24. Mai 2015 Ich
versuche gerade, in einem stattlichen Zeitfenster Markierungen zu finden, über die
deutlich gemacht werden kann, wie groß die Anstrengungen waren, bedeutende
Umsetzungsfragen zu lösen, deren Ergebnisse wir heute für selbstverständlich halten.
Wer dächte schon, daß es nicht so schnell nahe lag, der
Vorderachse eines Laufrades eine Tretkurbel zu verpassen? Es haben sich viele Leute im
Wortsinn bei schweren Stürzen ihre Köpfe eingeschlagen, bis die Tretkurbel von der
Vorderschse gelöst und in ein Tretlager mitten im Fahrrad verlegt wurde, um die
menschliche Körperkraft mit seiner Kette nach hinter zu schaffen.
Die interessante Frage bei solchen Prozessen bleibt stets,
was uns denn befähigt, hinten den nächsten Horizont zu denken und neue Lösungen
anzubahnen, wo uns alte Zustände mißfallen oder entgleiten. Mich beschäftigen
augenblicklich Sphären, Hemisphären, Kuppeln...
Der Dom von Florenz (rechts in einer
alten Grafik von Moore zu sehen) ist von einer Kuppel bedeckt, die unserer Architektur und
unserer Weltsicht neue Wege wies. Sie überwölbt gewissermaßen die Renaissance. Zum Baubeginn des Domes im Jahr 1296 war dieser enorme Aufbau aus
technischen Gründen nicht möglich. Das blieb lange so, allein schon aus Mangel an
ausreichend langen Gerüstbalken.
Bis Filippo Brunelleschi eine neue Verfahrensweise
ersonnen hatte, war es nötig, ein "Lehrgerüst" zu bauen, um das
Mauerwerk der wachsenden Kuppel zu stützen, bis sie geschlossen werden konnte.
Es wurde in Florenz demnach ein Vorhaben in Angriff
genommen, für das man in dieser Phase der Entschließung noch keine erfolgversprechenden
technischen Lösungen kannte. |
Quelle:
Charles Herbert Moore |
Das mag uns an Carlo Ritter von Ghega
erinnert. Er führte eine Bahntrasse von Gloggnitz über den Semmering nach Mürzzuschlag,
die enthielt Steigungen, für die es zum Zeitpunkt des Baues noch keine ausreichend
leistungsfähigen Lokomotiven gab. Ghega vertraute bei seiner Planung auf die
Erfindungskraft der Menschen und auf kommenden Lösungen.
Ich mag diese Vorstellung der Entscheidungen aufgrund von
Vorausschau sehr. Das noch zum Dom von Florenz: Brunelleschi verband seine Idee einer
speziellen Schichtbauweise in der Anordnung der Ziegel mit mobilen Gerüsten, die geeignet
waren, mit der wachsenden Kuppel in die Höhe zu klettern. So gelang diese revolutionäre
Novität.
In meiner Arbeit am Projekt "Fiat Lux"
dreht sich bei meinen Zugängen vieles um das Werk von Richard Buckminster Fuller.
Ich hab auf der Website von Kunst Ost eben eine kleine Skizze angebracht, die auf
Platonische Körper und Buckyballs verweist: "Platonische
Körper" [link]
Auf der Seite 44 von "Phase I Document 2: The
Design Initiative" (1964), einer Publikation von Buckminster Fuller, findet man
das obige Foto des Gerippes einer Geodätischen Kuppel. Das Dokument ist hier
frei als PDF verfügbar: [link]
Sieht man sich offenen Auges um, wird man auch heute bald fündig.
Dieses Konzept finden Sie in der Gegenwart an
vielen Ecken und Enden baulich umgesetzt. Daran fasziniert mich vor allem die Luftigkeit,
denn dieses Verknüpfen von Polygonen läßt eine sehr dünnwandige Bauweise von
erheblicher Stabilität zu.
Polygone haben mich das erste Mal interessiert, als ich vor
vielen Jahren las, daß Crashtest von Autos in Computer verlegt werden. Ich hab
noch eine der Illustrationen vor Augen, die veranschaulichen sollte, wie eine
Körperoberfläche in unzählige Polygone zerlegt wird, die ein entsprechendes
Rechenmodell ermöglichen.
Das muß etwa Ende der 1970er Jahre gewesen sein. Es hieß
ungefähr, je kleiner die Polygone, je größer ihre Anzahl, desto genauer die
Berechnungen. Das war also auch eine Frage der Rechenkapazität von verfügbaren
Computern. Seither wurde mehr und mehr der Autoentwicklung in die Rechnersysteme hinein
verlagert. Simulationswelten haben auch in unserem Alltag Terrain gewonnen. So wunderbar
klare, analoge Strukturen wie an diesem Crash-Cart werden langsam zur romantische
Cyberpunk-Phantasie.
Crash-Cart als Barriere für analoge
Tests (Ernst wiki, GNU-Lizenz)
Als wir nun daran gingen, für da Projekt "Fiat
Lux" eine Entscheidung zu treffen, welche Formensprache wir anwenden sollten,
war für mich klar, daß wir über den heute vermutlich populärsten Ovoid der
Automobilgeschichte, den Fiat Nuova 500, zur Gegenwart herankommen sollten, um
visuell über die Gegenwart in die nahe Zukunft zu finden.
Das bracht mich zu einer Schale, die in etwas gedrungener
Form den aktuellen Fiat 500 zitiert, der seinerseits im Original den Nuova
500 von 1957 aufgreift. Doch wie wäre des Oberteil zu formen, welches die Elektronik
von Ewald Ulrich bedecken soll?
Ich wollte dabei keinen halben Humanoiden draufsetzen, wie
etwa den bemützten Taxifahrer im Film "Total Recall" (Paul Verhoeven, 1990), die
quasselnde Büste Johnny Cab: [link]. Das wäre
mir zu sehr Pop gewesen, ich wollte mehr Tech.
Meine pragmatische Folgerung: Die nach Marketing-Kriterien
etwas üppig gestaltete Karosse mit einem guten Schuß Kindchenschema sollte ab
der Gürtellinie eine nüchterne Kuppel aus Polygonen erhalten, wie sich das
beispielsweise an konventionellen Radarkuppeln zeigt.
"Fiat Lux" by WiGL-Design
Da hatte ich noch nicht mit den Profi-Designern gerechnet,
die in visuellen Codes natürlich über ein ganz anderes, vor allem größeres Vokabular
verfügen. Willi Gangl & Alfred Urleb (WiGL Design) übernahmen die Aufgabe
der Objektgestaltung. Somit fiel die streng geometrische Option und ich verfolge derzeit
gespannt, wie sich die Erscheinung des Artefaktes entwickelt.
-- [Fiat Lux] -- |