20. Mai 2015 Kaum je
brauche ich Eiswürfel. Also halte ich mir keinen Vorrat. Und dann kommt der Moment, wo
ich einen Bourbon haben sollte. Popcorn zum Saufen, könnte man sagen. (Kleiner Scherz!
Der Bourbon geht von Mais-Maische aus.)
Nun muß ich den Bourbon seit jeher on the Rocks
haben. Das gehört eisern zu meinen Geschmacksvorlieben. Demnach sollte ich also
Eiswürfel vorrätig haben. Aber nein. Und wenn sich dann so ein plötzliches Verlangen
einstellt, phantasiere ich mir eine Lösung der Lebensmittelchemie.
In ein Glas Wasser, natürlich bloß halb voll, wären aus
einem luftdichten Beutelchen, das man leicht aufreißen kann, glänzende braune Kristalle
zu schütten, deren Reaktion mit dem Wasser gut gekühlten Whiskey ergäben.
Ich weiß, das ist ein wenig barbarisch. Bleibt in meinem
Fall bloß das Ausweichen auf ein Heißgetränk. Ein Kübel Kaffee bekommt durch den
Bourbon eine interessante Geschmacksrichtung. Sie merken schon, ich war letzte Nacht sehr
sentimental gestimmt. Weil ich mir auch solche Sorgen mache. Ich mach mir solche Sorgen um
den Andy Borg!
Quelle: Neue Post, 8. April 2015
Gut, das ist jetzt auch nicht so ernst gemeint, aber ich
lese derzeit allerhand Schlagzeilen zum Thema Eurovisionssongcontest und bin
gerade verstärkt mit dem Thema Volkskultur befaßt. Da kommen einem leicht die
Themen durcheinander.
Der eigentliche Auslöser dieser Whiskey on the Rocks-Sache
dürfte meine nun langsam abschließende Arbeit an den Beiträgen für ein Buch liegen,
dem Kulturwissenschafter Matthias Marschik den flimmernden Titel "Der kurze
Sommer des Automobils" gegeben hat.
Er quittierte mir die Annahme gerade angenehmerweise mit "Hab
ich längst gelesen, super!", was mich in ruhigeres Fahrwasser bringt. In meinem
Konvolut ist unter anderem der Volvo 145 bedacht, ein scharf geschnittener Kombi
von erheblicher Robustheit, der mit allerhand Whiskey- Geschichten verknüpft ist.
Reminiszenzen.
Marschik markierte die frühen 1970er, von denen wir
ausgehen, mit: "Der Fortschritt hatte in weiten Bereichen der Gesellschaft Einzug
gehalten. Waschmaschine, Eiskasten und selbst der Urlaub an der Adria waren schon zum
Mehrheitsprogramm geworden."
Ich vergleiche unsere europäischen Verläufe in der Sache
gerade mit denen in den USA. Dort hatte die Motorisierung der Populärkultur noch
den klassischen Leiterrahmen als Basis, wie dieser Hot Rod illustriert. In den
Staaten waren schon vor dem Zweiten Weltkrieg ganze Flotten billiger gebrauchter
Kraftfahrzeuge verfügbar.
In Europa begann die Massenmotorisierung überhaupt erst
nach dem Zweiten Weltkrieg. Daher waren die billigen Gebrauchtfahrzeuge dann meist schon
mit selbsttragenden Karosserien ausgestattet, was formal eine ganz andere Welt bedeutet.
Volkskultur, Populärkultur, Kunst. So sehr
unterschiedliche Genres, dennoch verknüpft. Wieso? Weil es für uns heute kein
Entweder-Oder mehr ist und weil wir es geschafft haben sollten, die Reste ständischer
Gesellschaftsformen abzuschütteln.
Ich bin ein Proleten-Kind, muß mich nicht als
Bildungsbürger verkleiden, um mich bei sozial stärker fundierten Leuten mit meinem
Kulturgeschmack anzubiedern. Ich kann mich diesen kontrastreichen Genres gleichermaßen
leidenschaftlich zuwenden, da ist nicht einmal von Grenzgängen die Rede.
Im Ringen um Marktanteile und Budgets sehe ich seit
wenigstens 20 Jahren zu viel Anbiederung, was mir sehr mißfällt. Ich hab kürzlich
meinen Beitrag zum heurigen Aprilfestival ganz bewußt mit einem Beuys-Zitat versehen: "Wer
nicht denken will, fliegt raus". [link]
So meine ich es auch. Es mögen mir jene vom Leib bleiben,
die alles sofort und gratis haben möchten. Es ist doch lächerlich, den Menschen zu
suggerieren, die geistigen Dinge seien mühelos vermittelbar und allen jederzeit
zugänglich. Wahrnehmungserfahrungen? Reflexion? Wissenserwerb?
Ach, das macht doch alles bloß Arbeit und stiehlt
einem die Zeit. Wer will schon so abgehoben sein? Bei uns kriegen Sie sofort einen
Wow-Effekt! Ganz mühelos. Wir sind nicht so abgehoben, daß man unsere Werke erst nach
Prozessen des Kompetenzgewinnes erschließen könnte. Bei uns gibt's es sofort
segensreiche Effekte!
Bodengewinn in geistigen Welten wie Abnehmen ohne Sport und
Ernährungsumstellung? Supa! Während man bei solchen Schlankmacherlügen mindestens brennt
wie ein Luster, also schwer zur Kasse gebeten wird, soll das bei Kunst und Kultur
auch noch weitgehend kostenlos laufen; wegen der Verringerung der Abgehobenheit.
Sie meinen, ich scherze schon wieder? Leider nein! So fand
ich es etwa recht enttäuschend, daß das sehr gut entwickelte und äußerst ambitioniert
gemachte Provinz-Festival KOMM.ST neuerdings offenbar die Kunst zugunsten des
Fremdenverkehrs etwas verwässert und naß dastehen läßt, wenn zum Beispiel solche
Features möglich sind, die den Medienleuten ja wer in den Mund gelegt haben muß
Gefunden bei ORF Steiermark: [link] Was daran
falsch sein soll? Es gibt keine "junge Kunst" sondern nur Kunst,
freilich gibt es junge Kunstschaffende von unterschiedlicher Kompetenz. Kunst ist auch
höchst ungeeignet, eine "Kunst um zu..." abzugeben.
Kunst um zu beleben und "stets Spannendes", aber
auch "stets Neues", für ein heimisches (?) Publikum zu liefern, das hat alles
mit Kunst gar nichts zu tun, ist plombenziehender, leider auch sinntäuschender
Tourismus-Sprech.
Ich weiß schon, wir alle müssen für relevante Vorhaben
Budgets zustande bringen, müssen Rechnungen zahlen, müssen den Aufwand rechtfertigen.
Aber solche Features sollten nicht möglich sein. Das ist sicher nicht die
kulturpolitische Zukunft, sondern voriges Jahrhundert. Aber solche Retro-Haltungen sind
grade sehr populär.
Quelle: Kleine Zeitung
Dazu paßt, daß die IG Kultur Steiermark seit
Jahren nur abschreckende Headlines evoziert. Was ist von einem Metier zu halten, dessen
Standesvertretung fast NUR solche Überschriften hervorbringt? Quelle: [link]
Eine Behauptung wie "Grundsäule der Gesellschaft
wackelt" ist lächerlicher Mumpitz. Diese Art von Alarmismus zeigt sich
als unwürdige Ersatzdebatte für die Diskurse, denen wir eigentlich folgen könnten;
nämlich etwa zu Fragen, mit welchen Zielvorstellungen und welchen Strategien wir Kunst-
und Kulturschaffende einer Politik begegnen möchten, die freilich offenbar saloppe
Varianten bevorzugt.
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