.

Bereiche wie Facebook quellen dann zwar über von Klagetönen und allerhand Null-Aussagen, die man bestenfalls in eine nutzlose Sammlung Kalendersprüche einreihen könnte, aber es fehlen an allen Ecken und Enden die Inhalte und Strategien, diesem anhaltenden Rechtsruck mehrerer Gesellschaften entgegenzustehen.

Statements wie "Der Mensch ist biologisch gesehen ein Tier. Daran wird sich auch mit noch so wertvoller moralischer und ethischer Wertvorstellung nichts ändern." nützen ja ausschließlich einer individuellen Entlastungsstrategie, sind aber ohne Aussagekraft und ohne Anregung.

Nebenbei finde ich es etwas problematisch, jemanden auf Umwegen aus dem Menschsein hinauszuschreiben. "Mensch" ist eben weniger eine biologische Kategorie, die uns neben die Primaten stellt, sondern eine menschlich-kulturelle Kategorie, aus der niemand abgeschrieben werden darf.

Wissensarbeit. Kulturarbeit. Medienarbeit. Versäumtes ist versäumt, aber das läßt sich ja alles besser in Gang bringen.

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