7. Juni 2015

Heute ist definitiv der Tag, an dem nun der Staub vom Ventilator geblasen wird. Anders wäre hier mein Arbeitspensum nicht zu schaffen. Indirekte Bestrahlung. Ein Mauerwinkel in etwa anderthalb Meter Abstand wirft mir den Luftstrom des Maschinchens angenehm diffusiert zurück.

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Davor ein paar Stunden auf den Wiesen, unter der Sonne dieses Tages, haben mich ohnehin an den Rand eines Hitzschlages gebracht. Wenn sich Besitzer klassischer Fahrzeuge sammeln, ist es eine kleine Mühseligkeit, jeweils Ansichten der Vehikel abzupassen, wo gerade keine Schaulustigen davor stehen oder ins Bild rennen.

Das Abpassen bezieht sich aber auch auf aussagekräftige Ensembles. Hier anschließend im Vordergrund eine britische Replik des 1969er Ford GT40, unmittelbar dahinter der pure Bertone-Keil, ein Fiat X1/9, gefolgt von einem Puch-Schammerl. (Dazu ließe sich schon ein komplettes Geschichterl erzählen.)

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Als wäre das Leben nicht gerade von ernsteren Angelegenheiten bestimmt; sagen manche gerne. Als bräuchte ich von anderen Menschen Zurufe, womit ich mich gerade befassen solle; sage ich.

Nein, die steirischen Landtagswahlen, sind mit keinesfalls egal. Ganz im Gegenteil. Aber ob dieser Ergebnisse zu räsonieren, wie ich es etwa seit Tagen via Facebook erlebe, läßt sich in den meisten Fällen bloß als eine Art Ersatzhandlung deuten, als ein gesellschaftspolitisches Karaoke. Ich mag es etwas grundlegender.

Wir konnten heuer bestätigt finden, daß Wahlkämpfe schon einige Zeit von Geschwafel dominiert werden. Steirische Gemeinderatswahlen und Landtagswahlen innerhalb weniger Wochen, das läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Ich hab in der kleinen Reihe "Kultur kurios" einen Text den windigen Slogans gewidmet: [link] Hauptsächlich völlig beliebig kombinierbare und rekombinierbare Wohlfühl-Rhetorik. Für den Landtag wurde die Behaupterei fortgeführt, die Frage nach praktischer Umsetzung des Behaupteten bleibt meist dubios.

Mein Fazit ist simpel. Etablierte Eliten haben sich damit abgefunden, daß diese Gesellschaft in verschiedene Sphären zerfallen ist. Daher konzentrieren sie ihre Kräfte auf den Erhalt von Nischenexistenzen und nehmen dafür billigend in Kauf, daß weite gesellschaftliche Bereiche von populistischen und vaterländischen Kräften in ihre ideologisch dekoriertes Nichts reklamiert werden.

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An keiner alteingesessenen Formation könnte man das deutlicher sehen als an Österreichs Sozialdemokratie. Da muß derzeit auf vielen Friedhöfen des Landes Getöse erklingen, denn es läßt sich kaum quantifizieren, wie viele alte Sozi derzeit in ihren Gräbern rotieren.

In meiner aktuellen Diskursleiste zum heurigen Kunstsymposion habe ich einen kleinen Themenbereich markiert, der sich den angeblichen "Werten des Abendlandes" widmet: [link] Es ist mehr als kurios, daß sich so viele exponierte Leute auf der Seite des politischen Personals mit gerade einmal diesem Satzfragment ("Werten des Abendlandes") behängen, ohne näher auszuführen, wovon die Rede sei.

Lassen Sie mich gegenüber dem bisher Notierten noch etwas tiefer graben, um einige sehr simpel angeordnete Wurzeln zu betrachten. Ich habe hier, in meinem Logbuch, schon mehrmals erwähnt, Zivilisation, das bedeutet in allererster Linie Gewaltverzicht.

Wir verzichten auf die Anwendung von Gewalt. Wir übergeben dem Staat ein Gewaltmonopol. Nur seine professionellen Kräfte dürfen unter bestimmen Bedingungen mit Gewalt antworten, in der Zivilgsellschaft gibt es dazu kaum für jemanden Spielraum.

Als Kinder des Abendlandes sind wir einer Kultur der Vernunft entwachsen. Dabei geht es um eine bestimmte Art von Vernunft, nämlich um jene, die auf Verhandlungen beruht. Es geht also um eine Kultur sich vernünftig zu verhalten. Das bedeutet etwa, daß die Regeln, derer wir uns bedienen, verhandelbar sind.

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Derlei bietet uns die Religion nicht, deren Regeln, wo sie als Dogmen verstanden werden, nicht zur Debatte und nicht zur Disposition stehen. Aber zivilgesellschaftlich organisieren wir uns mit Regeln, die stets neu zu verhandeln sind.

Ich habe Umberto Eco einmal sagen gehört, die Hunde würden überall auf der Welt gleich bellen, aber Menschen sprächen überall andere Sprachen. Schon eine Stunde Fahrt von seinem Geburtsort entfernt würde man einen Dialekt sprechen, den er kaum verstünde.

Es ist also wie mit einem Spiel und seine Regeln. Keine Notwenigkeit, das Spiel überall auf der Welt gleich zu spielen. Es kann reizvoll sein, universelle Regeln zu kreieren. Es kann ebenso wichtig sein, Regeln zu variieren. Probleme tauchen aber auf, wenn jemand die Regeln ändern will, während ein Spiel läuft.

Welche Regeln gedenkt also unsere Regierung zu bedienen? Mit wem wurde verhandelt, was sich an Regeln ändern soll?

Ich denke, daß sich weite Bereiche unserer österreichischen Politik entpolitisiert haben. Das kommt aus dem wachsenden Zerfall dieser Gesellschaft in verschiedene Sphären, die zueinander nicht mehr in angemessener Kommunikation und Wechselbeziehung stehen. Eine Politik, die das zuläßt, ist keine.

Wir werden diese Leute mit Zurufen nicht erreichen können, vermutlich auch kaum mit dem Verfassen von Petitionen. Es ist mit ihnen wie mit Kindern. Da wiegt wenig, was wir sagen. Aber was wir leben, was unsere  konkretes Handeln ist, werden sie nicht ignorieren können.

Wenn nun Zivilisation sehr wesentlich durch Gewaltverzicht konstituiert wird, was braucht es dazu noch? Kultur. Und was ist Kultur? Kultur ist Kooperation, selbst unter hohen Belastungen.

Was sind daher politische Todsünden? Die Verweigerung von Anschlußkommunikation und das Abbrechen von Kooperation. Wenn sich politisches Personal mit seiner Entourage in Amtsräumen verschanzt, wenn diesen Leuten eine Verwaltung zuarbeitet, welche dienend Macht ausübt, aber das Bottom up-Prinzip nur mehr Dekoration sein darf, werden Zurufe kaum etwas bewirken.

Dann müssen wir solche Leute mit anderen Lebens- und Arbeitsprinzipien konfrontieren. Das setzt aber voraus, selber demokratischere Intentionen, Modi und Praxismodelle zu haben. Und die fallen erfahrungsgemäß nicht vom Himmel. Sie zu finden und zu etablieren, das macht viel Arbeit.

Doch wie liest man die zynische Nazi-Botschaft über den Konzentrationslagern, wenn man sie in ihr Gegenteil verkehrt? Dort stand über den Toren: "Arbeit macht frei". Und wir wissen heute: Freiheit macht Arbeit.

-- [Werte des Abendlandes] --

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